von Ulrich Schödlbauer
In einer jüngst gehaltenen Brüsseler Ansprache skizziert der Historiker und bekennende ›Hesperianer‹ David Engels seine Antwort auf die Frage, ob (und warum) ›wir‹ ›unsere Zivilisation‹ anderen vorziehen sollten. Die deutsche Fassung, nachzulesen im Sandwirt, ist insofern bedenkenswert, als sie an gewissen Stellen den Ausdruck ›western civilisation‹ durch den etwas anders konnotierten des ›Abendlandes‹ ersetzt. Das dürfte nicht ohne Absicht des Spenglerianers Engels geschehen sein. Es macht also Sinn – um dem Anglizismus an dieser Stelle die Ehre zu geben –, sich auf der Spur der deutschen Terminologie zu bewegen, und sei es nur deshalb, weil sonst die ganze Fragestellung (ob und warum wir alle nun Patrioten des Westens sein sollten) seltsam flach daherkommt. Western patriotism ist bekanntlich immer dann in Europa angesagt, wenn der amerikanische Freund sich der Loyalität – und Zahlungswilligkeit – seiner europäischen Verbündeten versichern möchte. Ansonsten genügt den USA der US-Patriotismus ebenso wie den Europafreunden in Großbritannien der britische.
von Felicitas Söhner
»Solange die Hasen keine Historiker haben, wird die Geschichte von den Jägern erzählt« – damit verwies der Historiker Howard Zinn auf Sinn und Wert, in der Geschichtsschreibung auch die Perspektive wenig beachteter Gruppen einzufangen. Deren Geschichte des Alltags versteht die Historikerin Dorothee Wierling als »Geschichte einer spezifischen sozialen Erfahrung und einer subjektiven Perspektive« (216).
Ausgehend davon, dass das Wissen über die DDR in der breiten Bevölkerung eher gering ist und auch eine Generation nach der deutschen Wiedervereinigung noch immer getrennte Erinnerungskulturen in Ost- und West-Deutschland bestehen, untersuchten die Historikerinnen Agnès Arp und Élisa Goudin-Steinmann, wie die DDR als Gesellschaft im Leben der Ostdeutschen bis heute nachwirkt. Arp leitet seit Oktober 2021 die Oral-History-Forschungsstelle mit dem Fokus auf die Geschichte der DDR und der Transformation an der Universität Erfurt. Goudin-Steinmann ist Dozentin für zeitgenössiche Geschichte und deutsche Studien an der Sorbonne-Nouvelle-Paris 3.
von Herbert Ammon
Im Rahmen politischer Bildung der Bundesrepublik, maßgeblich vermittelt durch Nachfahren der Generation der ›Achtundsechziger‹, nimmt das Jahr 1968 in der Nachkriegsgeschichte geradezu mythischen Rang ein. Erst durch die Studentenrebellion sei das ›kollektive Beschweigen‹ (Hermann Lübbe) der NS-Verbrechen in der (west-)deutschen Nachkriegsgesellschaft durchbrochen, die autoritären Strukturen in Staat und Gesellschaft beseitigt und der Weg zu einer tiefgreifenden Demokratisierung des Landes freigeräumt worden. Dank ›1968‹ sei es zu einer ›Neugründung‹ oder ›Zweitgründung‹ der Demokratie in Deutschland gekommen.
Es handelt sich um die historische Selbstwahrnehmung der westdeutschen Bildungseliten. In deren Sicht der Dinge rückt das ›andere 1968‹, die als ›Prager Frühling‹ bekannte Reformbewegung in der Tschechoslowakei – mit Ausstrahlung auf den gesamten Ostblock, nicht zuletzt auf die DDR –, kaum in den Blick. Vielleicht erinnert man sich noch an Alexander Dubček, aber Namen wie Josef Smrkovský, Ždenek Mlynář, Jiří Hájek oder Ota Šik sind in heutigen Diskursen nahezu unbekannt.
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