von Ulrich Schödlbauer
Wie immer man die Bauernfrage dreht und wendet – ihre Anschlussfähigkeit stellt sie mit jedem Tag, der vergeht, stärker unter Beweis. Der von Verarmungsängsten geplagte Mittelstand und Teile der Großindustrie sind innerlich und äußerlich längst mit von der Partie und wer noch trödelt, hat vielleicht den Schuss nicht gehört oder verdient sich mit dem Angstszenario der anderen gerade eine goldene Nase.
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Welche Frage? Gerade das irritiert die Ampel: Ihre Belehrungen scheinen geradewegs ins Leere zu laufen. Sie gilt auch weniger der Regierung, von der sich niemand mehr wirtschaftspolitische Einsicht zu erhoffen scheint, als vielmehr der Opposition: Wie haltet Ihr es mit eurem Wählerauftrag? Dies, nicht die Frage, ob die Regierung bereit sei, ein paar Prozent von der aktuellen und geplanten Steuerlast nachzulassen, ist die Gretchenfrage der Berliner Demokratie.
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Warum? Weil die Regierung, mit katastrophalen Umfrageergebnissen und wachsendem Volkszorn konfrontiert, ihr Scheitern konstatieren muss, will sie nicht vollkommen das Gesicht verlieren. Sie kann die Politik, die sie in diese Situation gebracht hat, nicht korrigieren, ohne den Anspruch, mit dem sie angetreten ist, zu annullieren. Sie muss aber ihren Anspruch aufrechterhalten, weil sie keinen anderen besitzt. Es geht, wenn man so will, um den Aufrichtigkeitskern linker Politik. Das eben nennt man unter Demokraten Scheitern. In dieser Situation muss eine Opposition bereitstehen, die gewillt ist, Regierungsverantwortung zu übernehmen und dem erkennbaren Volksunwillen Rechnung zu tragen. Das kann, in der Mitte der Legislaturperiode, eine parteiinterne Opposition sein, die bereit ist, die eigene Regierung zu stürzen und ein neues Kabinett zu etablieren. Es können aber auch, so wie die Mehrheitsverhältnisse liegen, die Oppositionsparteien gefordert sein, es sei denn…
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Wo liegt das Problem? Das Problem liegt in den Verhältnissen, wie sie seit Merkel im Bundestag herrschen. Der Bundestag, weit davon entfernt, dem Willen des Souveräns Rechnung zu tragen, hat der faktischen Abschaffung des Souveräns unter dem Seuchenregime eine Spur zu folgsam Rechnung getragen, ohne erkennbare Sorge, sich damit selbst zu ›delegitimieren‹, wie seither die Modevokabel lautet. Vor allem aber: Dieselbe Partei, die damals Regierungspartei mimte, mimt jetzt Opposition. Sie ist es, die dafür sorgt, dass Opposition in diesem Lande seit Jahren nur noch hinter der Brandmauer artikuliert werden kann. Ihre Wortführer lassen keine Gelegenheit aus, der Bevölkerung zu signalisieren, dass sie sich dem Parteienkartell des Great Reset zugehörig wissen und im Prinzip dieselbe Politik verfolgen wie die Regierung.
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Jedes Erfolgsrezept hat seine Zeit - in der Politik wie im Leben. Die ›Brandmauer‹ hat die Regierenden eine Reihe von Jahren hindurch in die komfortable Lage versetzt, die wirklichen Mehrheiten im Lande zu ignorieren, indem sie einen immerfort wachsenden Teil davon aus dem operativen Repräsentationsgeschehen ausklammerte. Das gelang, machtpolitisch gesehen, so erfolgreich, dass Regierung und Opposition unisono den Zeitpunkt verpassten, zu dem sich das Modell unter dem wachsenden Problemdruck gegen sie zu wenden begann. Wer glaubt, er müsse bloß den Verbotsdruck gegen den unliebsamen Konkurrenten erhöhen, um die realen Probleme der Bürger aus der Welt zu schaffen, den sollten die Traktorenkolonnen auf Deutschlands Straßen eiligst eines Besseren belehren.
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Wer wissen will, was diese Kolonnen verfassungspolitisch bedeuten, der sollte einen Blick auf die Entstehungsgeschichte der USA werfen: Was dort No taxation without representation, ›Keine Steuern ohne Repräsentation‹ hieß und die Trennung vom britischen Mutterland einleitete, das heißt heute in immer weiteren Bevölkerungskreisen: Wer nicht bereit ist, uns zuzuhören, dessen Zeit ist abgelaufen. Eine Opposition, die sich weigert, die ihr von der Verfassung zugewiesene Rolle wahrzunehmen und den sichtbar opponierenden Teil des Volkes zu repräsentieren, gefährdet – nüchtern und ohne alle Häme sei es gesagt – das parlamentarische System und läuft nolens volens Gefahr, sich in Luft aufzulösen.
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P.S.: Wer angesichts dessen, was gerade auf den Straßen der Republik geschieht, seine Partei-Ausgründung mit schmallippigen Aus- und Abgrenzungen beginnt, statt den Schulterschluss mit den Demonstranten zu suchen, um sie für seine Ziele zu gewinnen, der hat vom Demos wahrlich soviel verstanden wie einst ein Verfassungsjurist, der meinte, das ›Volk‹ der Verfassung sei durch die Verfassungswirklichkeit, sprich die Parteienherrschaft, vollständig absorbiert.