von Gunter Weißgerber
Repräsentative Demokratie ist, wenn die Parteien eine Legislaturperiode am Zuge sind und das Wahlvolk seinen Zug am letzten Tag der jeweiligen Legislaturperiode allgemein, frei und geheim machen kann. So geschehen erneut am 24. September 2017 – Der Verfasser
Die Kommunisten scheiterten u.a. an der Tatsache, dass es den Menschen an sich für ihr System nicht gab bzw. geben wird. D.h. sie wollten diese Tatsache nicht wahrhaben! Nun zu den Sozialdemokraten. Diese wollten (oder wollen) nicht wahrhaben, dass die Realitäten sich vielfach von ihren Vorstellungen unterscheiden. Ich sage hierzu Blauäugigkeit oder auch standhafte Negation der Realitäten. – Gunter Weissgerber in Die SPD und die Zwangsläufigkeit ihrer Wahlniederlage oder Die Blauäugigkeit der SPD vom 2. Dezember 1990
I Vorbemerkungen
Nicht im Traum wäre es mir am Wahlabend des 2.Dezember 1990 eingefallen, dass ich an einem Text schrieb, der 27 Jahre später an Aktualität nichts eingebüßt haben würde. Ich dachte damals wirklich, die SPD wird aus ihren Fahrfehlern auf dem Weg von Friedlicher Revolution zu Deutscher Einheit lernen und künftig dauerhaft auf ihre Bodenhaftung achten. Alldieweil Parteien zwar nach dem Grundgesetzartikel 21 (1) an der politischen Willensbildung aktiv wie passiv teilnehmen, sie jedoch nicht die politische Willensbildung sind bzw. sein können. Parteien besitzen nicht einmal das Copyright für die politische Willensbildung ihrer Mitgliedschaften. Das Verhältnis Partei – Mitglieder ist ein enges, jedoch nur durch innerparteiliche demokratische Kommunikation und Willensbildung lebens- und überlebenstüchtig.
Die SPD mit ihren 154 Jahren Meinungsbildungs- und Kampagnefähigkeit steht exemplarisch für diese grundlegenden Anforderungen an Parteien. Das soll ihr erst einmal eine andere Partei nachmachen! Über- und Durchleben unbeschreiblicher Höhen und Tiefen, Verbote, Verfolgungen, Regierungszeiten und bedeutende Staatspräsidenten. Sozialdemokraten bauten niemals Lager für politische Kontrahenten, fanden sich aber selbst in den Lagern sowohl von Nationalsozialisten als auch Kommunisten wieder. Manche waren Opfer beider Lager.
Bereits an diesem Punkt muss ich mein absolutes Unverständnis der SPD-Anbiederung an die Nachfolgepartei der SED ansprechen. Liebe linke Sozialdemokraten, Ihr habt sie nicht mehr alle beisammen! Die Wagenbartschs und Gysis sind originäre Fortsätze der Lenins, Stalins, Thälmanns, Ulbrichts, Honeckers, Mielkes, Krenz’ und Genossen. Die fanden das »Einlagern und Entsorgen« von Sozialdemokraten absolut korrekt und geboten, und die Wagenbartschs haben nullkommnull Probleme mit der Denke ihrer Altvorderen. Gerade im jüngsten Wahlkampf zeigten sie das immer wieder. Nicht wir holen deren Gespenster der Vergangenheit (Gegenwart und Zukunft) auf ausgeleierte Art noch immer für die Auseinandersetzung mit jenen in die Diskussion. Nein! Jene sind es, deren Denken wie in einer Sekte auf die zivilisatorisch abartigen Staats- und Gesellschaftvorstellungen des Kommunismus abgestellt ist und bleibt. Sozialdemokraten jedoch stehen für die demokratische Pflicht der Gegenwehr Antidemokraten gegenüber. Sie sollten es zumindest.
Ebenfalls nicht im Traum wäre mir 1990 eingefallen, dass ich mich nach meinem Bundestagsauscheiden öffentlich in die Belange der SPD einmischen würde. Einmal dachte ich 1990 noch keineswegs ans Aufhören, im Gegenteil. Ostdeutschland brauchte unverbrauchte, authentische, starke Stimmen. Ich rechnete mich eindeutig dazu. Wir brauchten die Sicherheit in der Einheit und in der Mitgliedschaft in EU und NATO. Vor allem musste Ostdeutschland gleichberechtigt in den Einigungsprozess eingebracht werden. Hier sah ich meine Aufgabe und wirkte bis 2009 dahingehend mit.
