von Immo Sennewald
Fliehkräfte aus dem Reich der Mitte
Ein Bestseller ist dieses Buch schon, nichts fehlt: Politthriller, Liebesgeschichte, Sittengemälde, Familiendrama – alles so ungekünstelt wie glaubwürdig erzählt von einem 1968 geborenen Chinesen. Wie viele andere Autoren wird er seine Heimat schwerlich wiedersehen. Desmond Shum ist aber weder ein Dissident vom Range eines Liu Shaobo, Friedensnobelpreisträger, nur zum Sterben von Xi Jinping aus dem Kerker entlassen, noch ein Liao Yiwu, der mit aufsässiger, rebellischer Poesie, mit Romanen aus den Abgründen Chinas gegen die Kommunistische Partei zu Felde zog – er ist eigentlich ein Muster an Heimatliebe und Engagement, Liebling aller Schwiegermütter, gebildet, groß, sportlich, charmant. Doch er lebt heute mit seinem Sohn in England, seine geschiedene Ehefrau verschwand im September 2017 in Peking spurlos. Ihr einziges Lebenszeichen war seither ein Telefonat mit der flehentlichen Bitte, dieses Buch nicht zu veröffentlichen. Niemand weiß, was Whitney Duang widerfährt im Reich der totalen Kontrolle, im Reich des kollektiven Gehorsams, wo der einzelne Mensch keine Rechte, keinen Schutz vor den Mächtigen hat. Er hat nicht einmal mehr eine Stimme am Telefon, wenn der allmächtige Staat ihn isoliert.
von Herbert Ammon
Inwieweit die geistige Landschaft in Großbritannien auch heute – im Zeichen der ›woke‹-Ideologie – noch von der einst sprichwörtlichen Liberalität geprägt ist, steht dahin. Immerhin hatte darin bis zu seinem Tod auch der Konservative Roger Scruton (1944-2020) als Philosoph, Autor zahlreicher Bücher – in der Spannbreite von politischer Theorie, Ästhetik der Architektur bis hin zu Sex – als Kolumnist für Weine im linksliberalen New Statesman sowie als Mitglied einer Regierungskommission für Städtebau, noch einen anerkannten Platz. Im Jahr 2016 wurde er von Königin Elizabeth in den Ritterstand erhoben. Im Juli 2019 erfuhr Roger Scruton, dass er an Krebs erkrankt war. Er starb am 12. Januar 2020.
In den deutschen Feuilletons erschienen einige Nachrufe. Ansonsten ist der Name Scruton hierzulande nahezu unbekannt. Inwieweit das jetzt auf deutsch erschienene Buch – der englische Titel lautet Fools, Frauds and Firebrands: Thinkers of the New Left – daran etwas zu ändern vermag, sei dahingestellt.
von Felicitas Söhner
Vor bald 50 Jahren wurde in der Bundesrepublik Deutschland ein Bericht zur Lage der Psychiatrie und damit zusammenhängender Empfehlungen veröffentlicht. Die reformorientierten Debatten, in denen die Verbesserung der psychiatrischen Versorgung sowie deren Wandel hin zu einem gemeindeorientierten System sozialpsychiatrischer Hilfen gefordert wurde, begannen weit vorher und in einem größeren Raum. Vorliegende Betrachtungen nähern sich diesen Entwicklungen aus der Perspektive der Sozialpsychiatrie und ihres Verbandes eingebettet in sozioökonomische, politische und kulturelle Prozesse in der Bundesrepublik.
Der Autor Christian Reumschüssel-Wienert befasst sich seit Jahren eingehend mit Fragen der sozialen Psychiatrie. Als Soziologe und Sozialwirt ist er in verschiedenen Funktionen der Gemeindepsychiatrie tätig und engagiert er sich im ›Berliner Archiv für Sozialpsychiatrie‹. Ziel seiner vorliegenden Publikation ist es, in einer Chronik der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP)
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G