
von Gunter Weißgerber
Nach längerer Zeit war ich wieder einmal im Gartenmarkt vor den Toren Markkleebergs bei Leipzig. Der erste Eindruck vor dem Eingang machte stutzig. Es fehlte was. Richtig! Viele Jahre stand dort eine kleine Holzlaube, in der Bratwürste, Steaks usw. verkauft wurden. Und jetzt? Weg! Einfach weg, die Bude.
Wo sind die Menschen, die darin ihre wirtschaftliche und soziale Existenz sicherten? Wie viele solcher Existenzen gibt es inzwischen nicht mehr? Tausende? Hunderttausende Einzelschicksale und Familien? Wer interessiert sich überhaupt dafür? Corona-Hysterie sei ›Dank‹: Bratwurststand weg und Fleischkonsum im Keller. Wann gehen diese Menschen auf die Straße? Oder sind sie schon mit dabei in Berlin, Stuttgart, überall?
von Boris Blaha
In den vielen, meist nachdenklichen Aufarbeitungen der Demonstrationen in Berlin am 1. und 29. August wurde, mal mit mehr melancholischem, mal mit mehr optimistischem Grundton, auf das ›bunte Völkchen‹ verwiesen, die naiv-romantische Festivalstimmung wurde ebenso hervorgehoben wie der fehlende politische Ernst. Insgesamt vermisste man die mangelnde Orientierung und Ausrichtung auf einen klaren politischen Gegner. Das Volk müsse sich erst finden, hieß es.
Das ist alles richtig, dennoch fehlen mir in diesen Beschreibungen zwei wesentliche Aspekte. 1989 gab es eine östliche und eine westliche Wahrnehmung und zwischen beiden eine große Verständnislosigkeit. Nach der erfolgreichen Delegitimierung der bloß angemaßten ›führenden Rolle der Partei‹ durch das ›wir sind das Volk‹ änderte sich die Perspektive: Mit dem ›wir sind ein Volk‹ erging die Aufforderung an die westlichen Landsleute, den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes anzunehmen, was am lautesten die 68er Generation, die sich mit der Flucht aus der geschichtlichen Verantwortung profitable Positionen gesichert hatte, mit konsequenter Verweigerung quittierte. Otto Schilys peinlicher Bananenauftritt dürfte noch vielen in Erinnerung geblieben sein. Christian Meier gehörte damals zu den wenigen herausragenden öffentlichen Intellektuellen, die sich unermüdlich, aber weitgehend vergeblich darum bemühten, ein Gespräch in Gang zu bringen.
von Lutz Götze
Eine Reform des Wahlrechts steht seit Jahren auf der Tagesordnung. Der Bundestag platzt aus allen Nähten. Derzeit werkeln 709 Abgeordnete im Berliner Reichstag; sollte nichts geschehen, könnten es nach der nächsten Wahl im Jahre 2021 über achthundert werden: Unerträglich!
Das Dilemma beklagen wortreich alle Parteien, doch geschehen ist bislang nichts. Jetzt hat der Koalitionsausschuss aus Union und SPD eine ›kleine Lösung‹ beschlossen, die Finanzminister Scholz sogleich einen ›großen Erfolg‹ nannte, während die Unionschefin Kramp-Karrenbauer, eher zurückhaltend, von ›einem Dämpfungsschritt‹ sprach, der die Chance dafür biete, dass ›der nächste Bundestag auf jeden Fall nicht größer wird als der jetzige‹. Die Opposition verurteilte das Ergebnis unisono als ›Reförmchen‹, das obendrein eine Verzerrung des Zweitstimmenergebnisses mit sich bringe.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G