von Aram Ockert
Vor unser Augen spielt sich ein Stück ab, dass mehr über die Republik und auch Hamburg erzählt, als es jede kritische Theorie je vermochte.
Mittwoch der 4. 12. 2019 ist für die Kumpanei aus Politik, Banken und Aktienhändlern ein tiefschwarzer Tag. Erstmalig hat ein für Strafsachen zuständiges Gericht den Griff in die Staatskasse durch Cum-Ex-Geschäfte nicht für eine Form der Steuergestaltung erklärt, die ggf. missbräuchlich sein könnte, sondern keinen Zweifel daran gelassen, dass, wer sich Geld erstatten lässt, das niemals gezahlt wurde, ein Straftäter ist. Kein normaler Mensch hätte hieran jemals Zweifel geäußert.
Politiker und Finanzbeamte, Heerscharen von Juristen und Banklobbyisten jedoch hatten zuvor jahrelang eine Aufführung organisiert, die es in sich hatte und die die Frage im Zentrum eines absurden Spektakels umtanzte, ob Diebstahl in der konkreten Form der mehrfachen Steuererstattung ggf. die Ausnützung einer Regelungslücke gewesen sein könnte. – Schon dies war eine falsche Annahme, weil etwas, das nicht gezahlt wurde, nicht erstattet werden kann.
Eine Fragestellung, die vergleichbar wäre mit der Frage, ob sich ein Bankräuber ggf. nur im Irrtum über die Abhebungsmodalitäten für die den selbst eingeräumten Dispositionskredit befand, als er maskiert und bewaffnet um die Herausgabe allen Geldes nachsuchte?
Die Frage, ob Räuber Räuber sind, ist nun auch seit zwei Monaten für solche geklärt, deren Geschäftsadressen von erlesenster Qualität sind, weil dort ein Quadratmeter soviel kostet, wie ein Angestellter im Jahr verdient. »›Cum-Ex-Geschäfte in der hier angeklagten Konstellation sind strafbar‹, sagt der Vorsitzende Richter im ersten Cum-Ex-Strafprozess am Mittwochnachmittag. ›Das geht steuerrechtlich nicht, was hier gelaufen ist‹« (SZ, 04.12.2019)
Roland Zickler, der Richter in diesem Bonner Strafprozess, spricht auch vom kollektiven Griff in die Staatskasse und blamiert damit die Politik der Bundesregierung, die mehr als 10 Jahre diesem Treiben wenig interessiert und eher passiv zugeschaut hat und die Reaktionen lieferte, auf die sich wiederum die Bande aus Bankern, Aktienhändlern, Fondsbetreibern, Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und Anwälten berufen konnte, um den absurden Anschein von legalem Raub entstehen zu lassen. Im Umfang von eventuell mehr als zehn Milliarden Euro nur in Deutschland und nur „Cum-Ex“ und nicht „Cum-Cum“ betreffend. Selten hat sich in solcher Klarheit gezeigt, was Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts Bertolt Brecht so formulierte: »Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?« (Dreigroschenoper).
Was zum Teufel hat das nun mit Hamburg zu tun? Die 12. Große Strafkammer des Landgerichts in Bonn – von der eben die Rede war – könnte, wie man hört, die §§ 73a und 73b StGB anwenden, in denen geregelt ist, dass illegal erzielte Profite auch von Profiteuren des Erlangten eingezogen werden können, die nicht die Tat begangen haben oder beteiligt waren (»nicht Täter oder Teilnehmer ist«). »Aus Sicht der Staatsanwaltschaft und offenbar auch aus Sicht des Gerichts steht eine solche Beteiligung bei den Warburg Gesellschaften, Société Générale, BNY beziehungsweise deren Töchtern und Hansainvest außer Zweifel« (HB, 19.08.2019) und es drohen Rückzahlung im dreistelligen Millionen Euro-Bereich.