Den Bundestag verließ ich freiwillig und guter Dinge mit dem festen Vorsatz, der SPD öffentlich keine Ratschläge geben zu wollen. Ich hatte meine Zeit gehabt und wollte mich nicht durch Ratschläge, die öffentlich vorgebracht meist als Nackenschläge beim Adressaten einschlagen, hervortun. Bis zum Leipziger SPD-Bundesparteitag im November 2013 hielt ich mich weitgehend daran. Nur noch staatsbürgerlich zu den Wahlen gehen, das war mein damaliger Vorsatz.
Die SPD »holte« mich zurück
Es war aber die SPD, die mich diesen Vorsatz vergessen ließ und auf die Barrikaden antitotalitären Widerstands trieb. Ausgerechnet in Leipzig beschloss meine Partei, fürderhin Linksaußen wie eine normale Partei zu behandeln und nicht auf deren blutige Geschichte und deren noch immer aktuelle Extremismus-Sympathien und Systemüberwindungswünsche zu achten.
Was die SPD zu Recht nach Rechtsaußen generell und grundsätzlich ablehnt, sollte ab 2013 nach Linksaußen keine Relevanz mehr haben. Dieser Beschluss war eine Beleidigung der Stadt der Friedlichen Revolution und war gleichermaßen ein »In die Tonne Drücken« der SDP-Geschichte.
Nun hatte sie mich also wieder, meine SPD. Und bin dabei längst nicht allein unterwegs. Vor allem waren es Sozialdemokraten, die mit mir den Weg gegen die von langer Hand im »Forum Demokratische Linke« geplante Anbiederung an die SED-Nachfolger gingen. Es waren vor allem Sozialdemokraten, die in Thüringen engagiert ihre Köpfe reckten, kämpften, demonstrierten und beinahe Erfolg hatten. Das deutsche Feuilleton schrieb damals wenig darüber und falls doch, schoben sie unsere Aktionen der CDU u.a. in die Schuhe. Wollten sie doch endlich Blutigrot-Freiheitsrot-Grün nach oben schreiben, um diese danach genüsslich wieder nach unten schreiben zu können. Sozialdemokraten als Kämpfer gegen eine Koalition Linksaußen/SPD/Grün durfte es dabei nicht geben.
Was meine ich nun mit von langer Hand vollzogener Anbiederung? Die SPD-Linke gab den Wunsch nach Aktionseinheit mit der SED und deren Nachfolgern nie wirklich auf. Der Schuss vor den Bug durch die Friedliche Revolution 1989/90 war zwar gewaltig, waren doch auch gerade ostdeutsche Sozialdemokraten mit der SDP mit ganz vorn am Zerlegen des Kasernensozialismus beteiligt, doch dauerte die Schockstarre nicht lange an. Sehr schnell ging es zur Tagesordnung und damit zu Gesprächen mit Honeckers Erben über. Diese Prozesse beschrieb ich sehr oft, sie sollen hier nicht noch einmal angeführt werden (u.a. im Focus 11/22008 »Die Geister, die wir riefen«).
Von der Volkspartei SPD zur sozialistischen SPD für alle Sozialisten
Ich springe in das Jahr 2007 und den SPD-Parteitag, dem es ein Herzensanliegen war, den »Demokratischen Sozialismus« als die Herzkammer der SPD stärker denn je festzuzurren. Godesberger Sozialdemokratie und Volkspartei schienen lange her, für eine sozialistische SPD als Volkspartei schien die Zeit reif zu sein. Pustekuchen! Aktuell ist die Volkspartei SPD schwer lädiert und die sozialistische SPD erfährt statt Gegenwehr heute eher nur noch Mitleid. Hans Apel schrieb einmal über seinen Weg das Buch »Der Abstieg«. Ob er dies auch in düsterer Vorahnung für seine SPD so kommen sah?
