von Heinz Theisen
Der Westen braucht eine neue Strategie
Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 und den gescheiterten Versuchen zum Aufbau einer von den USA geführten liberalen Weltordnung steht die Welt ohne erkennbare Ordnungsstrukturen da. Henry Kissinger sieht uns zwischen drohendem Chaos und einer noch nie dagewesenen Interdependenz lavieren (Henry Kissinger, Weltordnung, München 2014, S.10).
Die Staaten stehen nicht mehr nur anderen staatlichen Mächten, sondern einer Vielzahl von transnationalen Prozessen, global agierendem Kapital, asymmetrisch kämpfenden Terroristen, Schleppern, Drogen- und Menschenhändlern gegenüber, die sich der staatlichen Autorität zu entziehen trachten. Im 21. Jahrhundert ist nicht mehr ihre Stärke, sondern ihre Schwäche das Problem. Umso mehr wird eine Neuordnung der Staatenwelt gebraucht.
von Nathan Warszawski
In Deutschland ist nicht das Volk, sondern die Regierung als Inhaberin der Staatsgewalt der Souverän. Der Gesetzgeber (kein Witz: Er nennt sich wirklich so!) betrachtet sich als Gott, der für die Folgen seines Tuns nicht verantwortlich ist.
Niemand kann heute nachvollziehen, warum die deutsche Bundesregierung einst den eingewanderten Deutschtürken die Doppelstaatsbürgerschaft aufgedrängt hat. Die wahrscheinlichen Gründe sind, dass den Deutschtürken die Integrationsfähigkeit abgesprochen worden ist oder die Integration erschwert werden sollte.
Heute gibt es etwa 4.000.000 bis 5.000.000 Deutschtürken, wovon die Hälfte über die deutsche und die türkische Staatsbürgerschaft verfügen. Die Doppelstaatsbürgerschaft bedeutet, dass der Deutschtürke in Deutschland Deutscher und in der Türkei Türke ist. Derzeit kann dieser Umstand für doppelstaatsbürgerliche Deutschtürken, die sich in der Türkei aufhalten, zum Nachteil gereichen. Der Journalist und doppelstaatsbürgerliche Deutschtürke Deniz Yücel hält sich derzeit in der Türkei auf, genauer: 13 Tage in einem Polizeigefängnis in Polizeigewahrsam, anschließend für bis zu fünf Jahren in einem Untersuchungsgefängnis.
Es wird ihm vorgeworfen, seiner bezahlten Arbeit als Journalist nachzugehen. Als Türke kann er nicht gegen seinen Willen aus der Türkei entfernt werden, als Türke kann ihm die deutsche Botschaft in der Türkei nicht helfen. Bald wird er die Türkei auf eigenen Wunsch verlassen wollen.
Weltweit wird in den nächsten Wochen das türkische Volk befragt werden, ob es zugunsten des Despoten Erdogan auf bürgerliche Freiheiten in der Türkei verzichten will, also mit einer auf Erdogan maßgeschneiderte Diktatur einverstanden ist. Nach der Türkei leben die meisten stimmberechtigten Türken in Deutschland. Aus bisherigen Erfahrungen ist damit zu rechnen, dass über 60% der stimmberechtigten Deutschtürken für die Abschaffung der Demokratie in ihrer Heimat Türkei stimmen werden. Würde man dieselben Deutschtürken fragen, ob in ihrer Heimat Deutschland eine islamistische Diktatur eingeführt werden sollte, wäre erwartungsgemäß mit einem ähnlichen Ergebnis zu rechnen. Glücklicherweise darf in Deutschland als ein demokratisches Land über eine solche Frage im Gegensatz zur Türkei nicht abgestimmt werden.
Es ist für vernünftige Menschen, wozu auch die Deutschtürken zählen, schier unmöglich, sich gleichzeitig für eine Demokratie und für eine Diktatur einzusetzen. Die Deutschtürken, die für die Abschaffung der Demokratie in ihrer Heimat Türkei stimmen werden, sind in ihrer Heimat Deutschland demnach eine Fünfte Kolonne, deren Ziel der Umsturz der bestehenden Ordnung in Deutschland im Interesse einer fremden und aggressiven türkisch-erdoganischen Macht ist. Die deutschen Behörden werden nichts gegen den Umsturz der bestehenden Ordnung unternehmen, denn sie sind nicht einmal imstande, antidemokratische, ausländische, politische Veranstaltungen auf deutschem Boden zu unterbinden.