Der Prozess gilt zwei britischen Angeklagten, damals Aktienhändler und Berater in London, denen in vielen Fällen versuchte und schwere Steuerhinterziehung in der Zeit von 2006 bis 2011 vorgeworfen wird. Dabei soll ein Schaden von 447 Millionen Euro entstanden sein und die Hamburger Warburg-Bank war einer ihrer Kunden.
Nun sind diese Angeklagten nicht nur geständig, sondern auch um Aufklärung und Erläuterungen der Hintergründe bemüht. Einer der Beschuldigten hat am 19.09.2019 eine für die deutschen Banken hoch belastende Aussage gemacht, nämlich dass diese anhand von Referenznummern zu bestimmten Zahlungen Bescheid hätten wissen können, dass bei ihnen Steuern auf Dividenden mehrfach erstattet wurden. Genau das hatten Banken immer bestritten und behauptet, dass aufgrund der Verzwicktheit der Transaktionen und Intransparenz am Markt eine solche Feststellung nicht möglich wäre. Weil die Angeklagten für zwei Firmen der Hamburger Warburg Bank, ihre Dachgesellschaft und eine Investment-Tochter, tätig waren, ist Warburg als sogenannter Nebenbeteiligter im Verfahren mit dabei.
Soweit zum Bonner Verfahren und seine Wichtigkeit für Warburg. Die Politik in Hamburg kommt ins Spiel, weil die Hamburger Finanzbehörde, damals noch unter der Leitung des jetzigen Hamburger Bürgermeisters Tschentscher, erst durch das Bundesfinanzministerium gezwungen werden musste, einen Verwaltungsakt auf den Weg zu bringen.
Im Januar 2018 war es der Hamburger Bundestagsabgeordnete der Linken Fabio de Masi, der im Zusammenhang mit der Anweisung des Bundesfinanzministeriums an Hamburg tätig zu werden und Steuern nachzuerheben, die Vermutung äußerte, das Bankhaus erfreue sich der Protektion durch höchste Regierungskreise und sei deswegen von Steuernachforderungen verschont geblieben. Damals drohten Forderungen auf Steuernachzahlungen zu verjähren. Im Rahmen einer von der BaFin angestrengten Sonderprüfung von Warburg durch die Prüfungsgesellschaft Deloitte im Jahre 2016, gegen die sich Warburg heftig gewehrt hatte, stellten die Prüfer schon in einem Zwischenbericht im gleichen Jahr fest, dass Warburg massiv in Cum/Ex-Deals involviert war und Steuerrückerstattungen im dreistelligen Millionen-Euro-Bereich drohten. Die Süddeutsche machte den Fall im Januar 2018 öffentlich und bemerkte:
»Solche Weisungen sind sehr selten. In dem Steuerskandal ist es noch gar nicht dazu gekommen. Andere Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen gehen konsequent gegen Banken vor. Die Hamburger Finanzbehörde erklärte auf Anfrage, eine Steuerprüfung erfolgte ›ohne politische Einflussnahme oder Bevorzugung‹. Zu Warburg äußerte sich die Behörde wegen des Steuergeheimnisses nicht« (SZ, 15.01.2018).
Nun haben sich spätestens mit dem 04.12.2019 – siehe oben – alle Zweifel an der Seriosität des Bankhauses Warburg verflüchtigt und die scheinbare Kumpanei von Olaf Scholz und Peter Tschentscher mit Deutschlands größter Privatbank (nach Bilanzsumme) erscheint ganz gleich unter welchem Blickwinkel als Versuch der Begünstigung krimineller Machenschaften.