Der »Demokratische Sozialismus« sollte das Bindeglied zu Linksaußen werden. Wenn das alle wollen, können sie auch zusammen kooperieren – so war das Nahziel oder die trügerische Hoffnung. Das jedoch konnte nichts werden. Während die einen ihren Demokratischen Sozialismus nur auf dem Boden von Freiheit denken wollen, sind die anderen die Gleichmacher. Gleichmachen führt zwangsläufig zu Lagerordnungen. Wer den Sozialismus probieren will, kommt an dieser Erkenntnis über kurz oder lang nicht vorbei. Honecker und Co. hatten in diesem Sinn alles richtig gemacht. Gleichmachen bedarf Mauer, Stacheldraht, Schießbefehl, Geheimpolizei und starker Freunde in Moskau. Linksaußen weiß das, die SPD-Linke vermag sich das nicht vorstellen zu können. Reinfallen würde die SPD-Linke, obsiegen würde Linksaußen. Sekten funktionieren immer zielstrebiger.
Dem »Demokratischen Sozialismus« nach innen folgte der verbale Linksruck nach außen. Linksreden und Rechtshandeln waren schon oft der Versuch, sich die Verantwortung für real notwendiges Handeln mit Worten aufzuhübschen.
Statt die eigene AGENDA 2010 mit ihren zweifelsfreien Erfolgen gebührend abzufeiern, wurde die augenscheinlich gute Situation Deutschlands der Union überlassen und lieber das heimelige Nest der AGENDA-Kritiker aufgesucht. Damit verbunden war der Verzicht auf hochakzeptierte Persönlichkeiten, die als Sozialdemokraten für die Glanzzeiten der SPD standen.
Die innere Anpassung an Linksaußen ging weiter, das strategische Ziel »(Freiheits)Rot-(Blutig)Rot-Grün wurde intensiv geplant. Spätestens 2017 sollte es soweit sein. Die Vorstufe wurde in Thüringen 2014 gestartet, dies sogar mittels des Kotaus, Juniorpartner von Linksaußen zu werden. Ade, SPD als Volkspartei!
Die Grundannahme der SPD-Linken schien zu sein, die SPD-Wähler würden das alles mitmachen und stark an Zahl bleiben. Ein grandioser Irrtum, der eigentlich nur Laien unterlaufen dürfte.
Sigmar Gabriel schützte die SPD vor rot-blutigrot-grüner Torheit im Bund
Es ist Sigmar Gabriel zu danken, dass die SPD nicht schon 2013 die Koalition mit Linksaußen und Grünen festzurrte. Sein freiheitlich-demokratisches Staatsverständnis hinderte ihn, damit die Bundesrepublik aus der Waage zu bringen. Der Schritt in die große Koalition war richtig, auch weil die Union diese Wahl beinahe mit absoluter Mehrheit gewann, und die SPD als Meuchler von Wahlsiegern sofort beim Wahlvolk unten durch gewesen wäre.
Die Fehler der großen Koalition
Die Fehler der großen Koalition lagen woanders und haben das jetzige Wahlergebnis faktisch erzwungen. Die völlig hilflos erscheinende Bundesregierung des Herbstes 2015 brachte das Wahlvolk in eine für unser Land nie dagewesene Orientierungslosigkeit. Das alles, vor allem aber auch diese überweltliche Energiewende, mitgemacht zu haben, das sind die katastrophalen Fehler der SPD. Nicht die GroKo, zu der es tatsächlich keine demokratische Alternative gab, führte zum jetzigen Debakel. Auch, weil sich die Grünen der Union 2013 verwehrten.
Staffelstab an Martin Schulz
Sigmar Gabriel handelte richtig mit seiner Staffelstabübergabe an Martin Schulz. Die SPD bei 22 Prozent, keine Aussicht auf Besserung und die Wut des linken Flügels – Gabriel musste fair übergeben, und er tat es fair. Nicht jedem gelingen solche Erkenntnisse und so ein Schritt. Hut ab!
Martin Schulz hatte keine Chance
Martin Schulz hatte faktisch dennoch keine Chance. Die SPD hatte ihre Strategie längst in Corporate Identity mit Linksaußen und Grünen festgezurrt. Der gemeinsame Lagerwahlkampf mit Linksaußen und Grünen war inhaltlich fest angelegt und wurde mit einer Gerechtigkeitsdebatte gestartet, der in normalen Zeiten eventuell ein Beachtungs-Erfolg hätte beschieden sein können. Wir leben aber in keinen normalen Zeiten. Seit 2015 weiß die Bevölkerung nicht, wohin und mit wem die Reise gehen soll und vor allem, was am Ende dieser Reise von einem europäischen Deutschland übrig bleiben wird. Das sind viel härtere Fragen als die nach einer Gerechtigkeit, die zudem jedermann völlig anders zu beantworten weiß.
