von Till Philip Koltermann
Wolfgang Kaufmann: Das Dritte Reich und Tibet. Die Heimat des ›östlichen Hakenkreuzes‹ im Blickfeld der Nationalsozialisten. Zugleich Dissertation FernUniversität Hagen 2008, Ludwigsfelde (Ludwigsfelder Verlagshaus) 2012, dritte überarbeitete Auflage, 966 Seiten.
Die spezifische Faszination für den Himalaya, das höchste Bergmassiv der Welt, ist ein Kontinuum der deutschen Geschichte. Tibet ist wohl bis heute, aller politisch-historischen Entwicklung um den chinesisch-tibetischen Konflikt zum Trotz, weiterhin das Synonym für den Fluchtpunkt aller Zivilisationskritiker und Lebenssinnsuchenden.
Die abenteuerlichen Forschungsberichte von Sven Hedin und Wilhelm Filchner, aber auch Herbert Tichys Beschreibung seiner Reise Zum heiligsten Berg der Welt (1937), dem Kailas, bestimmten die Perspektive des deutschsprachigen Europas auf das Hochplateau. Die alpinen deutschen Himalaya-Expeditionen trugen in den 30er Jahren zur Intensivierung des deutschen Interesses an Tibet bei. Die Popularisierung Tibets, das seit jeher eine ›magische‹ Anziehungskraft ausstrahlt und die archaische Verschmelzung des Menschen mit der überwältigenden, vermeintlich göttlichen Naturgewalt symbolisiert, hat ihre Anfänge schon weit vor Hitlers Machtübernahme. Sobald man sich mit der deutschen Sehnsucht nach dem Himalaya beschäftigt, erkennt man, dass Faszination und Tragik, Größenwahn und Schrecken in dieser Beziehungsgeschichte eng verknüpft sind. Schon der erste deutsche Forschungsreisende, der den Himalaya erreichte, Adolf Schlagintweit, fand ein furchtbares Ende als er 1857 in Kaschgar von dem turkestanischen Wali Khan enthauptet und sein Kopf zur Abschreckung in eine Schädelpyramide eingefügt wurde.
Die spektakulären deutschen Nanga Parbat-Expeditionen 1934 und 1937 endeten in Katastrophen. 1934 fand der deutsche Expeditionsführer Willy Merkl, gemeinsam mit seinem Sherpa Gay Lay, eingeschlossen in einer Höhle auf über 6000m Höhe, einen eisigen Tod. Drei weitere Deutsche und fünf Tibeter fielen dem fatalen Wetterumschwung zum Opfer. Eine Lawine tötete 1937 auf einen Schlag die meisten Bergsteiger der Nachfolgeexpedition. Der scheinbar unbezwingbare Berg des Karakorum-Himalaya-Massivs wurde in den alpinistischen Berichten zu einem personalisierten Feind des Übersinnlichen, der sich dem ›Angriff‹ des Grenzen überwindenden NS-Ideals des heroischen Menschen immer wieder erwehrte. So wurde der Nanga Parbat bis zur Erstbesteigung 1952 und letztendlich bis heute im kollektiven Gedächtnis zum ›Schicksalsberg der Deutschen‹. Nach dem Krieg waren es Bücher wie Heinrich Harrers Sieben Jahre in Tibet (1952) und Fernsehformate wie Hajo Baumanns Reisen durch Ost-Tibet, die faszinierten. Unter dem charakteristischen Titel Dämonen auf dem Dach der Welt trugen die ›Terra X‹-Folgen Tibet - unbekanntes Land und Expedition zum Schneejuwel (Ursendung 1989, VHS 1992) maßgeblich zur mystisch-romantischen Verklärung Tibets und seiner Bewohner bei. In seinem Dokumentarfilm führte Baumann auch ein Interview mit dem Zoologen Ernst Schäfer, dem Leiter der SS-Tibet Expedition von 1938/39. In Unkenntnis oder naiver Ignoranz der NS-Vergangenheit seines Gesprächspartners stilisierte er Schäfer bewundernd zum »großen Forscher«, zum »ganzheitlichen Wissenschaftler, der die okkulten und geistigen Phänomene im Schneeland aus der Perspektive des zivilisationsgeschädigten Menschen« beschrieben habe (Terra X: Von Atlantis zum Dach der Welt, 1988, S. 264).