Damals allerdings noch vor dem Hintergrund, diese Kumpanei wäre unter dem Eindruck des zuvor stattgefunden habenden Zusammenspiels von Bundesfinanzministerium und Profiteuren der Cum-Ex-Räubereien politisch opportun und diene der Standortpflege. Hätten Scholz und Tschentscher damals nur geahnt, dass der Anschein subjektiv legalen Treibens so nachhaltig in Bonn zerstört werden würde, sie hätten sich mit dem Bankhaus auf die freiwillige Rückerstattung jeden Cents, den Warburg zu Unrecht im Zusammenhang mit Cum-Ex erhalten hat, geeinigt und Scholz hätte Schäuble und der Öffentlichkeit triumphierend erklärt, wie man so eine Angelegenheit regelt. Hart und unnachgiebig, aber auch fair für alle Beteiligten usw. usf.
Hätte, hätte... Am 11. Dezember letzten Jahres erklärte der Anwalt des Bankhauses Warburg, Prof. Dr. Christian Jehke von Flick, Gocke, Schaumburg vor dem Bonner Landgericht: Warburg führe seit Längerem Gespräche mit den Finanzbehörden, damit die mit diesen Geschäften erzielten Gewinne unverzüglich an den Fiskus ausgekehrt würden.
Das macht Sinn, denn es dürfte eine gewaltige Differenz zwischen Schadenshöhe und Gewinn durch die Warburg zuzuordnenden Deals geben.
Spätestens jetzt hätte es ja nahegelegen, dass die Hamburger Medien sich noch einmal dem Thema zuwenden würden. Schließlich hatten sie bereits Anfang 2018ff. versäumt, sich der merkwürdigen Standortpflege mit fast millionenschweren Einbußen für den Fiskus zu widmen. Aber da war ja schon Wahlkampf und vielleicht fehlte auch der Anlass, der einen Aufhänger für das Thema gegeben hätte?
Nein, dieser Anlass fand kurz zuvor statt. Unter dem Titel: »Steuerdiebe! Wie uns Gangster in Nadelstreifen mit Cum-Ex abzocken«, war am 1. November 2019 eine Veranstaltung der Linken in der GLS-Bank geplant, zu der auch Norbert Walter-Borjans eingeladen war, an der er aber nicht teilnehmen durfte, weil sich hierüber aus den Reihen der SPD in Hamburg massiv beschwert worden war. Walter-Borjans – zum damaligen Zeitpunkt noch Kandidat um das Rennen für den SPD-Vorsitz – sagte also ab und dieser Vorgang erzeugte immerhin eine auf Hamburg begrenzte Aufmerksamkeit, nicht aber die durch das Landgericht in Bonn für Warburg ausgelöste existenzbedrohende Dimension einschließlich der Versuche des Bankhauses, ohne Schaden aus dieser Nummer heraus zu kommen.
Die gleichen Journalisten, die hier ein wesentliches Thema der Landes‑ und Bundespolitik durch Nichtbeachtung der Rezeption der Bevölkerung weitestgehend entzogen, fühlen sich missverstanden, gedemütigt und beleidigt, wenn in Bezug auf sie von ›Lügenpresse‹ die Rede ist. Als wenn nicht das Verschweigen relevanter Fakten für die Meinungsbildung von Leser:innen, Zuschauer‑ und Zuhörer:innen genauso schlimm wäre wie das Hinzufügen von Unwahrem.
Die Süddeutsche springt wieder einmal in diese Hamburgische Lücke der Desinformation durch Schweigen. Am Donnerstag, den 30. Januar schreibt sie:
»Alle schweigen. Niemand mag auch nur andeutungsweise sagen, was da gerade verhandelt wird zwischen der Privatbank Warburg aus Hamburg und dem dortigen Fiskus. ›Kein Kommentar‹, erklärt die Bank. Die Finanzbehörde in der Hansestadt wiederum verweist auf das Steuergeheimnis; ebenso wie das damit auch befasste Bundesfinanzministerium. So also soll ein Präzedenzfall im größten deutschen Steuerskandal gelöst werden: im Verborgenen«.
