von Wolfgang Schütze

Die Auseinandersetzungen um die Wahl von Thomas Kemmerich (FDP) als Thüringer Ministerpräsident letztlich dank eines Taschenspielertricks der AfD haben nicht nur in der Politik, sondern auch in Medien zu einem Überbietungswettbewerb geführt. Mit wenigen Ausnahmen wie der Neuen Zürcher Zeitung galt: Je weiter Publikationen von Thüringen entfernt waren, umso schriller, hysterischer die Reaktionen. Von Tabu- und Kulturbruch, gar Zivilisationsbruch war die Rede. Manche sahen sogar schon die Machtübernahme durch ›Faschisten‹ im Thüringer Wald unmittelbar bevorstehen. Es schien, als wollte niemand der letzte sein in der Brandmarkung der Thüringer Verhältnisse.

 In das Bashing Thüringens und Thüringer Akteure reihte sich bemerkenswerterweise auch die Thüringer Allgemeine ein, eine in Erfurt herausgegebene Regionalzeitung. Ob aus freien Stücken oder einem medialem Zentralismus folgend – analog der Einmischungs- und Durchgriffsversuche von Parteizentralen – steht dahin. Bis vor wenigen Jahren war es bei den Thüringer Zeitungen der Funke Mediengruppe (ehemals WAZ-Gruppe) Usus, dass mindestens die Kommentare zu Land und Leuten selbst geschrieben wurden.

Diesmal aber wurde ein Kommentar zu Thüringen veröffentlicht, der nicht von einem Thüringer Journalisten, sondern von einem Mitglied der Zentralredaktion in Berlin verfasst wurde. Eine ähnliche Zentraleinheit ist das Redaktionsnetzwerk Deutschland, das u.a. Medien der Madsack-Gruppe (LVZ, DNN usw.) beliefert. Gebildet wurden die nicht eben preiswerten Zentralen zuvörderst, um möglichst viele Abnehmer in den Provinzen mit zentral aufbereitetem Material bis hin zu ganzen Zeitungsseiten aus der Hauptstadt zu versorgen. Vor allem bei konzerneigenen Medien in der Provinz reduzierte sich so die Zahl der Journalisten. Das spart Geld. Und es sichert zentralen Einfluss, ob gewollt oder nicht. Denn oft besteht bei den Abnehmern gar keine Chance mehr, etwas an den zentralen Zulieferungen zu ändern, wenn sie es denn dürfen – die Zeit bis zum Andruck ist zu knapp, die Technik erlaubt keinen Zugriff oder es fehlen schlicht die Leute, die etwas anderes schreiben könnten.

Bei Nachrichten, die so sind, wie sie nun mal sind, mag das noch angehen vorausgesetzt, die Auswahl und Bearbeitung in der Zentrale berücksichtigt regionale Besonderheiten – was aus Berlin vielleicht in Hamburg interessiert, kann in Thüringen gänzlich auf Desinteresse stoßen – und die Trennung von Nachricht und Meinung in den Beiträgen wird strikt eingehalten. Es ist allerdings zu beobachten, dass diese Voraussetzungen im Alltag immer mehr aufgeweicht werden. Weniger Hans-Joachim Friedrichs, mehr Haltungsjournalismus. Wer sich also nirgendwo anders noch informiert, bekommt mehr und mehr journalistischen Einheitsbrei aus der Zentralküche vorgesetzt – und die fremde Deutung, wie es ihm zu schmecken habe, gleich mit. Wenn jemand aus dem ›Raumschiff Berlin‹ oder aus anderen Filterblasen seine Meinung schreibt – was auch ihm selbstverständlich zusteht – kann es je nach Reichweite der Zentralredaktion passieren, dass die halbe Republik mit einer, eben derjenigen Meinung auskommen muss. Dies ist dann aber das Ende von Meinungsvielfalt, böse Zungen sprechen gar von ›Gleichschaltung‹ von Medien, die in ihren Zeitungsköpfen dennoch weiterhin Unabhängigkeit behaupten.  Ein Hinweis, dass der Verfasser nicht zur Redaktion vor Ort, sondern zu einer entfernten Zentralredaktion (mit eigenem Chef) gehört, findet sich in dem Thüringen-Kommentar der Thüringer Allgemeine nicht. Nur ein schüchterner Ortsname am Textanfang weist darauf hin, wo der Meinungsmacher seine Meinung machte – im Gegensatz zu früher, als bei Korrespondenten der Arbeitsort direkt hinter dem Namen stand – als unmissverständliches Signal an den einfachen Leser: Achtung, der guckt aus Berlin, Paris oder Posemuckl auf Thüringen und die Welt. Achtung, es könnte sein, dass hier jemand aus höherer Warte kommentiert, im schlimmsten Fall herablassend und arrogant. Berliner Luft halt statt Erfurter Puffbohne.

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