von Wolfgang Schütze
Die Auseinandersetzungen um die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) als Thüringer Ministerpräsident letztlich dank eines Taschenspielertricks der AfD haben nicht nur in der Politik, sondern auch in Medien zu einem Überbietungswettbewerb geführt. Mit wenigen Ausnahmen wie der Neuen Zürcher Zeitung galt: Je weiter Publikationen von Thüringen entfernt waren, umso schriller, hysterischer die Reaktionen. Von Tabu- und Kulturbruch, gar Zivilisationsbruch war die Rede. Manche sahen sogar schon die Machtübernahme durch ›Faschisten‹ im Thüringer Wald unmittelbar bevorstehen. Es schien, als wollte niemand der letzte sein in der Brandmarkung der Thüringer Verhältnisse.
In das Bashing Thüringens und Thüringer Akteure reihte sich bemerkenswerterweise auch die Thüringer Allgemeine ein, eine in Erfurt herausgegebene Regionalzeitung. Ob aus freien Stücken oder einem medialem Zentralismus folgend – analog der Einmischungs- und Durchgriffsversuche von Parteizentralen – steht dahin. Bis vor wenigen Jahren war es bei den Thüringer Zeitungen der Funke Mediengruppe (ehemals WAZ-Gruppe) Usus, dass mindestens die Kommentare zu Land und Leuten selbst geschrieben wurden.
von Lutz Götze
Die Welt von heute scheint immer mehr Zeitgenossen unüberschaubar. Von Nachrichten und Informationen überflutet, ziehen sie sich zurück, resignieren oder reagieren panisch: Globalisierung der Handelsströme, weltweiter Klimawandel, Migration rund um den Erdball – dies alles auf einmal stürzt auf den Menschen ein und überfordert viele; häusliche Sorgen um Kinder, Krankheiten, etwaige Trennungen und Geld kommen hinzu. Psychologische Beratungsdienste, Seelsorger und Mediatoren haben alle Hände voll zu tun.
Da hilft es auch nichts, wenn Statistiker feststellen, die Deutschen lebten in einer der wenigen Demokratien, in denen es üblich ist, Konflikte im Gespräch zu lösen, solidarisch zu handeln, Kompromisse zu schließen und Toleranz gegenüber Mitmenschen zu üben: die Grundpfeiler jedes demokratischen Gemeinwesens. Dabei stimmt es: Mehr als neunzig Prozent aller Staaten dieser Erde sind autoritär oder diktatorisch verfasst, weniger als zehn Prozent dürfen sich (noch) Demokratien nennen, darunter die Bundesrepublik Deutschland. Es müsste also hierzulande alles weit besser gelingen im Zusammenleben der Menschen als anderswo.
von Herbert Ammon
›Das Politische‹ als Begriff genießt hierzulande keinen guten Ruf, denn es ist mit dem Namen Carl Schmitt (1888-1987) verbunden. Der Name des Opportunisten (»Der Führer schützt das Recht«, 1934) und Antisemiten Schmitt ist aus guten Gründen verpönt, was wiederum viele seiner Feinde der Mühe enthebt, sich mit seinem Werk auseinanderzusetzen. Allgemein genügt in der Bundesrepublik der Hinweis auf Schmitts amoralische Freund-Feind-Bestimmung des Politischen, um seine Denkkategorien aus Theoriedebatten zu verbannen.
Das Verfahren ist nicht ohne Ironie, denn zum einen blieb der von den Besatzungsoffizieren an öffentlicher Lehre gehinderte Carl Schmitt unter Staatsrechtlern, Historikern und Philosophen über Jahrzehnte hin ein Geheimtipp. Auch 1968er ›Revolutionäre‹ pilgerten nach Plettenberg, um sich von Schmitt den Begriff des Partisanen erklären zu lassen. Zum anderen gehört die Schmittsche Freund-Feind-Unterscheidung unterschwellig zum Inventar der Bundesrepublik. Der degoutante Begriff des ›Feindes‹ kommt in der Rhetorik der liberalen, zugleich ›militanten‹ Demokratie (›Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit‹) sowie in Institution und Praxis des Verfassungsschutzes faktisch zum Vorschein. Schmittianer findet man so unter den ärgsten Feinden des Denkers Carl Schmitt. Und spätestens seit die Bundeswehr an kriegerischen, friedensstiftend gemeinten Missionen teilnimmt, gewinnt der Negativbegriff auch wieder im Raum der Außenpolitik heuristische Konturen.
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