von Johannes R. Kandel
Manfred Gailus, zuletzt apl. Professor für Neuere Geschichte an der TU Berlin, ist ein ausgewiesener Experte der evangelischen Kirchengeschichte im Nationalsozialismus. Jahrzehntelang hat er sich mit dem Verhältnis von Religion, Kirchen und Nationalsozialismus befasst und zahlreiche einschlägige Publikationen vorgelegt (Habilitation 1999 über ›Protestantismus und Nationalsozialismus‹).
Er fasst Erkenntnisse seiner langjährigen Forschungen zusammen, greift neuere Beiträge auf und präsentiert in Gläubige Zeiten ein faszinierendes Panorama von ›Religiosität im Dritten Reich‹, oder, wie er – personalisierend – sagt, der »Hitlerzeit« (S.9). Der mit dem Thema nicht vertraute Leser mag es seltsam oder gar irreführend finden, von ›Religiosität im Dritten Reich‹ zu sprechen: War der Nationalsozialismus nicht eine durch und durch säkulare, antichristliche Weltanschauung? Wurden die christlichen Kirchen nicht bekämpft? War es nicht sogar das langfristige Ziel einer Reihe führender Nationalsozialisten, das Christentum nach dem Krieg ›auszumerzen‹? So treffend diese Beobachtungen auch seien mögen, Gailus zeigt auf, dass es eine Verschränkung von christlichen Traditionen und nationalsozialistischen ›Bekenntnissen‹ gab. Religiöse Menschen, die den Nationalsozialismus bejahten und/oder NSDAP-Mitglieder waren, konnten an den überkommenen Traditionen des Christentums festhalten und in der Kirche bleiben (›Christliche Nationalsozialisten‹). Oder sie konnten auch aktiv eine Umdeutung des Christentums im Sinne des Nationalsozialismus anstreben, wie die ›Deutschen Christen‹ schon vor 1933 (›Nationalsozialistische Christen‹). Oder sich auch der Konstruktion eines nationalsozialistischen ›Deutschen Glaubens‹ widmen, den ›Gott Deutschland‹ und den ›Messias Hitler‹ verehren (›Deutschgläubig‹). Diese nationalsozialistisch-religiöse Gemengelage wird in der Forschung gelegentlich als »religiöser Doppelglaube«, »multiple Gläubigkeit« oder »hybride Doppelgläubigkeit« bezeichnet. (S.10). Der Nationalsozialismus war nicht, wie Gailus eindrucksvoll darlegt, eine »Zeit beschleunigter Säkularisierung (…), sondern vielmehr eine Epoche, die im Zeichen der Rückkehr des Religiösen stand« (S. 185).
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- Geschrieben von: Kandel Johannes R.
- Rubrik: Geschichte
von Wolfgang Rauprich
Als Markus Wolf 1986 vorzeitig seinen Generalsrock an den Nagel hing und den Dienst als Chef der Hauptabteilung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR quittierte, ahnte mancher wache Beobachter in diesem Land und sicher auch anderswo, dass da mehr dahintersteckte als die Ambition dieses Mannes, Kochbücher zu schreiben und sein Altenteil zu genießen. Was wurde nicht alles spekuliert über die Hintergründe. Waren es seine Misserfolge in den Jahren zuvor, die unter anderem dazu führten, dass der ›Mann ohne Gesicht‹ kenntlich wurde? Waren es seine zweifellos vorhandenen amourösen Abenteuer, die, wie der Spiegel später kolportierte, den spröden Stasi-Chef Erich Mielke dazu bewegten, ihn aus dem Apparat zu drängen? Oder war es doch Wolf selbst, der diesen Abgang ganz zielgerichtet betrieb, um völlig andere Absichten effektiver verfolgen zu können? Als mit allen Wassern gewaschener Geheimdienstler wusste Wolf längst, dass die DDR als Staat nicht zu halten sein würde, da sich auch der große Bruder Sowjetunion bereits in einem Abwärtssog befand, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Von alledem und mehr handelt das Buch von Michael Wolski 1989 Mauerfall in Berlin mit dem Untertitel Auftakt zum Zerfall der Sowjetunion.
