von Rüdiger Henkel
Hat uns diese Fabel heute noch etwas zu sagen? Ich meine schon, wenn es zum ›guten Ton‹ gehört, den Autor Thilo Sarrazin spektakulär aus Talkshows auszuladen, weil er ein fremdenfeindlicher Rassist oder verkürzt ein Faschist sei, der die einfachen Leute verachte, weil ihnen der Wille zum sozialen Aufstieg fehle. Oder: Wenn es nicht als ungehörig gilt, jeden Abgeordneten der AfD vom Amt des Vizepräsidenten im Deutschen Bundestag auszuschließen, ohne Rücksicht auf die Einzelperson, die gerade kandidiert. Oder: Wenn Universitätsrektoren und Hochschulpräsidenten wissenschaftlich ausgewiesenen Personen im vorauseilenden Gehorsam Auftritte im akademischen Bereich verweigern, weil sie studentische Minderheiten oder politische Aktivisten nicht verärgern wollen? Die Beispiele könnte man beliebig fortsetzen. Doch was nützt uns in dieser Situation das Werk von Peter Hacks, vielleicht auch eine Rückbesinnung auf sein streitbares Leben?
Der Schriftsteller und Dramaturg Peter Hacks, geboren am 21.3.1928 in Breslau als Sohn eines Rechtsanwalts und gestorben am 28.8.2003 in Groß-Machnow bei Berlin, besuchte das Gymnasium und bestand 1946 in Wuppertal das Abitur. Er studierte in München Soziologie, Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaften. 1951 promovierte er mit der Dissertation »Das Theaterstück im Biedermeier.« Danach arbeitete er freischaffend für Theater und Rundfunk. 1954 erhielt er für sein erstes aufgeführtes Drama »Eröffnung des indischen Zeitalters« den angesehenen Dramatiker-Preis der Stadt München. 1955 übersiedelte er aus eindeutig politischen Gründen in die DDR.
Sein künstlerisches Vorbild war zuerst Bertolt Brecht, in dessen Berliner Ensemble Hacks anfangs als Dramaturg arbeitete und von 1960 bis 1963 in gleicher Funktion sowie als Theaterdichter am Ost-Berliner Deutschen Theater. Danach war er nur noch als freischaffender Schriftsteller tätig, wurde 1964 Mitglied des Präsidiums des PEN-Zentrums und 1972 Mitglied der Ost-Berliner Akademie der Künste, aus der er 1991, ebenfalls aus politischen Gründen, austrat. Schwerpunkte seines Schaffens waren historische Stoffe, vorwiegend aus der Antike, aber auch aus der deutschen Klassik.
Peter Hacks war ein Ärgernis, für alle, die ihn kannten oder sich intensiv mit ihm und seinen Äußerungen beschäftigten. Er begrüßte lauthals den Bau der Berliner Mauer und bedauerte ihren Abriss. Er war zeit seines Lebens ein Antidemokrat und blieb es, auch zum Verdruss der Kommunisten, zu denen er sich zugehörig fühlte. So heißt es in Band 13, S.394 seiner Werke:
Oder noch deutlicher:
Auf dich ist kein Verlass.
Heute willst du dieses.
Morgen willst du das. (Werke Bd. 1, S. 303)
So unverblümt hätte es selbst Walter Ulbricht nicht formuliert, der, folgt man Wolfgang Leonhard in seinem Erinnerungsbuch »Die Revolution entlässt ihre Kinder« gesagt hat: »Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.« Übrigens Ulbricht: Hacks hielt den Wechsel von Ulbricht zu Honecker für einen politischen Rückschritt auf dem Weg der DDR zum Sozialismus/Kommunismus.
Der Begriff ›Solidarität‹ ist für ihn ein in jeder Hinsicht fremdes Wort geblieben. Als die meisten namhaften Schriftsteller und Kulturschaffenden der DDR gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann protestierten, nannte ihn Hacks öffentlich ›den Eduard Bernstein des Tingeltangel‹, der zu Recht des Landes verwiesen worden sei. (Für einen überzeugten Kommunisten wie Hacks galt Eduard Bernstein, reformerischer Sozialdemokrat aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als Prototyp der Verbürgerlichung).
