von Ulrich Schödlbauer
Keine Kulturmacht liegt dem Menschen näher als das Vergessen ... so nahe, dass er sie bei seinen Berechnungen regelmäßig vergisst. So vertraut ist ihm die dauernde Bedrohung aus den Tiefen des eigenen Unvermögens, Eindrücke, Dinge, Assoziationen und Gedankenflüsse dauerhaft und verlässlich festzuhalten, dass er nicht anders zu denken vermag, als sei Kultur die unwandelbare Verfügung über alles, was je überliefert wurde. Im kulturellen Gedächtnis, so denkt er unwillkürlich, liegt alles bereit, was je überliefert wurde, sofern nicht gewaltsame Ereignisse die Überlieferungskette sprengten. Und selbst dann – selbst an solchen Stellen, angesichts rauchender oder erkalteter Trümmer-Enden, kann der nimmermüde Geist nicht anders, er muss so denken: Rekonstruktion ist möglich, sie muss möglich sein, sie ist schon im Gange, wenn das Bedauern begann.
von Don Albino
Wer schreibt, hat Gegner. Das ist ganz normal. Weniger normal, doch gar nicht selten ist Feindschaft, vor allem dann, wenn sie ins zweite und dritte Jahrzehnt geht: Dann wird sie mehr als lästig, bei manchen sogar gesundheitsbedrohend, vor allem dann, wenn sie sich auf flächendeckende Ignoranz stützen kann. Beschimpft statt gelesen – das trifft häufiger die guten als die miserablen Schriftsteller, weil … nun ja, weil es deutlich einfacher und überdies schneller geht. Es benötigt auch weniger … sagen wir IQ, um das leidige Thema abschließend zu benennen. Ich habe immer gewusst, dass IQ Hass erregt, jedenfalls zu Erregungen führt, die eine Gesellschaft, die auf sich hält, tunlichst vermeiden sollte. Es gibt Parteien, in deren Reihen sollte man die Sache erst gar nicht erwähnen, andernfalls droht das Ausschlussverfahren. Ach, es ist nicht die Intelligenz allein… Es genügt auch eine gewisse Halsstarrigkeit, die aus Einsicht stammt, soweit sie nicht simpler Logik geschuldet ist. ›Geschuldet‹… Bei diesem Wort feixen die Büttel im Dunkeln und halten sich bereit.
von Felicitas Söhner
Karol Czejarek: Autobiografia. Moja droga przez zycie, Zagnansk (Swietokrzyrskie Towarzystwo Regionalne) 2024, 414 Seiten
Autobiografien sind ein schwieriges Genre. Zu oft geraten sie zur Selbstbeweihräucherung oder versacken in endlosen Anekdoten. Karol Czejareks Mein Weg durch das Leben aber macht es anders. Das vor kurzem auf polnisch erschienene Werk ist nicht bloß eine Erinnerungsschau, sondern ein Dokument, das ein Jahrhundert europäischer Geschichte durch ein individuelles Prisma erfahrbar macht. Hier erzählt einer, der nicht nur Zuschauer war, sondern Akteur – zwischen Polen und Deutschland, zwischen Literatur und Politik, zwischen kulturellem Engagement und persönlichen Verlusten.