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- Geschrieben von: Rauprich Wolfgang
- Rubrik: Geschichte
von Steffen Dietzsch
Als Meinungen schon justiziabel wurden
Eine diskurs-polizeiliche Episode aus der DDR-Philosophie
Die vorliegende Dokumentation führt hinein in die Frühgeschichte der Agonie sozialistisch-kommunistischer Machtkultur in Deutschland, – als 1958 an der (Ost)Berliner Philosophischen Fakultät eine studentische Diskussionsveranstaltung nicht rhetorisch mit einem quod erat demonstrandum endete, sondern in einem Alles-was-sie-ab-jetzt-sagen-kann-gegen-sie-verwendet-werden. Statt Lorbeer aufs Haupt klickten im Forum die Handschellen; für die Betroffenen momentan unerwartet, aber eben doch bloß ein weiterer Fall in der Universalgeschichte politischer Niedertracht.
In der kommunistischen Zeitrechnung galt die zweite Hälfte der Fünfziger Jahre als eine – hoffnungsfrohe – Periode des technischen, wissenschaftlichen und auch politischen Umbruchs. Man beschrieb das Belebende jener Zeit in meteorologischen oder floristischen Metaphern, – als Tauwetter oder (maoistisch) Lasst-hundert-Blumen-blühen.
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- Geschrieben von: Dietzsch Steffen
- Rubrik: Geschichte
- Andreas Rödder: 21.0. Eine kurze Geschichte der Gegenwart, München (C.H.Beck) 2016[4], 496 Seiten (Herbert Ammon)
- Ulrich Schödlbauer: Die Grenzen der Welt, Essays – Band 2, Heidelberg (Manutius) 2021, 378 Seiten (Gunter Weißgerber)
- Eric H. Cline: 1177 v. Chr. – Der erste Untergang der Zivilisation, Stuttgart (Konrad Theiss) Stuttgart 2015 (Immo Sennewald)
- Dan Diner: Ein anderer Krieg, München (DVA) 2021, 346 Seiten (Gunter Weißgerber)
- Klaus-Jürgen Bremm: 70/71 – Preußens Triumph über Frankreich und die Folgen Darmstadt (wbg Theiss) 2019, 336 Seiten (Immo Sennewald)
- Jörg Baberowski: Der bedrohte Leviathan. Staat und Revolution in Russland, Berlin (Duncker & Humblot) 2021, 126 Seiten (Herbert Ammon)
- Michael von Cranach, Petra Schweizer-Martinschek, Petra Weber: Später wurde in der Familie darüber nicht gesprochen. Neustadt a.A. (Schmidt) 2020, 102 Seiten (Felicitas Söhner)
- Karl-Heinz Paqué / Richard Schröder, Gespaltene Nation? Einspruch! 30 Jahre Deutsche Einheit, Basel (NZZ Libro) 2020, 289 Seiten (Eckhard Jesse)
- Eckard Holler: Auf der Suche nach der Blauen Blume. Die großen Umwege des legendären Jugendführers Eberhard Koebel (tusk). Eine Biografie, Berlin (LIT Verlag) 2020, 320 Seiten (Herbert Ammon)
- Arbeit und Literatur. Arbeit – Bewegung – Geschichte. Zeitschrift für historische Studien, Heft 2020/II (Mai 2020). 214 Seiten (Holger Czitrich-Stahl)
- Brendan Simms: Hitler Eine globale Biographie, München (DVA) 2019, 1056 Seiten (Gunter Weißgerber)
- Klaus Schroeder/Monika Deutz-Schroeder: Der Kampf ist nicht zu Ende. Geschichte und Aktualität linker Gewalt. Freiburg i. Br. (Herder-Verlag), 2019, 299 Seiten (Johannes R. Kandel)
- Johannes Fried: Die Deutschen. Eine Autobiographie. Aufgezeichnet von Dichtern und Denkern, München (C. H. Beck) 2018, 400 Seiten (Johannes R. Kandel)
- Matthias Braun: Von Menschen und Mikroben. Malaria und Pest in Stalins Sowjetunion 1929–1941. Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2019. 291 Seiten (Felicitas Söhner)
- Carsten Prien: Rätepartei. Zur Kritik des Sozialistischen Büros. Oskar Negt und Rudi Dutschke. Ein Beitrag zur Organisationsdebatte. Seedorf bei Bad Segeberg (Ousia Lesekreis Verlag) 2019, 190 Seiten (Michael Grewing)
- Tom Strohschneider (Hg.): Eduard Bernstein oder Die Freiheit des Andersdenkenden. Berlin (Karl Dietz Verlag) 2019, 224 Seiten (Holger Czitrich-Stahl)
- Mehr Debatte und Geschichtskultur. »Arbeit – Bewegung – Geschichte« 2019/II (Holger Czitrich-Stahl)