An einen Kritiker seines Verhaltens schrieb Hacks am 1.6.1977:
Als die Berliner Mauer gefallen und die DDR am Ende war, gestand auch Peter Hacks das Scheitern einer Politik ein, zu der er sich stets bekannt hatte, aber mit welchem zynischen Argument? Sinngemäß formulierte er: Der größte Fehler der DDR-Führung sei gewesen, dass sie eine so schöne Sache wie den Sozialismus ausgerechnet der Arbeiterklasse anvertraut habe.
Den Kommunisten Peter Hacks muss man nicht mögen. Doch wenden wir uns seiner eigentlichen Tätigkeit zu – der Kunst. Zu Weihnachten 1957 erlebte ich zum ersten Mal im Ost-Berliner Deutschen Theater eine Aufführung seines Stückes Eröffnung des indischen Zeitalters. Erste Überraschung: Die Vorstellung war ausverkauft – damals eine Seltenheit im Herrschaftsbereich der SED, wenn das Stück eines Gegenwartsautors gespielt wurde, der sich mit der Politik dieser Partei identifizierte. Zweite Überraschung: Die politische Haltung des Autors wurde in einer Handlung vermittelt, die in der Zeit von Columbus und der Entdeckung Amerikas angesiedelt worden war. Dritte Überraschung: Auf der Bühne standen glaubhafte Menschen, die keine Sätze aus Papier drechselten, keine ideologischen Leitartikel von sich gaben, sondern sich in einer zupackenden Sprache an das Publikum wandten.
Im dritten Aufzug steht der Händler Pedro Vaz mit einer Stange voller Papageien auf der Schulter in einer Landstraße vor einer Klostermauer und ruft:
Im Verlauf seiner Werbeansprache bietet Pedro Vaz einen Papagei für siebenhundert Maravedis an, der unaufhörlich rufen kann: „Groß ist Ferdinand von Aragon!“ Ein anderer Papagei mit dem Slogan: „Groß ist Isabella von Kastilien!“ kostet neunhundert Maravedis, während mehrere Vögel, die „Gelobt sei Allah!“ schreien können, für dreihundert Maravedis pro Stück zu haben sind. Dann fährt der Händler fort:
Den Vogel auf dem Rücken seid Ihr wie umgewandelt: freudig hört Ihr die Häscher an Euer Tor pochen, willkommen sind Euch die Späher der Inquisition. Der vorsichtige Mann übersteht die fortwährende Veränderung des Geschicks. Eine Obrigkeit überleben, heißt sie besiegen. Gesinnungen, Gesinnungen. Die erstklassige Papageiengesinnung, schon ab dreihundert bis vierhundert Maravedis.
Weniger Glück bei Publikum und Obrigkeit der DDR hatte Peter Hacks mit seinen in der damaligen Gegenwart des Staates angesiedelten Stücken Die Sorgen und die Macht sowie Moritz Tassow. Da half ihm auch seine ehrlich gemeinte Verehrung für Walter Ulbricht nichts. Vor allem die bornierte und halbgebildete Funktionärsschicht, die auch in der Kulturpolitik stets den bestimmenden Einfluss hatte, störte sich an den prallen lebensvollen Figuren, die Hacks auf die Bühne stellte. Denn eins muss man ihm zu Gute halten – seine Ehrlichkeit. Wenn dazu noch eine verständliche schnörkellose Sprache sowie Humor kam, war ein Kampf vorprogrammiert, den Hacks nicht gewinnen konnte.
In Die Sorgen und die Macht sprechen die Arbeiter beispielsweise so:
- Der Arbeitergott ist bei den stärksten Tarifen.
- Zu einer Kommunistin: Schaff das Geld ab, Emma, aber fang damit woanders an, nicht hier bei uns.
- Zu einem Parteisekretär: Es hat sich schon einer aus Taktik in den Hintern gebissen.
- Ein parteitreuer Arbeiter sagt über einen Kollegen, der nur einer geringen Erhöhung der Arbeitsnormen zustimmen will: Seht diesen Arbeiter feilschen um den Preis der Revolution. Wenn sie billig ist, vielleicht nimmt er sie. Ekelhaft!
Es kam, wie es in der DDR kommen musste. Hacks schrieb das Stück zweimal um. Qualitativ besser wurde es dadurch nicht. 1962 wurde es durch die Kulturfunktionäre vom Spielplan des Deutschen Theaters abgesetzt und 1963 trat daraufhin dessen Intendant Wolfgang Langhoff, ein alter Kommunist und KZ-Häftling in der Nazizeit, von seinem Posten zurück.
