von Immo Sennewald
Wer aus der Geschichte nicht lernen wolle – so heißt es – sei dazu verdammt, ihre Wiederkehr zu durchleiden. Gemeint sind natürlich vom Menschen verschuldete historische Katastrophen. Die zweifellos tödlichsten waren Zeiten totalitärer Herrschaft: Die von Kommunisten, die Marx, Lenin, Stalin, Mao, Pol Pot … folgten, ebenso die von Politbürokraten, deren Sozialismus – hinter allerlei Masken getarnt – Menschen massenhaft zur Gefolgschaft verführte: als nationaler, ›real existierender‹, ›demokratischer‹.
Die bis heute gefälligste Maske ist die des ›Sozialismus mit menschlichem Antlitz‹. Hier konnte sich jeder als Menschenfreund fühlen, denn er propagierte wie alle anderen, dass er die ›Ausbeutung des Menschen durch den Menschen‹ abschaffen wolle.
von Ulrich Schödlbauer
Am Dritten sind wir alle vereint.
Zu dem da fällt mir nichts mehr ein. Keine Sorge, ich werde mich nicht selbst Lügen strafen. Zu den Zuständen, die nur deshalb herrschen, weil niemand sie abstellt, ist aus meiner Sicht vorerst alles gesagt. Ich widerspreche nicht, wenn andere meinen, man müsse alles Gesagte immerfort wiederholen, damit es endlich ins Volk oder in die Psyche der Entscheidungsträger vordringt. Wenn ich mich nicht daran beteilige, dann deshalb, weil auch mich Pflichten binden. Damit wir uns recht verstehen: Das bedeutet keineswegs automatisch, es gäbe hier und heute Besseres zu tun. Ganz sicher bedeutet es das nicht – schon deshalb nicht, weil das da einschließt, dass nichts Besseres bleibt, gleichgültig, ob zu tun oder zu lassen. Allenfalls der Betrachtung bleibt es erlaubt, verstohlen auf ein Besseres hinzuweisen, das hinter den Kulissen oder darüber schwebt, ohne dass mit Sicherheit gesagt werden könnte, ob es sich um eine Fata Morgana handelt oder ein Inbild, denn Sicherheit – damit kehre ich auf vertrauten Boden zurück – Sicherheit existiert nirgends. Deutschland zerfällt – die Phrase ist allgegenwärtig. Auch Phrasen können wahr sein.
von Boris Blaha
Das Bonmot stammt von Nietzsche: »Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein«. Wer diesem Blick nicht standhält, kann nicht verstehen, was auf dem Spiel steht. Wenn einer nach 25 Jahren im Ausland heute nach Deutschland zurückkommt, erkennt er sein Land nicht wieder. Im Zug bittet der Schaffner eine Gruppe von Fahrgästen, kurz auf seine weibliche Kollegin aufzupassen, er müsse nach vorne, um die nahende Ankunft in der nächsten Station durchzusagen. Ein Blick in das Gesicht seiner Kollegin verrät: Wenn sie morgens ihren Dienst im Zug antritt, weiss sie nicht, ob sie abends körperlich und seelisch unversehrt nach Hause kommt. Ist man ausgestiegen, empfangen selbst die architektonisch reizvollen Bahnhöfe den Heimkehrer mit dem Charme vermüllter Hinterhöfe, die nach Urin stinken. Die Menschen wirken gehetzt und unwillig, es herrscht eine misstrauische und unterschwellig aggressive Stimmung. Die meisten ziehen die Schultern ein.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G