Keinen inhaltlichen Schwerpunkt, aber eine neue Rubrik weisen die Macherinnen und Macher von »Arbeit – Bewegung – Geschichte« im neuen Heft 2019/II aus. Unter ›Geschichtskultur‹ sollen künftig hierin gesellschaftliche Akteure wie Geschichtsinitiativen, selbstverwaltete Archive, unabhängige Projekte zu Worte kommen, aber auch »Rezensionen zu Filmen und Theaterstücken mit historischem Bezug zu Arbeit, Arbeiterbewegung und sozialen Bewegungen sowie Berichte über Ausstellungen ihren Platz finden«, wie es im Editorial heißt. Insgesamt versucht die Redaktion offenbar, die in vielen vergleichbaren Zeitschriften sichtbare Sphärentrennung zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft aufzulösen und zu einer Öffnung hin zu einem handlungs- und kulturorientierten Umgang mit der Geschichtswissenschaft zu gelangen.

Man darf also prinzipiell gespannt sein auf das Gelingen dieses Vorhabens. Den Anfang jedenfalls macht Anja Thuns (HU Berlin) mit einer Rückbetrachtung des Themenwinters 100 Jahre Revolution – Berlin 1918/19, der mit vielen Veranstaltungen, Ausstellungen, Diskussionen, Projekten usw. den Interessierten einen bunten Strauß von Möglichkeiten bot, sich den Ereignissen während der deutschen Revolution 1918/19 über vielfältige Zugänge zu nähern und sich mit den entsprechenden Rückschlüssen zu befassen. Die Autorin bezieht dabei auch den Aspekt der Geschlechtergeschichte ein und beschränkt sich nicht auf die Frage des 100 Jahre alt gewordenen und erkämpften Frauenwahlrechts.

Dass die faschistische Diktatur von 1933-1945 nicht vor privaten und familiären Beziehungen halt machte, zumal dann, wenn die Beteiligten aktive Antifaschisten waren, ist prinzipiell keine neue Erkenntnis. Doch Mareen Heying (Düsseldorf) richtet ihren Fokus vor allem auf diesen biografischen Abschnitt des Lebens von Klara Schabrod, geb, Matthies und Karl Schabrod, beide aktiv im Widerstand gegen das NS-Regime und Mitglieder der KPD. Beide wirkten in kommunistischen Organisationen in Düsseldorf mit, der KPD waren sie 1924 (Karl) und 1927 (Klara) beigetreten. Ein Paar bereits seit 1922, kam im November 1932 ihr Sohn Konrad zur Welt, die Verlobung folgte am 1.1.1933. Ihre Heiratsabsichten durchkreuzte die NS-Herrschaft, denn Karl wurde im März 1933 verhaftet, ins KZ Bürgermoor verbracht, wo er bis April 1934 litt. Einem kurzen Untertauchen folgte die erneute Verhaftung und die Verurteilung zu lebenslanger Haft – die Staatsanwaltschaft hatte die Todesstrafe gefordert, die er in den Zuchthäusern Münster und Werl verbüßen musste. Hier nun legt die Autorin im Detail die Mechanismen der Diktatur dar, in solchen Konstellationen ihre Gegner zu erpressen, auszugrenzen und zu brechen. Gleichzeitig weist sie viele Momente der Verteidigungs- und Selbstbehauptungsanstrengungen der Opfer nach. Zu Ersteren gehörten staatlicher Kindesraub, dem die Schabrods lediglich durch den Mut einer Freundin entgingen, die, als Helferin der NS-Frauenschaft getarnt, Konrad dem Zugriff der NS-Behörden entziehen konnte. M. Heying beschreibt im Folgenden die Mechanismen der Ausgrenzung und der Unterwerfung, denen sich die Schabrods durch ihre immerwährende Hoffnung auf die kommende Heirat und das künftige Zusammensein nicht beugten. Verbale Anpassungen an die Sprachvorgaben des Regimes blieben nicht aus, um Erleichterungen im alltaglichen Leben oder während der Haft zu beantragen, im Falle der Schabrods aber folgenlos. Dennoch zeigen die verarbeiteten Briefe das Minenfeld zwischen Anpassung und Selbstbehauptung plakativ auf. Nach der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai 1945 jedenfalls gehörten die Schabrods zu den Wiederbegründern der KPD und der VVN im späteren Nordrhein-Westfalen, Karl gehörte dem Landtag des aus der rheinisch-westfälischen Erbmasse Preußens zu bildenden Landtag von 1946-1950 an und amtierte bis 1950 als Fraktionsvorsitzender der KPD. Nach dem Parteiverbot von 1956 kam er aus antikommunistischen Motiven drei Mal erneut in Haft. Als im September 1968 die DKP gegründet wurde, gehörte Schabrod zu ihren Geburtshelfern. Insgesamt bietet dieser Beitrag einen soliden Einblick in das Spannungsfeld von Familie und Politik, Anpassung und Widerstand unter den Bedingungen einer ›Volksgemeinschaft‹, deren Hauptzweck die Integration der Folgsamen und die Unterjochung der Widerständigen war.