Eine Einigung soll nach Informationen der SZ kurz vor dem Ziel sein. Die Zeitung stellt richtig dar, dass einer Entscheidung des Landgerichts in Bonn zuvorgekommen werden soll und dass es für Warburg um sehr viel Geld geht. Bereits Deloitte hatte in seinem Bericht für die BaFinvon möglichen Steuernachforderungen in Höhe von fast 200 Millionen Euro gesprochen und dabei gingen die Wirtschaftsprüfer nicht von Straftaten aus, die ggf. viel höhere Ansprüche auszulösen vermögen. Die SZ jedenfalls spekuliert:
»Warburg käme wahrscheinlich weit besser weg, wenn man sich vor einem Urteil mit dem Fiskus einigte. Der wiederum hätte sofort sicheres Geld, statt abwarten zu müssen, ob eine Bonner Entscheidung zu Lasten von Warburg vor höheren Gerichtsinstanzen Bestand hätte. Andererseits könnte ein Verdikt in Bonn dem Fiskus mehr Geld bringen. Und es wäre ein Signal für viele andere Banken, dass die Justiz durchgreift und möglichst viel Geld zurückholen will«.
Die Zeitung hat aber auch Zweifel, »ob der angedachte Kompromiss überhaupt in Ordnung wäre: Laut einer Maßgabe des Bundesfinanzministeriums vom 30. Juli 2008 sind solche Deals eigentlich nur zulässig, wenn der Sachverhalt ›nur unter erschwerten Umständen ermittelt werden kann.‹ Das Gericht ist indes bei der Aufklärung schon weit voran gekommen«.
Nach der Vorgeschichte gibt es zwei Möglichkeiten: Der Finanzsenator Dressel bedenkt, dass die Turbulenzen rund um Warburg das Zeug dazu haben, jeden der beteiligten Politiker:innen in den Abgrund zu ziehen und deswegen Vorsicht angeraten erscheint und daher den Ergebnissen des Prozesses vor der 12. Strafkammer in Bonn nicht vorgegriffen werden sollte. Oder er macht das für Sozialdemokraten in Hamburg viel Naheliegendere, nämlich er und das Bundesfinanzministerium einigen sich still und unauffällig über die Rückerstattung des geraubten Geldes, sofern es bei Warburg als Gewinn verbucht ist, und machen dann das, was oben schon ausgeführt wurde: Dressel und Scholz präsentieren sich als Steuergeldretter. Die ganze Stadt (das Land) im Blick, legen sie 150 oder 200 Millionen EUR auf den Tisch. Warburg überlebt finanziell angeschlagen den Raubzug gegen das Steuersäckel und als Tüpfelchen auf dem i können sich Bundesfinanzminister und Bürgermeister (als Chef des Finanzsenators) in ihrer Lieblingspose darstellen: Unauffällig, leise und effizient (hanseatisch) fürs Allgemeinwohl handelnd. Dann werden auch die lokalen Medien aus dem Schlaf aufschrecken und Scholz und Tschentscher als Politiker mit Augenmaß preisen, die aber wenn es darauf ankommt, die Ärmel aufkrempeln und anzupacken wissen.
Darüber hinaus haben Chefredakteure im Blick, dass das Publikum Heldengeschichten braucht und dass die Wahrheit auch immer eine Frage des Blickwinkels ist.
Die eigentlichen Helden aber in diesem Stück sind Finanzbeamte, Polizisten, Staatsanwälte und Richter, die sich der geballten Bankenlobby und ihren Kumpanen entgegenstellten und allen Widerständen zum Trotz möglich machten, dass demnächst in Bonn die ersten Verurteilungen in Sachen Cum-Ex erfolgen werden.
Der Schaden allein nur in diesem Verfahren in Höhe von vermutlich mehr als 400 Millionen Euro könnte anschließend bei jedem Beteiligten geltend gemacht werden. Deswegen die Eile, sich mit dem Finanzsenator in Hamburg und dem Ministerium von Olaf Scholz schnell auf einen sehr viel niedrigeren Betrag zugunsten der Bank und auf Kosten der Allgemeinheit zu einigen.