Generationen übergreifend wurde die deutsche Bevölkerung von den Werken des schwedischen Zentralasienforschers Sven Hedin geprägt. Im Dritten Reich erreichte sein Buch Eroberungszüge in Tibet (1940), das er der »Jugend Großdeutschlands« widmete, höchste Auflagen. Aus dem Vorwort zur Neuausgabe seiner populären Reisebeschreibung Transhimalaya, 1952 kurz vor seinem Tod erschienen, lässt sich ersehen, welche nachhaltige Wirkung seine Bücher hatten. Hedin schrieb: »Die Generation Deutscher, die im Jahr 1909 Transhimalya gelesen hat, ruht meist im Grabe. Viele haben in den beiden gewaltigsten Kriegen, die die Geschichte erlebt hat, ihr Leben dem Vaterland geopfert! Eine neue Generation ist herangewachsen, und für die meisten jetzt lebenden Deutschen ist Transhimalaya ein unklarer Begriff, vielleicht sogar etwas ganz Unbekanntes. Ein großer Teil der ersten Auflagen ist in brennenden Städten vernichtet worden. Wie oft erhalte ich Briefe von bekannten und unbekannten Deutschen, die den Verlust des Buches bedauern und auf eine neue Auflage hoffen«.
Auch das hier zu rezensierende Werk von Wolfgang Kaufmann hat wohl nicht zufällig schon in kurzer Zeit drei Auflagen erlebt. Hatte Mierau bereits 2005 in seiner Dissertation Nationalsozialistische Expeditionspolitik die Geschichte des Alpinismus und der deutschen Himalaya-Forschungsreisen wissenschaftlich aufgearbeitet, liegt nun erstmals eine erschöpfende Studie zu den politischen Beziehungen des Dritten Reiches mit Tibet vor.
Kaufmanns Buch ist ein Ereignis. Auf rund tausend Seiten erschließt der Autor, akribisch recherchiert, auf Grundlage unbearbeiteter umfangreicher Archivalien aus Deutschland, Russland, England und den USA wissenschaftliches Neuland und leistet einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der NS-Außenpolitik. Hinzu kommt eine umfangreiche Einbindung von mühsam-zeitaufwendig aufgespürten NS-Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln. Das 84-seitige Literaturverzeichnis ist von einer beeindruckenden Vollständigkeit. Für kommende Auflagen sollten zur Aktualisierung allerdings noch die neueren Studien von Koltermann (Der Untergang des Dritten Reichs im Spiegel der deutsch-japanischen Kulturbegegnung, Wiesbaden 2009) sowie von Maltarich (Samurai and Supermen. National Socialist Views of Japan, Bern 2005) zu den deutsch-japanischen Beziehungen einbezogen werden. Kaufmanns Veröffentlichung steht somit ganz im Zeichen einer Reihe von kürzlich erschienenen Publikationen, die Forschungslücken im Verhältnis des Hitler-Regimes zu seinen tatsächlichen und vermeintlichen Verbündeten schließen. Hier sind die Studien von Jörg Hiltscher zu den deutsch-türkischen Beziehungen (2011) sowie die Studie von Oule Silvennouinen (2010) zur deutsch-finnischen ›Waffenbrüderschaft‹ zu nennen.