Daraus ist ersichtlich, dass eine Doppelstaatsbürgerschaft nur zuträglich ist, wenn beide Staaten demokratisch sind. Das Extrem wäre ein Krieg zwischen Deutschland und der Türkei, der sofort dazu führen würde, Deutschtürken zu inhaftieren. Es gibt nur eine Sicherheit, dass sich zwei Staaten nicht bekriegen: Beide Staaten müssen Demokratien sein. Kriege zwischen Demokratien sind (bisher) nicht vorstellbar.
Derzeit plagen Deutschland und die EU schlimmere Sorgen als die Abschaffung der Demokratie in der Türkei. Die bürgerlichen Parteien fürchten zu Recht um den Verlust ihrer politischen und wirtschaftlichen Macht. Sie sind deshalb bereit, auf die Wünsche und Vorstellungen in ihrer Mehrheit kleinbürgerlichen Wähler einzugehen, die bis vor kurzem als inakzeptabel, unmenschlich, faschistisch und unmoralisch gegolten haben. Um die Zahl der Flüchtlinge, die in die EU gelangen, zu drücken, paktieren die demokratischen Regierungen Europas mit bestialischen Despoten rund um das Mittelmeer, die jeden unterdrücken und töten lassen, der ihnen gefährlich werden kann. Die Europäer locken diese Despoten mit Geld und anderen Privilegien. Leider kennen die Despoten die Vorgehensweise der Europäer zu Genüge, sie bei erstbester Gelegenheit zu opfern, auch wenn dies den Europäern gravierende Nachteile beschert. Deshalb ist nicht davon auszugehen, dass der Strom der Flüchtenden von Pakistan bis Zentralafrika in die EU versiegen wird. Umgekehrt. Es werden noch mehr verarmte, hungernde und leidende Flüchtende in die Staaten der EU aufgenommen werden wollen. In Deutschland werden jährlich nur 4% der abgelehnten Asylanten erfolgreich deportiert. Die Zahl der Bedürftigen wird in der EU somit steil ansteigen.
Seit die Herrschenden der EU auf die inakzeptablen, unmenschlichen, faschistischen und unmoralischen Wünsche und Vorstellungen ihrer kleinbürgerlichen Wähler eingehen, ist nicht mehr davon auszugehen, dass freie Wahlen zu einer Änderung der Politik der Staaten der EU führen werden. Aufgrund der bekannten Bevölkerungszusammensetzungen in Deutschland und anderen Staaten der EU werden die Populisten nicht ausreichend Stimmen erhalten, um die bürgerlichen Regierungen zu stürzen. Der Visionär Houellebecq hat die wahrscheinliche Zukunft Frankreichs aufgezeichnet. Doch es kann noch schlimmer kommen.
Ab einem bestimmten Moment können die materiellen Bedürfnisse der Zuwanderer und der Einheimischen nicht mehr befriedigt werden, da die notwendigen Ressourcen hierfür nicht vorhanden sind. Die Sozialsysteme des Staates brechen zusammen und in der Folge der Staat selbst. Die bisher staatstragenden Streitkräfte lösen sich auf. Es kommt zu Aufständen und Kämpfen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Wer wird siegen? Wird uns Trump retten oder wird uns Putin befreien?
von Ulrich Schödlbauer und Gunter Weißgerber
Auch das Verhängnis macht Fortschritte. Jedem geläufig ist das Bild der tickenden Zeitbombe, die rechtzeitig entschärft werden muss, damit ›wir alle‹ noch einmal davonkommen dürfen, sei es als Kinobesucher, sei es als Börsenanleger oder Rentenbezieher. Die Öffentlichkeit ist an dieses Bild so gewöhnt, dass eine bürgernahe, verantwortungsbewusste Politik in der Regel daran gemessen wird, inwieweit es ihr gelingt, tickende Zeitbomben zu entschärfen oder zumindest den Zeitpunkt der Detonation in die nächste Legislaturperiode oder in die nächste Generation zu verschieben.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G