von Johann Wolfgang Goethe
ALTER BAUER.
Fürwahr es ist sehr wohl gethan,
Daß ihr am frohen Tag erscheint;
Habt ihr es vormals doch mit uns
An bösen Tagen gut gemeynt!
Gar mancher steht lebendig hier,
Den euer Vater noch zuletzt
Der heißen Fieberwuth entriß,
Als er der Seuche Ziel gesetzt.
Auch damals ihr, ein junger Mann,
Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
Gar manche Leiche trug man fort,
Ihr aber kamt gesund heraus,
Bestandet manche harte Proben;
Dem Helfer half der Helfer droben.
ALLE.
Gesundheit dem bewährten Mann,
Daß er noch lange helfen kann!
FAUST.
Vor jenem droben steht gebückt,
Der helfen lehrt und Hülfe schickt.
Er geht mit Wagnern weiter.
Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
Ein jeder fragt und drängt und eilt,
Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
Du gehst, in Reihen stehen sie,
Die Mützen fliegen in die Höh’;
Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,
Als käm’ das Venerabile.
FAUST.
Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
Hier saß ich oft gedankenvoll allein
Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
An Hoffnung reich, im Glauben fest,
Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
Dacht’ ich das Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
Der Menge Beyfall tönt mir nun wie Hohn.
WAGNER.
Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
Bey der Verehrung dieser Menge haben!
O! glücklich! wer von seinen Gaben
Solch einen Vortheil ziehen kann.
FAUST.
O könntest du in meinem Innern lesen,
Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes werth gewesen!
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe sann.
Der, in Gesellschaft von Adepten,
Sich in die schwarze Küche schloß,
Und, nach unendlichen Recepten,
Das Widrige zusammengoß.
Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
Im lauen Bad, der Lilie vermählt
Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,
Aus einem Brautgemach ins andere gequält.
Erschien darauf, mit bunten Farben,
Die junge Königin im Glas,
Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
So haben wir, mit höllischen Latwergen,
In diesen Thälern, diesen Bergen,
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,
Sie welkten hin, ich muß erleben
Daß man die frechen Mörder lobt.
WAGNER
Wie könnt ihr euch darum betrüben!
Thut nicht ein braver Mann genug;
Die Kunst, die man ihm übertrug,
Gewissenhaft und pünctlich auszuüben.
Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
So wirst du gern von ihm empfangen;
Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.
(Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Erster Teil, Osterspaziergang, Verse 993 – 1063)