
Ungelegene Gedenktage
von Johannes R. Kandel
In der Grundschule in den fünfziger Jahren hatten wir einen Klassenlehrer, der Geschichte und Deutsch unterrichtete. Er hatte den Zweiten Weltkrieg als junger Soldat überlebt und war dann ins pädagogische Fach gewechselt. Er war ein guter Lehrer und wenn er mitunter Geschichten aus dem Krieg erzählte, dann waren wir mucksmäuschenstill, weil es erschreckend aber spannend zugleich war. Am Ende des Unterrichts ließ er oft seine Geige erklingen und gab eine Vertonung von Schillers berühmten Versen aus dem Wilhelm Tell zum Besten:
Begeistert sangen wir mit. Unsere Eltern, denen wir das erzählten, haben sich nie beschwert. Das wäre heute völlig undenkbar, ein solcher Lehrer hätte sogleich die Elternschaft, das Lehrerkollegium und die Schulbehörde auf dem Hals: Rüge, Entlassung, Schmähung in den öffentlich-rechtlichen und sozialen Medien.
Patriotismus, geschweige denn Nationalismus, sind mega-out in unserer multikulturellen, kosmopolitischen Gesellschaft der offenen Grenzen und des postmodernen Dekonstruktivismus.
Die Stunde der Demokratie
von Ulrich Schödlbauer
Wenn Albträume wahr werden, nehmen sie die Gestalt politischer Führer an. Warum ist das so? Politik entspringt den Abgründen der menschlichen Existenz. Sie ist – im Kern, versteht sich – Überlebenskunst. Und da die Überlebensstrategie der meisten Leute sich darin erschöpft, sich an die Röcke und Hosenbeine anderer Leute zu klammern, besitzt auch Politik diese zwei Seiten – eine der klammernden Masse zugewandte, die ihr signalisiert, alles wird gut, und eine zweite, auf der Politiker vor allem an sich selbst und ihr Fortkommen denken. Was sie auf dieser abgewandten Seite alles denken, das wissen ihre Geldgeber vielleicht am genauesten, oder, wenn sie auf eigene Rechnung unterwegs sind, ihre Träume, nicht zuletzt ihre Albträume.
Zum Struktur-, Klima- und Wasserwandel in den deutschen Braunkohlerevieren
Gastbeitrag von Uwe Grünewald
Deutschland stellt sich mit großer Vehemenz das Ziel, bis zum Jahr 2038 vollständig aus der Braunkohleverstromung auszusteigen. Dazu gibt es vielfältige gesellschaftliche Diskussionen, staatliche Gesetzesinitiativen und finanzielle Regelungen. Vollkommen unterbelichtet scheinen dagegen die enormen wasserwirtschaftlichen Herausforderungen, die damit verknüpft sind, zu sein. Diese sind in den verschiedenen Revieren und Regionen zwar sehr unterschiedlich. Mit großem Besorgnis stellen aber Wissens- und Erfahrungsträger in den Revieren fest, dass die vielfältigen Aspekte der damit im Zusammenhang stehenden Vorsorge- und Nachsorgemaßnahmen (einschließlich der finanziellen Vorsorge) entweder gar nicht oder vollständig unzureichend in die bundes- und landespolitischen, partei- und regionalpolitischen sowie medialen Darstellungen eingehen. Die folgenden Ausführungen versuchen, aus der Sicht eines über mehrere Jahrzehnte vor allem in der Region Lausitz tätigen Fachwissenschaftlers und Hochschullehrers für Hydrologie und Wasserwirtschaft im Sinne eines ausgewogenen Risikomanagements (Risikoanalyse: Was kann passieren?; Risikobewertung: Was darf nicht passieren bzw. welche Sicherheit zu welchem Preis?; Risikoumgang: Wie kann mit dem Restrisiko bestmöglich umgegangen werden?; Risikokommunikation: Bestmögliche Vermittlung an die Öffentlichkeit) zur Aufhellung und Problembewältigung beizutragen.
Unten ohne auf dem Sprung
von Immo Sennewald
Gregor Gysi, Präsident der Europäischen Linken
Ja, die ›gesellschaftlichen Zwänge‹, möchte einer ausrufen und dem Genossen Gysi in diesem Falle verständnisvoll zunicken. Wer sich Tag für Tag als Kader im Anzug mit Schlips bewegen, die Rituale des Apparates befolgen, Konferenzstühle drücken oder gar in Uniform und militärisch strammer Haltung Wutausbrüche seines Vorgesetzten ertragen muss, kann sich innerlich aufrichten, sobald er sich den Hauptabteilungsleiter, Oberst, gar Genossen Minister nackt vorstellt.
Einem von ihnen unbekleidet gegenüberzustehen war in der DDR durchaus möglich, denn nirgendwo sonst auf der Welt war ›Freikörperkultur‹ – FKK – landesweit so verbreitet, massenhaft beliebt und selbst außerhalb von Saunen, Kleingärten, Stränden anzutreffen, wie im »sozialistischen Staat deutscher Nation«. So beschrieb Artikel 1 der Verfassung 1968 – noch zu Zeiten von Walter Ulbricht – das Herrschaftsgebiet der SED.
Alles wird wieder gut
von Herbert Ammon
Alle sind erleichtert über den Abgang Donald Trumps, alle sind bewegt und beglückt von der Inauguration Joe Bidens am sonnigen Wintertag des 20. Januar 2021. In seiner Rede, akzentuiert mit den in den USA üblichen religiösen/zivilreligiösen Formeln sowie mit einem stillen Gebet, hat Präsident Biden die Überwindung aller Zwietracht, die Einheit der Nation, ihre stolze Geschichte, und eine glückliche Zukunft beschworen. Alles werde wieder gut: Die Corona-Pandemie werde man überwinden, allen Bevölkerungsgruppen gerecht werden – das Stichwort lautete equity, nicht mehr equality –, dem historischen Auftrag Amerikas gemäß für Frieden und Gerechtigkeit in aller Welt wirken.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Die frei verwendeten Motive stammen von Monika Estermann, Renate Solbach und Ulrich Schödlbauer.