Kaufmanns Dissertation gliedert sich in zehn Teile. Zunächst wird die bisherige Literatur zu Tibet einer kritischen Wertung unterzogen. Der Autor spart hier auch die kaum noch überblickbare pseudowissenschaftliche und esoterisch anmutende Literatur nicht aus. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er die Lektüre einer Masse von populärwissenschaftlichen, oft tendenziösen Werken, die, wie Trimondis Hitler-Buddha-Krishna (2002), meist ein schwer durchschaubares Konglomerat an Dichtung und Wahrheit enthalten, einer kritischen Prüfung unterzieht und auf ihren wissenschaftlichen Wert hin untersucht. Kaufmann spricht in seinem Buch eine Fülle von Fragen und Forschungsentwicklungen an, die von allgemeinem Interesse für die NS-Forschung sind. Ausführlich thematisiert er die Historiker-Debatten um das außenpolitische Konzept und die Genese des NS-Regimes (Weltherrschaft oder kontinentale Begrenzung). Er weist die ohnehin umstrittene Auffassung zurück, dass Hitler als allmächtiger Führer grenzenlos herrschen konnte und stellt die NS-Polykratie mit ihrem Kompetenzwirrwarr in den Mittelpunkt seiner Untersuchung. Ferner belegt er, dass Hitler sich kaum für Tibet interessierte und die Beziehungsgeschichte zwischen Drittem Reich und Tibet federführend von Reichsführer SS Heinrich Himmler getragen wurde. Hatte die von Longerich 2008 vorgelegte Biographie Himmlers ausgeprägtes Interesse für Zentralasien und sein ambivalentes Verhältnis zu Japan schlicht ignoriert, schließt nun die Studie von Kaufmann diese Lücke.
Die einführenden Kapitel beleuchten »die weltanschauliche Relevanz und propagandistische Behandlung des Phänomens Tibet« (S. 100-195). Der Verfasser legt erstmals eine Geschichte des Buddhismus und Lamaismus in Deutschland von Leibnitz bis Hitlers Tod vor. Er weist nach, dass buddhistische Religionsgemeinschaften im Dritten Reich weitgehend unbehelligt wirkten und sich dem System sogar andienten, das seinerseits von diesen kleinen Gruppen einen Beitrag zur religiösen Verunsicherung christlicher Religionsgemeinschaften erhoffte (S. 143-164). Im vierten und fünften Teil widmet sich der Verfasser auf 270 Seiten der Rolle Tibets in den Geistes- und Naturwissenschaften des Dritten Reiches und beleuchtet die Bedeutung der Himalaya-Theokratie für die NS-Außenpolitik. Kaufmann spricht von dem »nach immer umfassenderen Zuständigkeiten gierenden Chef des Schwarzen Ordens« (S. 421f.), der intendierte eine dynamische Konkurrenz zu Ribbentrops statischer Außenpolitik zu entfalten.
Himmler betrachtete Tibet als den Mittelpunkt des »arisch-nordischen Kulturgürtels« (S. 120) und erhoffte, eine Germanisierung des buddhistischen Reinkarnationsgedankens zu verwirklichen (S. 175). Diese Pläne Himmlers zur Wiederbelebung einer vorchristlichen germanischen Religion unter Rückgriff auf buddhistisch-lamaistische Glaubenselemente erweckten naturgemäß das Befremden Hitlers. Zu dessen christlich-verbrämter und sozialdarwinistisch-diffuser Religiosität liegt seit 2008 das 1200-seitige Standardwerk Hitlers Kriegsreligion von Thomas Schirrmacher vor.
