von Holger Czitrich-Stahl

Wie über Paul Singer, Georg Ledebour, Arthur Stadthagen oder Kurt Rosenfeld lässt sich leider auch über Paul Levi (1883-1930) feststellen, dass Leben und Werk dieses bedeutenden Sozialisten der späten Kaiserzeit, der Novemberrevolution und der Weimarer Republik weitgehend in Vergessenheit geraten sind. Allein die in Ursprünglichkeit in Berlin, jetzt in Dortmund erscheinende linkssozialdemokratische ›Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft‹ (spw) erinnert durch ihren Namen seit rund vier Jahrzehnten an jene politische Zeitschrift, die Paul Levi 1923-1928 herausgab und die fortan mit dem ›Klassenkampf‹ von Max Seydewitz, Kurt Rosenfeld etc. fusionierte und den marxistischen Flügel der SPD programmatisch repräsentierte. Dass Thilo Scholle, ehemaliges Bundesvorstandsmitglied der Jungsozialisten in der SPD und Redakteur der aktuellen spw jüngst eine 82seitige handliche und hervorragend lesbare Kurzbiographie Paul Levis veröffentlichte, ist somit zu begrüßen. Diese Schrift, erschienen in der Reihe ›Jüdische Miniaturen‹ als Band 206 bei Hentrich und Hentrich, steht im Kontext der Rekonstruktion der umwälzenden Entwicklungen von 1917-1919, die als russische Oktoberrevolution und als Novemberrevolution in Deutschland das politische Antlitz Europas und der Welt für Jahrzehnte veränderten. Der Autor verweist in seinen einleitenden Bemerkungen auch auf die Desiderate der Levi-Forschung; immerhin befindet sich seit kurzem eine Gesamtausgabe in der Erarbeitung.

Paul Levi galt vielen seiner Zeitgenossen als ein ›echter‹ Sozialist, als ›der letzte Ritter‹ einer klassenkämpferisch ausgerichteten Politik der Sozialdemokratie. Dabei suchte auch er lebenslang seinen Platz im Gefüge der Strömungen der Arbeiterbewegung: allein fünf Parteibücher beinhaltet sein Nachlass. 1909 trat er der SPD als junger Rechtsanwalt bei, gehörte nach dem 4. August 1914 zur ›Gruppe Internationale‹ um Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, wurde Mitglied der USPD, mitbegründete dann zum Jahreswechsel 1918/19 die KPD und war zeitweilig ihr von Lenin heftig attackierter Vorsitzender, verlor die KPD-Mitgliedschaft und kam über die KAG (Kommunistische Arbeitsgemeinschaft) wieder zur USPD zurück, um sich im Herbst 1922 mit ihr und der MSPD zur vereinigten SPD zusammen zu schließen. Als Reichstagsmitglied vertrat er demnach erst die KPD, dann die KAG, die USPD und dann die SPD. Dabei blieb er fortwährend ein streitbarer und unabhängiger Geist, der sich nicht vereinnahmen ließ und so zu einer Führungsfigur des Linkssozialismus reifen konnte. Sein tragischer Tod als Folge einer bösen Lungenentzündung beendete das Leben eines Menschen und Politikers, das somit bedauerlicherweise unvollendet blieb. Am 9. Februar 1930 stürzte Paul Levi aus dem Fenster seiner Dachgeschosswohnung am Berliner Lützowufer. Ob er den Freitod wählte, da Alpträume und Fieberwahn ihn zermürbten oder ob es sich um einen Unglücksfall handelte, ist ungeklärt. Als unwidersprochen aber galt in den Augen seiner Freunde, dass sein Tod eine tiefe Lücke in der sozialistischen Bewegung aufriss, ja, dass sein Tod den Tod der Demokratie ein Stück weit vorwegnahm.

Paul Levi hinterließ keine opulenten theoretischen Werke wie seine Freundin und Mandantin Rosa Luxemburg, sondern zahlreiche Reden, Schriften, Artikel und Kommentare politischer und juristischer Observanz, die dennoch die Zeitläufte aus einer dezidiert marxistisch-sozialistischen Perspektive widerspiegeln und deuten. Paul Levis Priorität galt der Herstellung der Einheit einer handelnden Arbeiterbewegung, die gegenseitigen Abgrenzungen zwischen SPD und KPD waren seine Sache nicht. Er begriff Demokratie nicht allein auf ihrer politischen Ebene, sondern als umfassendste Form der Selbstorganisation der Gesellschaft im Interesse der Arbeiterschaft und der abhängig Beschäftigten. Auch der Sozialismus war für Paul Levi ohne Demokratie nicht vorstellbar. Deshalb veröffentlichte er nach dem Ende seiner KPD-Mitgliedschaft und seiner Dauerkonflikte mit Lenin Rosa Luxemburgs Schrift ›Zur russischen Revolution‹ 1922. Doch sein Schaffen hat mehr zu bieten. Es ist Thilo Scholles Verdienst, uns auf den Geschmack gebracht zu haben.

 

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