
von Herbert Ammon
Jörg Baberowski: Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich, München (Verlag C.H.Beck) 2024, 1370 Seiten
I
Hierzulande löst der Name Carl Schmitt – assoziiert mit der Negativfigur des ›Kronjuristen des Dritten Reiches‹ – gewöhnlich nur moralische Entrüstung aus. Grundlegend für Schmitts politische Theorie sind Begriffe aus dem Leviathan, dem Werk des Verteidigers des Stuart-Absolutismus Thomas Hobbes. Entgegen dem demokratischen Selbstbild – der im liberal-demokratischen Vertragsdenken kolportierten Vorstellung von der sich durch freie Übereinkunft und Wertbindung legitimierenden res publica– lautet einer der von Schmitt zitierten Kernsätze Hobbes’ Auctoritas, non veritas facit legem. Der große Leviathan ist der gemäß der Hobbesschen Theorie des Herrschaftsvertrags auf rationale Einsicht, de facto auf Unterwerfung gegründete Machtstaat. Dieser verfügt – wenngleich ›unter dem unsterblichen Gott‹ – als ›sterblicher Gott‹ über seine eigene Metaphysik: Er ist der Souverän. Er ist nicht den bürgerlichen Gesetzen unterworfen. Zugespitzt lautet der Satz bei Carl Schmitt: Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand verfügt. Zusammen mit dem als Freund/Feind-Verhältnis definierten Begriff des Politischen sind derlei Sätze in der politischen Bildung der Bundesrepublik tabu.
von Vade Retro
Was ist ein Hype? Wie bei Allerweltswörtern üblich, reicht die Bedeutung weit über das ursprüngliche Feld – in diesem Fall das der Werbung – hinaus. Sie reicht von gruppenbezogener ›künstlicher Aufregung‹ bis zu mittleren und schwereren Fällen von künstlich ausgelöster ›Massenpsychose‹, ›Massenhysterie‹ und dergleichen. Es handelt sich also um Emanationen der Massenpsyche oder dessen, was man dafür hält. Stutzig macht das Wort ›künstlich‹, es deutet an, dass eine ihren Vorteil suchende Instanz bei der Auslösung die Hand im Spiel hat und dabei bestimmte Zwecke verfolgt, jedenfalls dann, wenn sie bei Sinnen ist und nicht selbst einem Wahn unterliegt – was nicht per se auszuschließen ist.
von Boris Blaha
Die Reaktionen der alt-europäischen Eliten auf die Rede des amerikanischen Vizepräsidenten Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz und der Triumphzug, den sie dem ukrainischen Präsidenten Selenskyi nach dem Eklat, den dieser im Oval Office provozierte, ermöglichten, haben der US-Administration klargemacht: Die dominierende Klasse in den meisten Ländern der Europäischen Union ist sinnvollen Argumenten nicht mehr zugänglich. Amerikas Versuch, ihnen im 20. Jahrhundert ein paar ›basics in politics‹ nahezubringen, sind trotz umfangreicher militärischer und wirtschaftlicher Begleitbemühungen gescheitert. Die europäischen Eliten mussten derweil zur Kenntnis nehmen, dass die Trump-Administration weder die verschärften Zensurbemühungen noch den Notbehelf einer Wahlannullierung goutieren wird. Personalentscheidungen wie Kash Patel (siehe sein Buch ›Government Gangsters‹) dürften auch dem Letzten klar gemacht haben, dass der Anti-Korruptionszug vor den Toren Europas nicht haltmachen wird. Das Tischtuch ist zerschnitten.
von Herbert Ammon
Von Olaf Scholz’ historischer Leistung als Bundeskanzler wird – außer dem Verlöschen der Ampel – nur sein Beitrag zur politischen Rhetorik in Erinnerung bleiben. Nach Putins Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 sprach er bedeutungsschwer von einer ›Zeitenwende‹. Danach bereicherte er das politisch-mediale Vokabular mit dem plebejisch klingenden ›Doppelwumms‹.
Um Scholzens Nachlass, genauer: um die Bewältigung jener Zeitenwende, die nunmehr, akzentuiert durch Selenskyis Abfuhr im Weißen Haus, in Trumps Bemühen um einen Deal mit Putin im Raum der Tatsachen sichtbar wird, kümmert sich seit Beginn der Koalitionsverhandlungen die künftige schwarz-rote Regierung unter Friedrich Merz. Noch wissen wir nicht, wie die Regierungsämter verteilt werden sollen. Gut, Pistorius bleibt, aber bleibt auch Faeser, und wer löst Annalena und Habeck ab?
von Don Albino
Die Sonne, sagt man, scheint über Gerechte und Ungerechte. Ob die Regel auch dann gilt, wenn die Gerechten die Ungerechten und die Ungerechten die Gerechten sind, je nachdem, ob man den Medien Glauben schenkt oder der Realität, also wieder den Medien, zählt zu den Ungewissheiten, welche, gleichsam vom Paradies her, die Menschheitsgeschichte begleiten, und soll uns daher heute nicht wirklich kümmern. Die Wirklichkeit befindet sich eben im Zwiespalt, wie schon das gute alte Wetterhäuschen andeutet, bei dem bekanntlich auf der einen Seite ein Mann und auf der anderen eine Frau herausschaut. Es soll uns, zumindest heute nicht, täuschen, dass die Frau ein freundliches und der Mann ein grimmiges Wetter verheißt. Wir schreiben Montag, den ersten Bruar – das Fe lasse ich, als rostendes Stück Vorgeschichte, weg –, jenseits meines Frühstücksomelettes erhebt sich in fotogener Majestät der Sonnengott Helios aus der Kälte: ein unwiderlegliches Zeichen dafür, dass die Union, wie sie noch immer genannt wird, wieder in ihre ererbte Position als Haupt- und Staatspartei einzurücken gedenkt.
Seite 1 von 6
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G