Ähnlich erging es Hacks mit der Gegenwartskomödie Moritz Tassow. Sie thematisierte die sogenannte Bodenreform des Jahres 1945. Auch in diesem Stück sprachen die Bauern meist so, wie sie eben waren, und nicht so, wie die Kulturbürokraten sie sich vorstellten. Und Moritz Tassow selbst? Er ist ein ehemaliger Schweinehirt und 1945 ein geistig vorauseilender Kommunist, der die die Bodenreform nicht will, sondern gleich die Kollektivierung der Landgüter. Als er an seiner Ungeduld politisch scheitert, beschließt er, Schriftsteller zu werden, denn:
Moritz Tassow wurde im Oktober 1965 an der Ost-Berliner Volkbühne uraufgeführt und bereits zwei Monate später endgültig vom Spielplan abgesetzt, unmittelbar nach dem berüchtigten 11. Plenum des Zentralkomitees der SED, das die kurze kulturelle Scheinblüte in der DDR nach dem Mauerbau unwiderruflich abtötete.
Peter Hacks blieb in der DDR, war unglaublich produktiv und verdiente viel Geld. Seine Stücke wurden im gesamten deutschsprachigen Raum aufgeführt sowie in fremde Sprachen übersetzt. Ein Gesinnungswechsel oder eine Anpassung an kurzfristige Erfordernisse des Zeitgeistes waren dazu nicht nötig. Nicht einmal dem Publikum machte Hacks Konzessionen, Begründung:
Das wichtigste Erfolgsrezept von Hacks wurde die Tatsache, dass er die vordergründigen Handlungen seiner Theaterstücke aus der Gegenwart auslagerte und in historische Zeiträume verlegte. Seine exzellente Allgemeinbildung und seine detaillierten historischen Kenntnisse, die den Kulturbürokraten meistens fehlten, kamen ihm dabei zu gute. Hacks schrieb Der Frieden (nach Aristophanes), Die schöne Helena (1964), Amphitryon (1967), Das Jahrmarktsfest zu Plundersweilern (1973 nach Goethe) und viele andere. Außerdem schrieb er Märchen für Kinder und Erwachsene, Gedichte, Erzählungen und Texte zur künstlerischen Ästhetik.
Mit Vergnügen sah ich in den siebziger Jahren im Theater von Bad Godesberg Adam und Eva. In diesem Stück versuchen die Erzengel als verknöcherte Bürokraten Gottes Schöpfung zu konterkarieren. Im Volksbuch von Herzog Ernst, (u.a. aufgeführt in Mannheim), sagt der Erzbischof von Köln zu den ausziehenden Kriegern, die Schwaben, Bayern und Österreich verwüsten sollen:
(Könnte das nicht auch heute ein fanatischer Islamist sagen?) Dabei ist Hacks nicht prinzipiell religionsfeindlich und befasst sich nicht mit dem damals parteioffiziell erwünschten Kampf gegen die christlichen Kirchen. Seinem Freund, dem Schriftsteller und Dramaturgen Heiner Kipphardt, der von der DDR in die Bundesrepublik Deutschland gegangen war, schrieb er am 24.5.1963:
Hacks' Einpersonenstück für eine Schauspielerin Ein Gespräch im Hause Stein über den abwesenden Herrn von Goethe (1974) wurde ein Welterfolg auf der Bühne und im Fernsehen. Es wurde bisher circa 190mal auf über 170 deutschen und fremdsprachigen Bühnen in 21 Ländern inszeniert.
Was bleibt von Peter Hacks? Dreißig Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer sollte man auch eigene noch vorhandene Denkblockaden abbauen. Ignoriert man wenigstens einmal für fünf Minuten seine politische Verbohrtheit und seine Charakterfehler, lässt man seine beiden schon erwähnten zeitgenössischen Stücke außen vor, weil die darin abgehandelten Probleme heute kein Theaterpublikum mehr interessieren, so bleibt nach wie vor die Freude, die meisten seiner Werke zu lesen und seine Stücke im Theater oder im Fernsehen zu sehen. Er langweilt nicht, erzählt gut und hat uns immer noch viel zu sagen.