
von Ulrich Schödlbauer
Das große Karthago, orakelte einst Bertolt Brecht, führte drei Kriege. Nach dem ersten war es noch mächtig. Nach dem zweiten war es noch bewohnbar. Nach dem dritten war es nicht mehr aufzufinden. Lange Zeit galten die Sätze als Menetekel des in zwei Weltkriegen besiegten Deutschland, dann, mit steigenden Nuklearkapazitäten der Supermächte, Europas und der menschlichen Zivilisation insgesamt. Inzwischen versetzt der Russland-Ukraine-Krieg, dem Moskau das Etikett ›Krieg‹ hartnäckig verweigert, den dominierenden Teil der Nato-Eliten in einen Rausch der Angstlosigkeit, angesichts dessen der andere Teil sich noch immer erstaunt-verzweifelt die Augen reibt. Soviel Unbedarftheit war nie.
von Ulrich Schödlbauer
Ich glaube, endlich habe ich die Lektion meines Körpers begriffen. Ich schlage mich auf die Seite der ›unfassbar vielen‹ Impftoten und gehe der Frage nach, warum sie sterben mussten und weiter sterben, während die anderen so weiterleben, wie sie es offenbar tun. Mit anderen Worten: Was noch kommt, sind meine Mémoires d'Outre-Tombe. Ich habe das nicht gewollt. Es hat sich ergeben, so wie sich Dinge im Raum ordnen, bloß durch die Schwerkraft. Man kann jenseits des Grabes leben, aber nicht jenseits der Schwerkraft, jedenfalls nicht auf diesem Planeten. Man kann versuchen sie aufzuheben, wie es Techniker tun. Es gibt Techniker des Sozialen, damit beschäftigt, die Kraft des Geschlechts aufzuheben – sie haben es geschafft, in die Regierungsapparate vorzudringen, aber die Resultate sind mager. Das Verhältnis von Aufwand und Ergebnis bleibt unbefriedigend. Apropos befriedigend … es gibt nichts Unbefriedigenderes als soziale Befriedigung, die mit der sexuellen kollidiert. Es gibt überwältigende Momente, aber auf Dauer … wird das nichts. Auch mit dem Verschweigen der Opfer wird das nichts. Eigentlich hat man es immer gewusst. Man hat andere überfahren und sich selbst, das klingt anders als ›übergangen‹, aggressiver, weit aggressiver, es riecht nach Aggression, that’s it. Es riecht nicht gut, was jetzt hochkommt.
von Ulrich Schödlbauer
Wer täglich erfährt, wie sich die spielerische Erprobung der Differenz an den sogenannten ›Realitäten‹ bricht, der bildet leicht einen Respekt vor der Wirklichkeit aus, in dem die Kluft zwischen den Möglichkeiten des Einzelnen, sich zu unterscheiden, und den Unterschieden, die ohne ihn gemacht werden, deren Wirksamkeit er aber am eigenen Leib erfährt, unüberbrückbar geworden ist. Die anonyme Kommunikationsgesellschaft, die dem Bedürfnis nach einer bunteren Welt entgegenkommt, verschärft diese Disposition, weil sie Distanz gleichermaßen aufhebt wie schafft. Die mediale Präsentation von Fernverhältnissen, als seien es Nahverhältnisse, erzeugt jenen Orientierungsraum, in dem alle erdenklichen Optionen zwar gegenwärtig (und insofern real), aber nicht reell sind. Medienkonsumenten geht es da nicht anders als den Lesern historischer Romane, die sich als immaterielle Begleiter im Nahfeld eines Personals einnisten, welches ›in Wahrheit‹ längst verstorben und mitsamt der Konstellation, die sie hervorgebracht hat, im Abgrund der Zeit verschwunden ist.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2023 Monika Estermann: Lascaux