von Uwe C. Steiner
Miss Sara Sampson und ihre späten Verehrer
Sofort nach ihrem Tod wird Sara Sampson eine »Heilige« genannt. Und zwar von ihrem Liebhaber. Hören wir die Worte Mellefonts, zu denen er sich ersticht:
»Diese Heilige befahl mehr, als die menschliche Natur vermag! […] Wenn ich als das schuldige Opfer ihrer [d.i. Marwoods; U. St.] Eifersucht gefallen wäre, so lebte Sara noch. […] Es stehet bei mir nicht, das Geschehene ungeschehen zu machen; aber mich wegen des Geschehenen zu strafen – das steht bei mir!« Er ersticht sich, und fällt an dem Stuhle der Sara nieder.
Weil er, Mellefont, sich dem Dolchstoß der Marwood entzogen hatte, war Miss Sara zur Victima geworden. Sie stirbt anstelle seiner, sie stirbt demnach auch für seine Sünden, ihre Opferschaft bezeichnet ein Stellvertretungsverhältnis, Sara stirbt als ein sacrificium. So bezeugt es Mellefont quasi in seinen Einsetzungsworten, in denen er sie eine »Heilige« nennt. Und, vor allem, bezeugt er es, indem er seine Schuld einräumt und darin seinen Verzicht auf das tragische Privileg erklärt. Sein Selbstmord mit dem Dolch dient der Läuterung und ist ausgewiesen kein tragischer Tod. Er sinkt vielmehr »an dem Stuhle der Sara nieder«, in einer Demuts- und Verehrungsgeste.
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- Geschrieben von: Steiner Uwe C.
- Rubrik: Kultur
von Max Ludwig
Im Schauspiel Hannover läuft gerade die Faust-Bearbeitung Goethes Faust – allerdings mit anderem Text und auch anderer Melodie von Barbara Bürk und Clemens Sienknecht. Es lohnt sich diese Inszenierung anzusehen – nicht, um den Faust kennenzulernen, sondern weil diese Adaptation Auskunft über den Zustand unserer Kultur gibt. Und weil sie, wenn man sich darauf einlässt, wirklich unterhaltsam ist. Schauen wir uns beide Aspekte an.
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- Geschrieben von: Ludwig Max
- Rubrik: Kultur
von Ulrich Siebgeber
Man könnte eine Liste literarischer Nachkriegsexistenzen zusammenstellen, deren Modelle durch die politmediale Entwicklung der letzten Jahrzehnte obsolet wurden. Allen voran das großgeschriebene ICH des österreichischen Society-Grantlers Thomas Bernhard: Es auszulöschen reichte der Massenerfolg der sozialen Medien aus, in denen Volkes Stimme sich nicht mit allgemeinen Schimpfkanonaden in Richtung ›Elite‹ begnügt, sondern Ross und Reiter eintunkt, wann immer die Galle überläuft. Sie ist nicht der einzige Überläufer in diesen Tagen. Das hat, wie jeder weiß, zu Hassparagraphen Anlass gegeben, ohne dass die Notgemeinschaft der Verletzten und Beleidigten damit des Problems Herr geworden wäre.
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- Geschrieben von: Siebgeber Ulrich
- Rubrik: Kultur
- Vor Umtrieben wird gewarnt
- Politische Blindheit
- Brecht und die Ungeduld
- Gesellschaft der Haie
- Nach der Wahrheit
- Thomas Körner achtzig, Arne Burkhardt tot
- The Puzzle Papers
- Thomas Mann, der Wiedergeborene
- Der Fall Rushdie: Anatomie eines Attentats
- Der Demagoge gehört hinter Schloss und Riegel - einige Bemerkungen über den Dichter und Juristen E.T.A. Hoffmann
- Regelsadisten und andere Fallenleger. Aphorismen
- PEN-Zentrum Deutschland - Fakten und fake-news
- Pandemischer Besuch
- Homo endemicus. Wem gehört die Welt?
- Regeln für den Impfpark
- Letzte Nacht 2020
- Fjodor Dostojewskis immense Aktualität
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- Roadmap
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- Kein heller Land. Die DDR der Diskurse
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- Was gesagt werden kann
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- Glanz und Elend der Demokratie - Rede zum Internationalen Tag der Demokratie
- Batman der sieben Meere
- Der Knoten im Revolverlauf
- Melancholie
- Was sie hassen
- Bertolt Brecht and the people (Volk)*
- Wir Kannibalen. Zweiter Brief an Suitbert Oberreiter
- Keine Literatur. Offener Brief an Suitbert Oberreiter
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