Den wohl am meisten diskutierten Beitrag dieses Heftes liefert Eric Blanc, der über Rosa Luxemburgs Allianz mit der SPD-Bürokratie: Eine Kritik ihrer Politik in Polen, 1893-1918 schreibt. Nach einigen Reminiszenzen an die historische Bedeutung Rosa Luxemburgs für die marxistischen Stömungen der Arbeiterbewegung legt er offen, worum es ihm geht: Er wendet sich dagegen, Rosa Luxemburg »heutzutage allzu unkritisch als eine humanistische, undogmatische und demokratische Alternative zu Sozialdemokratie, Leninismus und/oder Stalinismus« zu bewerten. Dabei richtet er sich sowohl gegen das von Annelies Laschitza (1934-2018) repräsentierte Bild der großen Sozialistin als auch gegen die jüngste Deutung Schütrumpfs als Vordenkerin eines dritten, prä-eurokommunistischen Weges (ABG 2019/I, S. 26-40). In der Arbeiterbewegung Polens habe sie eine »sehr viel problematischere Rolle« gespielt. Dazu führt er vor allem die Konflikte zwischen der deutschen SPD, die ja in Preußen auch die polnischen Sozialisten zu erfassen bestrebt war, der SDKPiL als der Arbeiterpartei der vom russischen Zarenreich einverleibten ehemaligen Staaten Polen und Litauen, der ja auch R. Luxemburg und Leo Jogiches angehörten, und der polnischen Arbeiterpartei PPSzp an. Die SPD, so der Duktus Blancs, habe als de facto reformistische Partei schon seit 1893 eine Hegemonialposition bei der Interessenvertretung der zu Preußen gehörenden polnischen Arbeiterschaft angestrebt, die PPSzp kleingehalten und nicht zugelassen, dass diese auf die Unabhängigkeit Polens abzielende Forderungen massiv in die Arbeiterbewegung hineintragen konnte. Rosa Luxemburg habe dabei eine aktive Rolle gespielt und sich, so sein Vorwurf, der SPD-Parteibürokratie angedient. Man muss sich ganz sicher künftig mit dieser partiellen Neudeutung der Rolle Rosa Luxemburgs im Konflikt um die Rolle der polnischen Minderheiten in Preußen wie auch in Russland befassen. Anzumerken gilt aber, dass Blanc a priori von einer übergeordneten Rolle der Nation auch in den Kämpfen der Arbeiterbewegung ausgeht. Dies gilt für die Rolle der SPD, bei der er aber bezeichnenderweise auf eine Auseinandersetzung über die Rolle Preußens im Reich verzichtet, ebenso für die Frage, ob zunächst eine Wiederherstellung Polens und Litauens stattfinden müsse, um die Ziele der Arbeiterbewegungen zu erreichen. Das strategische Element dieser Auseinandersetzung bleibt außen vor, deshalb reißt der Beitrag Fragen zweifellos an, vermag aber nicht zu überzeugen. Dennoch wird die notwendige Debatte nicht ausbleiben. Rosa Luxemburg aber in die Reihe der Reformisten zu stellen, zumindest bis 1898 mit ihrer Schrift Sozialreform oder Revolution?, dürfte ein schwer nachzuvollziehendes Unterfangen bleiben.

Weitere Beiträge stammen von Patrick Böhm über die Haltung des DGB zum 17. Juni 1953, von Vincent Streichhahn, der die revolutionäre deutsche Linke im Rahmen des ›Kometenschweifs‹ der russischen Revolution betrachtet, und von Joachim Brenner, der die Vorbehalte des Sozialdemokraten Edmund Fischer (MdR) gegen die Emanzipationsbestrebungungen der Frauen untersucht. Auf drei Tagungsberichte folgen abschließend einundzwanzig Buchbesprechungen, die einmal mehr viele relevante und lesenswerte Neuerscheinungen näherbringen. Summa summarum: Einmal mehr ein Heft, das inhaltlich über dem Durchschnitt daherkommt und zur Debatte einlädt, auch wenn in dieser Nummer der rote Fraden etwas schwächer durchscheint.

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