von Peter Brandt
Die Themenstellung enthält zwei Begriffe, die sich nicht von selbst verstehen: zunächst ›Sozialismus‹. Ist mit dem Ende des sogenannten ›real existierenden Sozialismus‹ zwischen Magdeburg und Wladiwostok, gekennzeichnet durch die Diktatur des obersten Zirkels der führenden Partei und Kommandowirtschaft im Rahmen einer weitgehend verstaatlichten bzw. entprivatisierten Ökonomie sowie – unterschiedlich stark ausgeprägte – Privilegierung der Staats-, Partei- und Wirtschaftsbürokratie sowie bestimmter Berufsgruppen in einer ansonsten relativ egalitären Gesellschaft, ist also mit dem Ende dieses Systems, dessen Wiederkehr in Europa höchst unwahrscheinlich ist, jede gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus, gekennzeichnet durch Privateigentum an den Produktionsmitteln, den Markt als Steuerungsmechanismus und das Profitprinzip, hinfällig? Und wie sehr hat der Zusammenbruch der oft als ›Staatssozialismus‹, auch als ›Nominalsozialismus‹ (statt ›Realsozialismus‹) bezeichneten Ordnung auch diejenigen Teile einer sich irgendwie als sozialistisch verstehenden Linken, die diesem System schon vor 1989/90 kritisch gegenüberstanden, tangiert?
Das dreißigste Jubiläumsjahr des Mauerfalls wurde spürbar anders intoniert als die vorigen Jubiläen. Im Vordergrund stand diesmal die sog. Nachwendezeit, dargestellt als ostdeutsche Leidensgeschichte. Das hing mit den drei ostdeutschen Landtagswahlen zusammen und mit der Überzeugung vieler Wahlkämpfer, dass sich mit dieser Tonart die Sympathie Ostdeutscher besonders gut gewinnen lasse.
Ob sich das im dreißigsten Jahr der deutschen Vereinigung so fortsetzt, ist offen. Der ostdeutsche Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk hat mit seinem Buch Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde eine Vorlage geliefert. Es ist die erste umfassende Darstellung der sogenannten Nachwendezeit, kenntnisreich und materialreich. Aber es hat zwei schwerwiegende Mängel. Kowalczuk unterstellt, der Westen habe im Zuge der ›Übernahme‹ die Ostdeutschen gezielt und absichtlich gedemütigt. »Herabwürdigung als Staatsraison« heißt es einmal. Im Interesse dieser These werden mehrfach gewichtige Sachverhalte verzerrt oder gar richtiggehend falsch dargestellt.
Dieses Buch war dringend notwendig. Es gibt seit den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts zahllose wissenschaftliche Studien, Meinungsumfragen, Berichte, Kommentare und politische Brandreden zur Gefahr des ›Rechtsextremismus‹ und verwandten ›Strömungen‹. Gegenwärtig hat man als kritischer Beobachter den Eindruck, als stünde eine Machtübernahme ›der Rechten‹ unmittelbar bevor, so intensiv wird im politischen Diskurs die Gefahr ›von rechts‹ und der deshalb vorrangige Kampf gegen ›rechts‹ beschworen. Die AfD wird als vermeintliche Speerspitze des ›Rechtsextremismus‹ von Regierung, Opposition und den sie tragenden Parteien ausgegrenzt, flankiert von zahlreichen NGOs, Gewerkschaften und Kirchen.
So gibt es im politischen Diskurs zu ›rechts‹ und ›links‹ einen dominierend »asymmetrischen« Blick auf den »Extremismus«, wie die Autoren, beide Politikwissenschaftler, nüchtern konstatieren. Klaus Schroeder ist Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin und Leiter des ›Forschungsverbundes SED-Staat‹ und Monika Deutz-Schroeder ist in demselben Forschungsverbund tätig. Sie geben zahlreiche Beispiele für eine anhaltende Relativierung und Verharmlosung des Linksextremismus (S. 17ff.)
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