Die berühmt-berüchtigte SS-Tibetexpedition von Juli 1938 bis Juli 1939 unter der Schirmherrschaft von Himmlers ›SS-Ahnenerbe‹ steht im Fokus der Untersuchung Kaufmanns. Schließlich handelt es sich hier um den einzigen direkten offiziellen Kontakt zwischen dem theokratischen Tibet und dem NS-Regime. Kaufmann gelingt es, mit einigen Mythen, die sich um diese Forschungsreise ranken, aufzuräumen. Die Expedition unter Leitung Ernst Schäfers gelangte bis nach Lhasa und mühte sich vergeblich, in Tibet das Kernland des ›arischen Menschen‹ zu lokalisieren. Natürlich musste das im Himalaya allgegenwärtige (und letztlich weltweit verbreitete) Hakenkreuzsymbol herhalten, die geistig-weltanschauliche Allianz der Tibeter mit dem Nationalsozialismus zu beschwören. Die Expedition verband politische und wissenschaftliche Zielsetzungen und versuchte, sowohl die Regierung als auch Oppositionskräfte für ein antienglisch-antikommunistisches Bündnis zu gewinnen. Die Bedrohung Tibets durch den chinesischen Kommunismus und die Sowjetunion weckten auch ein tibetisches Interesse an diplomatischen Kontakten mit dem Dritten Reich. Auf die knappen Grußbotschaften des tibetischen Regenten Rwa vom März 1939 reagierte Hitler jedoch überhaupt nicht (S. 435, 442). Verständlicherweise kann Kaufmann die tibetische Perspektive aufgrund der vielfältigen Umwälzungen in der modernen Geschichte Tibets, denen der Großteil originaler Quellen zur Vernichtung anheimgefallen zu sein scheint (S. 61-64), nur durch den Filter der SS-Berichte und Einbeziehung englischer Spionageauskünfte rekonstruieren. Doch das Bild, das diese externen Quellen zeigen, ist eindeutig. Die SS-Expeditionsmitglieder gerierten sich als Musterbeispiele interkultureller Kompetenzlosigkeit, brüskierten den tibetischen Klerus und missachteten durch ihre pausenlosen Tötungen von Tieren die Landessitten. Insbesondere in ihrer Film- und Fototätigkeit bewiesen sie ein rassistisches Herrenmenschentum, das in voyeuristisch-sexueller Ausbeutung tibetischer Frauen seinen abstoßenden Höhepunkt fand. In völliger Verkennung des verheerenden Eindrucks, den sie hinterließen und berauscht von dem Erfolg, als erste Wissenschaftler überhaupt in Lhasa gewesen zu sein, glaubten sie, dass ihre Forschungsreise zur Freundschaft zwischen Tibet und dem Dritten Reich beigetragen habe. Nach US-Geheimberichten hegte Himmler 1941 die wahnsinnige Idee, den Wiener Südostasien-Korrespondenten Tichy den bis heute unbestiegenen als heiligsten Götterberg geltenden Kailas in Osttibet erklimmen zu lassen; offenbar in der Absicht für den Nationalsozialismus zu werben. Eine solche NS-›Großtat‹ hätte in Tibet nicht nur Entsetzen und Abscheu, sondern auf unabsehbare Zeiten eine Deutschenfeindlichkeit der Bevölkerung zur Folge gehabt (S. 551f).
Die bereits seit Hans-Joachim Langs Buch Die Namen der Nummern (2004) bekannte Verstrickung führender Expeditionsteilnehmer in den Holocaust wird von Kaufmann mit neuem Quellenmaterial weiter konkretisiert. Schäfers Kollege, der Rassenkundler Bruno Beger, reiste im Juni 1943 im Auftrag des SS-Ahnenerbes ins Vernichtungslager Auschwitz, um jüdische Häftlinge und Gefangene mit »asiatischen Rassemerkmalen« für Forschungszwecke zu vermessen sowie Gesichtsmasken anzufertigen. 109 jüdische Opfer wurden im August 1943 im elsässischen KZ Natzweiler-Struthof durch Gas ermordet. Ihre Skelette sollten in eine Sammlung der Reichsuniversität Straßburg zur Dokumentation jüdischer Rassemerkmale eingefügt werden (S. 699-706). Ernst Krause, Kameramann von Schäfers Expedition, riss sich um den Auftrag, die nahezu sicheren Tötungen von KZ-Insassen in medizinischen Unterdruckexperimenten filmen zu dürfen. Schäfer zeigte sich von all diesen inhumanen Vorgängen unbeeindruckt und beglückwünschte Beger, der wiederum bedauerte, dass Krauses filmische Kompetenz bei den Menschenversuchen in Dachau unberücksichtigt blieb (S. 321).