- Dresden 1919: Die Geburt einer neuen Epoche, Freya Klier, Freiburg (Herder) 2018, 483 Seiten (Gunter Weißgerber)
- Christoph Koch (Hg.): Das Potsdamer Abkommen 1945-2015. Rechtliche Bedeutung und historische Auswirkungen, Frankfurt (Peter Lang) 2017, 335 Seiten, (Holger Czitrich-Stahl)
- Rolf Stolz: Generation 1968 – Nachgeburt von 1933?, Marburg (Basilisken-Presse), 2019, 76 Seiten (Herbert Ammon)
- Die RAF hat euch lieb – Die Bundesrepublik im Rausch von 68 – Eine Familie im Zentrum der Bewegung, Bettina Röhl, München (Heyne) 2018, 639 Seiten (Gunter Weißgerber)
- Harry Waibel: Die braune Saat. Antisemitismus und Neonazismus in der DDR. Stuttgart (Schmetterling-Verlag ) 2017, 380 Seiten (Holger Czitrich-Stahl)
- »Alte und neue soziale Bewegungen« – Arbeit - Bewegung - Geschichte 2018/III (Holger Czitrich-Stahl)
- Gunter Weissgerber (Hg.), Rainer Fornahl, Manfred Kolbe, Selbstbewusst. Die Rettung der Leipziger Geodäsie und weitere Meilensteine. Leipzig (Osiris Druck) 2018, 98 Seiten (Ulrich Siebgeber)
- Totengräber der ostdeutschen Wirtschaft? Die Treuhandanstalt und die Folgen ihrer Politik. Kapitel 2 aus: Petra Köpping, »Integriert doch erst mal uns.« Eine Streitschrift für den Osten, Berlin (Ch. Links Verlag) 2018, 208 S. (Richard Schröder)
- Arbeit – Bewegung – Geschichte, Zeitschrift für historische Studien, Themenheft: Zauber der Theorie. Ideengeschichte der Neuen Linken in Westdeutschland Berlin (Metropol Verlag) 2018/II, 240 Seiten (Holger Czitrich-Stahl)
- Siegfried Prokop: »Die DDR hat’s nie gegeben«. Studien zur Geschichte der DDR 1945 bis 1990, Buskow (edition bodoni) 2017, 307 Seiten
- Anke Silomon: Pflugscharen zu Schwertern – Schwerter zu Pflugscharen. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Berlin (Nicolaische Verlagsbuchhandlung) 2014, 201 Seiten
- Matthias Grünzig: Für Deutschtum und Vaterland. Die Potsdamer Garnisonkirche im 20. Jahrhundert, Berlin (Metropol Verlag) 2017, 383 Seiten
- Frank-Lothar Kroll, Totalitäre Profile – Zur Ideologie des Nationalsozialismus und zum Widerstandspotential seiner Gegner, Berlin (Be.Bra Wissenschaft Verlag) 2017, 459 Seiten
- Philipp Kufferath: Peter von Oertzen (1924-2008). Eine politische und intellektuelle Biographie. Göttingen (Wallstein) 2017, 797 Seiten
- Manfred Gailus: Friedrich Weißler. Ein Jurist und bekennender Christ im Widerstand gegen Hitler, Göttingen (Vandenhoeck und Ruprecht) 2017, 316 Seiten
- Günter Benser, Michael Schneider (Hg.): »Bewahren –Verbreiten – Aufklären«. Archivare, Bibliothekare und Sammler der Quellen zur Geschichte der deutschsprachigen Arbeiterbewegung, Bonn-Bad Godesberg 2009, 376 Seiten
- Arbeit – Bewegung - Geschichte. Zeitschrift für historische Studien. Berlin (Metropol Verlag) 2018/1
- Thilo Scholle: Paul Levi. Linkssozialist – Rechtsanwalt – Reichstagsmitglied. Jüdische Miniaturen, Band 206. Hentrich und Hentrich Verlag Berlin 2017
- Günter Benser: Die vertanen Chancen von Wende und Anschluss. Es bleibt eine offene Wunde oder: Warum tickt der Osten anders? Berlin (Verlag am Park in der Edition Ost Verlag ) 2018, 200 Seiten
- Jessica Reinisch: The Perils of Peace: The Public Health Crisis in Occupied Germany. Oxford (University Press) 2013. xii + 324-Seiten
- Stefan Bollinger, Oktoberrevolution. Aufstand gegen den Krieg 1917-1922 / Lenin. Theoretiker, Stratege, marxistischer Realpolitiker
- Martin Stallmann: Die Erfindung von ›1968‹. Der studentische Protest im bundesdeutschen Fernsehen. 1977 – 1998, Göttingen (Wallstein) 2017, 412 Seiten
- Axel Weipert/Salvador Oberhaus/Detlef Nakath/Bernd Hüttner (Hg.): »Maschine zur Brutalisierung der Welt«. Der Erste Weltkrieg – Deutungen und Haltungen 1914 bis heute, Münster 2017 (Verlag Westfälisches Dampfboot), 363 S.
