von Ulrich Siebgeber

Vorschläge für ein Krippenspiel

In der Alltagsrealität ein herbes Los, zählt politische Blindheit zu den erfolgreicheren Konzepten. Und was wäre schon, nach dem Willen der regierenden Koalition, nicht politisch? Entsprechend blind geht es in der Gesellschaft zu. Dort ist bekanntlich jeder Einzelne seines Glückes Schmied, vorausgesetzt, er besitzt einen Hammer und findet etwas zum Draufschlagen, einen Medienartikel etwa oder ein Politiker-Konterfei, vielleicht auch die imaginierte ›Fresse‹ des Nachbarn, dessen Ansichten … Schwamm drüber.

Für viele mit politischer Blindheit Geschlagene ist das weihnachtliche Krippenspiel so etwas wie das christliche Nonplusultra: Die einen hacken, wie man hier und da liest, heimlich Ochs und Esel die Köpfe ab und die anderen setzen sie sich verkehrt herum auf. Gerade noch im Schummerlicht leerer Kirchen die Zeit der kurzen Tage verdämmernd, erblüht das Krippenspiel im Glanz der wiedergefundenen Familie, die vielleicht nie ganz verloren gegangen war. Bekennt, wer sich zum Krippenspiel bekennt, auch sein Christentum? Niemand weiß es, niemand will es so genau wissen: Blindheit ist, siehe oben, die politische Tugend der Saison.

Das Stichwort lautet: Fluide Identitäten. Rechtzeitig wurde der urchristliche Gedanke Wo Joseph drauf steht, muss Joseph drin sein von der Politik gekippt – damit stehen alle Wege des Herrn (oder soll man sagen: dem Herrn alle Wege?) offen. Na sicher! Nach den feministischen Jahrzehnten liegt auch darin eine gewisse Erlösung, die man sich nicht kaputtquatschen lassen sollte. Wenn die Zerstörer der Familie besonders frenetisch das Fest der Familie feiern, dann bleibt den eingefleischten Familienmenschen gar nichts anderes übrig, als auf den fahrenden Zug aufzuspringen und den Kerzenverbrauch zu verdoppeln: Denn Weihnachten ist unser. Es ist nicht besonders christlich in diesen Tagen, christlich zu sein.

Verstehen heißt nicht verzeihen: Auch das ist christlich gedacht, vor allem dann, wenn man den Satz umgekehrt liest. Es fällt leichter, alles zu verzeihen, solange man nichts versteht, statt zu warten, bis das Begreifen einsetzt und mit ihm der Widerwille: Widerwillig verzeihen heißt nicht verzeihen, jedenfalls nicht von Grund auf, wie die Politik seit altersher lehrt. Alles, was heute vergeben und vergessen scheint, kehrt in ihr, wie verdreht oder umgekehrt auch immer, morgen oder übermorgen wieder. Man vergibt seinen Feinden und setzt dabei voraus, dass damit die Feindschaft vergessen und begraben ist. Und wenn nicht? Dann springt das Verzeihen um und Rachsucht stöbert den letzten Fetzen eines Verdachts auf, um daraus ihr Feuerchen anzufachen.

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Das Blindenspiel

umfasst, wie bekannt, eine Reihe prototypischer Figuren:

  • Maria, die gebärende Jungfrau, neuerdings von der EU gebannt (»migrationsfeindlich«), nachdem sie gerade der transitorischen Geschlechteridentität wichtige Impulse vermitteln konnte. Besonderes Kennzeichen: Scheuklappen. Was man ihr lange Zeit vorwarf, die Fixierung aufs Knäblein, hat sich zum Schöpfungsblick geweitet und erträgt in seiner unendlichen Geradheit keinerlei Abweichung, denn: Ihre Geduld ist am Ende.

  • Josef, Gottesfilou, weiß um die Incertitudes allemandes in punkto Geschlecht, vor allem des väterlichen. Seine Augen, weit geöffnet und fest geschlossen, bergen ein kleines Geheimnis: Er ist farbenblind. Deshalb auch entging ihm die tiefe Röte im Antlitz der teuren Gattin, als sie ihm ihre Geschichte einschenkte. Seit jenem Tag verrichtet er echtes Gattenwerk, das da lautet: Ihre Vision sei die deine. Treuherzig sieht er, was er nicht sieht, und will nichts von dem wissen, was seine Augen ihn sehen lassen. Zum Beispiel klopft er aufs Barometer und brummt: »Wieder zu warm heute. Aber das ist ja bekannt.« Neuerdings behauptet er, schwanger zu sein, doch nur vor sich selbst, schließlich will er sein teures Geheimnis nicht vor der Zeit verraten: »Nein, das ist keine rotgrüne Macke. Das ist echt.«

  • Engel, paarweise. Oh wie hat sie mich als Kind fasziniert, die holde geflügelte Schar, deren Lobgesang umso aufregender in meinen Ohren erklang, als die Stille selbst es war, die sich darin rührte … bis mir auffiel, dass das Mysterium in der Aufstellung lag: zwei links, zwei rechts, drei links, drei rechts, je nach Opulenz. Einäugige waren und sind sie, einer Seite verpflichtet, unfähig, der anderen etwas abzugewinnen. Befinden sich unter ihnen auch Renegaten? Die Frage verfolgt mich, seit sie mir kam. Es gibt immer falsche Fuffziger, sage ich heute, warum nicht auch falsche Einäugige? Bloß an der Krippe haben sie nichts zu suchen. Das hochheilige Wort würde sie strafen ins dritte und vierte Glied.