Im sechsten und siebten Teil der Arbeit untersucht Kaufmann die infolge der Kriegswende 1941/42 gescheiterten Planungen Himmlers, in Tibet eine Basis für Störunternehmungen gegen Britisch-Indien zu errichten. Zudem thematisiert er die propagandistische Ausnutzung des Themas Tibet in Presse und Film, die massiv erst Ende 1942 einsetzte. Der Vorstoß deutscher Truppen bis zum Kaukasus bei gleichzeitiger Offensive der Japaner in Burma befeuerte den Traum von einem Zusammentreffen der Achsenpartner auf dem Dach der Welt. Der sog. Kulturfilm Geheimnis Tibet der Schäfer-Expedition und eine »exorbitante Intensivierung der auf Tibet bezogenen Berichterstattung« (S. 565) dienten ab Dezember 1942 auch zur exotischen Ablenkung der Bevölkerung vom Stalingrad-Debakel. Wertvolle Beiträge liefert das Buch auch zu den noch immer unvollständigen Biographien der berühmten Zentralasien-Forscher Sven Hedin und Wilhelm Filchner. Diese Universalwissenschaftler, denen es wie nur wenigen Forschern gelang, durch literarisches Talent die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Leistungen in abenteuerlichen Reiseberichten breitenwirksam bekannt zu machen, gerieten nach dem Krieg in Vergessenheit, weil beide Entdecker von den Nationalsozialisten instrumentalisiert und vereinnahmt wurden. Dies gilt besonders für Hedin, der Hitler und den Nationalsozialismus, trotz distanzierter Kritik der Judenpolitik, bewunderte. Charakteristisch für Hedin war Zeit seines Lebens eine unerschütterliche Germanophilie, die alle erlebten politischen Systeme Deutschlands überdauerte.
Ausführlich schildert Kaufmann Schäfers starke, von übersteigertem Geltungsbewusstsein geprägte Persönlichkeit. Schäfer sah sich schon als legitimen Nachfolger Sven Hedins, der sich daraufhin von dem ehrgeizigen SS-Forscher distanzierte. Solche Querelen waren aber von begrenzter Dauer. Hedin gestattete, dass das im Januar 1943 vom SS-Ahnenerbe in München gegründete »Reichsinstitut für Innerasienforschung« unter Schäfers Leitung seinen berühmten Namen tragen durfte.
Abgründig und charakteristisch für die SS-Wissenschaft erscheinen die von Kaufmann geschilderten zoologischen und rassenkundlichen Forschungen. Die durch das absehbare Kriegsende bald absurd werdenden Versuche zur Zucht einer widerstandsfähigen eurasischen Pferderasse zur Eroberung der sowjetischen Steppen, dessen Endziel das robuste Mongolenpferd Dschingis Khans sein sollte, zogen sich ergebnislos bis in die letzten Kriegsmonate hin. In hybridem Stolz ließ Beger über seine Mongolen-Rassenforschungen an Kollaborateuren und Kriegsgefangenen, die auf eine Genese des »Kampfwertes« innerasiatischer Völker herausliefen, im September 1944 mitteilen, dass diese Forschungen nicht zu spät, sondern »zu früh« kommen würden (S. 710). Diese Episode spiegelt das irrationale Zeitgefühl und Geschichtsverständnis der SS-Wissenschaftler wider, die der wahnhaften Überzeugung frönten, dass zyklisch über die Jahrhunderte ›Mongolenstürme‹ aus den Steppen Zentralasiens über Europa herfallen würden, die es durch vorbeugende Forschung abzuwehren gelte.
Der achte Teil des Buches beleuchtet die Themen Tibet, die asiatische Gefahr und die Utopie von der deutschen Weltherrschaft. Je prekärer die Kriegslage wurde, um so phantastischer wurden auch die SS-Planungen für zukünftige Kriege. Himmler wandelte sich, wie Kaufmann aufzeigt, ab 1943 von einem Bewunderer der opferbereiten japanischen Kriegskultur zu einem Mahner vor Japans ausufernder Expansion. Für den Reichsführer war Tibet das potentielle Schlachtfeld der Zukunft, Japans und Deutschlands ›Endsieg‹ vorausgesetzt. Solange die Japaner in Burma kämpften, blieb auch Tibet bis zur japanischen Niederlage bei Imphal Ende 1944 ein Dauerthema in der deutschen Presse. Ob es, wie Kaufmann auf Grundlage der SS-Planungen spekuliert, bei einem Sieg der Achsenmächte tatsächlich zu einem deutsch-japanischen Antagonismus oder gar zu einem Krieg der beiden Verbündeten untereinander um die Weltherrschaft gekommen wäre, muss offen gelassen werden. Schließlich hätte, neben Reichsministern und Befehlshabern aller Waffengattungen, ›Führer‹ Hitler, dessen Bewunderung und Unterstützung Japans bis in die letzten Kriegstage hinreichend belegt ist, bei so einer weitreichenden Entscheidungsfindung ein gewichtiges Wort mitzureden gehabt.