- Arbeit - Bewegung - Geschichte. Zeitschrift für historische Studien, Heft 2017/III
- Hedwig Richter: Moderne Wahlen. Eine Geschichte der Demokratie in Preußen und den USA im 19. Jahrhundert, Hamburg (Hamburger Edition) 2017, 700 Seiten, 70 Abb.,
- Philipp Ammon: Georgien zwischen Eigenstaatlichkeit und russischer Okkupation. Die Wurzeln des russisch-georgischen Konflikts vom 18. Jahrhundert bis zum Ende der ersten georgischen Republik (1921), Frankfurt/M. (Klostermann) 2020, 238 Seiten
- Arbeit - Bewegung - Geschichte. Zeitschrift für historische Studien, 16. Jahrgang Heft 2017/II Berlin (Metropol Verlag) 2017
- Peter Wensierski: Die unheimliche Leichtigkeit der Revolution: Wie eine Gruppe junger Leipziger die Rebellion in der DDR wagte, München (DVA) 2017, 464 Seiten
- Clara Zetkin – Die Kriegsbriefe, Band 1 (1914-1918), hrsg. von Marga Voigt, Berlin (Karl Dietz Verlag) 2016, 560 Seiten
- Arbeit-Bewegung-Geschichte. Zeitschrift für historische Studien. Heft I/2017, Metropol Verlag, 216 Seiten
- 1945 – Eine »Stunde Null« in den Köpfen? Zur geistigen Situation in Deutschland nach der Befreiung vom Faschismus, hrsg. von Rainer Holze und Marga Voigt, Buskow (edition bodoni) 2016
- Amanda West Lewis: The Pact, Markham, Ontario – Brighton, Mass. (Red Deer Press) 2016, 352 Seiten.
- Silja Behre: Bewegte Erinnerung. Deutungskämpfe um »1968« in deutsch-französischer Perspektive, Tübingen (Mohr Siebeck) 2016, 421 Seiten
- Sven Felix Kellerhoff: Der Reichstagsbrand : die Karriere eines Kriminalfalls, Augsburg (Weltbild Verlag) 2013
- Kerop Bedoukian: The Urchin. An Armenian’s Escape, London (John Murray) 1978, 192 Seiten
- Freya Klier: Wir letzten Kinder Ostpreußens: Zeugen einer vergessenen Generation, Freiburg im Breisgau (Herder) 2014, 458 Seiten
- Die Bündische Jugend
- Zur geschichtsphilosophischen Deutung der Neuzeit
- Zum Jubiläum des Mauerfalls: Drei Sozialdemokraten über die ungeraden Wege zur deutschen Einheit
- Vor und nach »1968«: Die nationalen Unterströmungen in der westdeutschen Neuen Linken
- Bemerkungen zu Bernd Faulenbachs »Das Sozialdemokratische Jahrzehnt«
- Tibet im Kalkül der NS-Außenpolitik und ›Innerasienforschung‹
- Chaim Zhitlowsky
- Weder Ost noch West
- Erhellendes aus dunklen Zeiten: Die Dodds in Berlin
- Der ersehnte dritte Weg
- Tagebuch des Umbruchs – Gorbatschow und die deutsche Frage
- Deutsch-polnische Kontroversen. Der polnische Historiker Tomasz Szarota über Ressentiments und Kernfragen
- Königgrätz, Koblenz, Kreisau: Orte der Moltkes
- Anne Nelson: Die Rote Kapelle
- Ein alter Tory als Mythenzertrümmerer
- Patriotische Dissidenten vor 1989
- »Weder rechts noch links«. Französische Geistesverwandte der Konservativen Revolution
- Sisyphus: Richard Müller
- Implacabilis: Karl Liebknecht