  • Ochs und Esel. Haben Sie’s gemerkt? Man stellt sie an der Krippe auf, dreht liebevoll die Köpfe zur Raufe hin, auch wenn es diesmal nichts zu raufen gibt, stattdessen Anbetung angesagt ist. Sieht man, nachdem einige Zeit vergangen ist, erneut nach ihnen, so stehen sie kreuz und quer im Raum, in besonders unglücklichen Momenten dem göttlichen Kindlein das blanke Hinterteil weisend. Wie kann das sein? Wer hat sie also umgedreht, / dass sie den hellen Strahl vermeiden, der sie traf? Ganz einfach: er hat sie geblendet. Geblendete sind sie, hilflos einem Parteigeschehen ausgeliefert, das sie nicht begreifen und das sie nimmer loslässt, wie kläglich auch immer die Figur ist, die sie selber dabei abgeben.

  • Stern. Einen Stern muss er haben, der Stall, sonst wäre er gewiss nicht der von Bethlehem. Kann so ein Stern blind sein? Welche Frage! Gerade er muss blind sein. Wie sonst könnte er leuchten wie dieser? Und leuchten muss er durch und durch, zuinnerst glühen, mit den Spitzen blitzen, um beides zu sein, Bote und Botschaft: Seht, die Nacht ist von euch genommen! Nein, über ihn, den Leuchtenden, hat die Nacht keine Gewalt. Nachtblind, wie er ist, kennt er weder das Dunkel noch das Licht aus der Ferne, das in ihm aufscheint. Schon herb, am eigenen Glanz zu erblinden. (Unter uns, wer sollte den Leuchter erleuchten?)

  • Die Schafe auf dem Felde. Leicht erkennbar am Herdendasein und an der Wolle, die sie abliefern müssen, bevor sie geschlachtet werden. Wer genauer hinsieht, den trifft der Herdenblick. Aus jedem Augenpaar sieht die Herde dich an, jeder Impuls, der hineingeht, geht durch die ganze Herde: Das nenne ich schwarmblind. Versuche einem Schaf etwas zu zeigen, das die Herde nicht wahrhaben will! Vergebliche Mühe! Gerade deshalb … ja sicher, gerade deshalb bliebe das Krippen-Ensemble ohne sie unvollständig. Für die Herde ist, was hier geschieht, ganz normal. Es ist ein Teil von ihr, so wie sie ein Teil von ihm ist. Wer das nicht begreift, hat im Leben verkackt und sollte einen Neuanfang wagen.

  • Hirten. Figuren umfassender Sorge. Wo Licht ist, da ist Wärme, wo Wärme ist, dahin, oh meine Herde, lass uns ziehn. Wo Engelschöre singen, da singe auch du. Halleluja. Sieh da: Sie treten der Sache schon näher. Zwar ist sie nicht ihre, aber sie nehmen sich ihrer an. Im Herzen denken sie: »Wo Redlichkeit herrscht, da herrschen auch wir. Wo aber Unredlichkeit herrscht…« Das lassen sie dann so stehen. Sie überblicken vieles, vor allem von hinten. Ich nenne sie: fokusblind.

  • Herodes. Zu meiner Krippe gehört unbedingt ein Herodes. Er ist, wie wir wissen, der Bösewicht im Spiel, aber nicht aus Bosheit, sondern aus Blindheit. Er verkörpert die Blindheit der Macht, die nur herrschen will, aber den HERRN nicht kennt. Herodes begreift nicht, was los ist, er kennt die Fakten nicht, falls doch, weiß er sie nicht zu ordnen, weiß also auch nicht um das Verhängnis, das aus seinen Taten hervorgeht. Folgenblind, wie er ist, wird er selbst zum Verhängnis. Veranlasse dieses, veranlasse jenes, flüstert die innere Stimme und patsch, schon hat er’s veranlasst. Groß sein, groß denken wollen, Weltretter spielen … jeder kennt so einen und wünscht ihn weit fort.

  • Caspar, Melchior, Balthasar. Keiner weiß, warum die drei Könige die heiligen heißen und ob sie auch wirklich Könige sind. Schließlich kommen sie aus der Fremde. Wo immer sie in Erscheinung treten, heißt es korrekt sein. Wir, die wir nicht säumen sie aufzustellen, wissen nicht, was korrekt ist. (Wohin sie stellen?) Entspricht, was wir in ihnen sehen, ihrer Herkunft? Wir ahnen es nicht einmal. Beschreibe sie und du fällst auf Stereotypen herein. Möglicherweise sind sie nichts weiter als Stereotypen. Doch so zu denken wäre schon eine schwere Sünde. Diese drei sind unsere eigene Blindheit, uns zum Hohn in Figuren unserer Phantasie gegossen, uns zum Vergnügen, uns zum Verdruss.

  • Das Kindlein in der Krippen. Hand aufs Herz: Wie oft ist es Ihnen vom Stroh gefallen? Wie oft haben Sie es im letzten Moment gesucht wie die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen? Wie oft haben Sie es glatt vergessen, bis eins der Kinder starr vor Entsetzen die Frage stellt: »Wo ist Jesus?« Dann, ja dann beginnt das große Suchen und die festliche Stimmung, sie ist dahin. Sieht das Kindlein nicht, was es da anrichtet? Nein, es sieht nichts dergleichen. Sieht nicht, was es anrichtet, und weiß nichts von dem Brimborium, das seinetwegen veranstaltet wird, bis die Zeit gekommen ist, alles wieder wegzupacken und zurückzulegen für eine andere Zeit. »Kann man auch aus der Zeit fallen?« fragen die Kinder. »Warum fällt man nicht aus der Zeit?« Dann schaut eines das Kindlein an und fragt: »Wo kommst du denn her? Siehst du nicht, dass du fehlst?« Da schmatzt das Kindlein, denn es hat Hunger. It’s the offspring, stupid!

Das Spiel kann beginnen. Luja sog i.

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