Vielleicht werden zukünftige Einzelstudien über das Verhältnis der deutschen Teilstreitkräfte zu Japan weiteren Aufschluss geben. Zu Recht weist Kaufmann auch darauf hin, dass die japanischen Weltherrschaftsbestrebungen in der Forschung allenfalls kursorisch abgehandelt, heruntergespielt oder einfach ignoriert werden. In diesem Kontext sind die 1942 einsetzenden ergebnislosen japanischen Geheimmissionen nach Tibet, denen das Kriegsende 1945 zuvor kam, zu erwähnen (S. 712-719).
Die abschließenden Kapitel beleuchten die Aktivitäten der deutschen Tibetspezialisten in der Endphase des Krieges und in der Nachkriegszeit. Hier sind landwirtschaftliche Zuchterfolge mit der Tibet-Gerste in den letzten Kriegswochen hervorzuheben. Die Lebenswege verliefen unterschiedlich. Schäfer und der erheblich belastete Beger wurden kaum belangt. Allein den Tibetologen Hoffmann und Schubert gelang es, auf Lehrstühlen im geteilten Deutschland ihre Karriere im Wissenschaftsbetrieb fortzuführen.
Im Anhang liefert Kaufmann ein Glossar fremdsprachiger Termini und Umschriften sowie auf rund 70 Seiten teils umfangreiche biographische Angaben zu Personennamen. Kritisch ist anzumerken, dass das Buch zwar Verweise auf Kartenwerke enthält (S. 12), doch leider gänzlich ohne Illustrationen oder eine hilfreiche Übersichtskarte der Region aufwartet. Im Anhang hätte man sich die tibetischen Grußbotschaften an Hitler im Original mit Übersetzung gewünscht. Das Literaturverzeichnis ist in zahlreiche Kategorien untergliedert, wodurch das Aufspüren der Quellen verkompliziert wird. Leider fehlt ein Index, der bei diesem voluminösen Buch wünschenswert gewesen wäre. Auch das Layout des Buches hätte attraktiver gestaltet werden müssen. Diese Versäumnisse sollte der Verlag in kommenden Auflagen nachholen. Das Buch ist flüssig, anschaulich und spannend geschrieben. Manche bildhafte für die NS-Protagonisten verwendeten Formulierungen wie »Möchtegern-Chefideologe, anwettern, lechzend, dreist« tragen zwar zur Lebendigkeit der Darstellung bei, stehen aber mitunter im Kontrast zu dem allgemein sachlichen Stil der Arbeit. Für die Zukunft ist zu hoffen, dass Kaufmanns Studie, die Maßstäbe für eine exakte und umfangreiche Grundlagenforschung setzt, auch weitere Arbeiten anregen kann. Zu geographisch-thematisch naheliegenden Desideraten der Forschung gehören neben populären deutschen Forschungsreisen in andere zentralasiatische Gebiete (wie Wilhelm Karl Herrmanns Ritt für Deutschland 1937/38 durch Nordwestchina), die NS-Beziehungen zu Guomindang- und Nanjing-China 1940-45, die geopolitische Bedeutung der Mongolei im Zweiten Weltkrieg und die Aufarbeitung der deutschen Diplomatie im japanischen Satellitenstaat Manchukuo 1938-45. Kaufmanns Buch ist weiteste Verbreitung zu wünschen. Es wird auf lange Sicht das Standardwerk zu den deutsch-tibetischen Beziehungen bleiben.
(Auch erschienen in: Jahrbuch für europäische Überseegeschichte 12 (2013), S. 277-283. Wiesbaden: Harrassowitz.)