Der europäische Hintergrund von Martin Schulz war kein Malus, im Gegenteil. Die Leute wollen in ihrer Mehrheit das binnengrenzlose Europa. Aber es muss sich schützen können! Auch, um dann in der Lage zu sein, anderen helfen zu können.
Auf dem Höhepunkt seines Hypes hatte Martin Schulz die Chance, die SPD aufs richtige Gleis zu setzen. Innere und äußere Sicherheit der EU, Zurechtbiegen der vermaledeiten Energiewende, die die tatsächliche Gerechtigkeitsfrage 2.0 zu werden scheint, sowie knallhartes Verteidigen deutscher Automobilkunst und ihrer Verbrennungsmotoren – all das wäre die Munition geworden, um die Wahlen für die SPD zu entscheiden. Volksparteien werden nämlich gemocht, die SPD zumal, doch müssen sie auch zeigen, dass sie zuerst Parteien der eigenen Wahlbevölkerung sind. Vermögen sie das nicht, sollten sie sich außerhalb Deutschlands zur Wahl stellen.
Martin Schulz wurde zum Opfer der SPD-linken Strategie. Bildlich wurde er als Kuckuckskind in ein Vogel-Strauß-Nest gesetzt, in welchem ein Seeheimer eher fremd bleiben muss. Auch Martin Schulz weiß: Wohltaten folgen den Steuereinnahmen und nicht umgekehrt. Nur Peer Steinbrück konnte diesen Spagat noch schlechter verdecken.
II Das Wahlergebnis
SPD Zweitstimmen im Bund: 20,5 Prozent / in Sachsen: 10,5 Prozent
(Offizielles vorläufiges Wahlergebnis, nachträglich eingefügt)
Wer soll sich ernsthaft über das Wahlergebnis wundern? Es war genauso zu erwarten, wie es heute über die Bildschirme flimmerte. Die demokratischen Parteien haben dieser Republik aus ihren Wolken heraus schwersten Schaden zugefügt!
Die demokratische Institution Deutscher Bundestag im September 2015 politbüromäßig missachtend, die Meinungsfreiheit einschränkend und die eigene Wahlbevölkerung für weitgehend beschränkt haltend, ritten sie diese wunderbare Bundesrepublik sehenden Auges in dieses Dilemma.
Die SPD gab ihren tüchtigen Wahlkämpfern und Helfern wider besseres Wissen eine untaugliche Strategie und Taktik an die Hand und verheizte dadurch den Spitzenkandidaten und die SPD-Bundestagskandidaten. Schade um viele dieser meist sympathischen und sehr engagierten Sozialdemokraten! Die meisten von ihnen werden Deutschland jetzt nicht auf einen besseren Weg bringen können. Jedenfalls für die nächsten vier Jahre nicht im Parlament. Fünf Jahre werden es nun sicher nicht mehr. Wer von den anderen Fraktionen, außer der AfD, will denn die AfD fünf Jahre im Bundestag ertragen wollen?
Vertane Chancen oder »Hätte, hätte, Fahrradkette«
Dabei gab es durchaus Möglichkeiten der Gefahrenabwehr. Die Union hätte Frau Merkel zurückziehen und einer konservativen Politikerpersönlichkeit einen konservativen Neuanlauf einräumen können. Martin Schulz hätte auf dem Höhepunkt seines Hypes die SPD auf die Siegerstraße setzen können (siehe oben), obwohl die SPD 2015 Frau Merkel mit ihrer einsamen Öffnungsentscheidung ohne Bundestagsbeteiligung nicht stellte. Das wäre sofort vergessen gewesen. Lernfähigkeit könnte eine Tugend in der Politik sein.
Das Wahlergebnis wäre bei sehr hoher Wahlbeteiligung ein Sieg für die Bundesrepublik in Europa geworden. Die AfD wäre unter den kleinen Parteien unterhalb 5 Prozent eingelaufen.
Faktisch aber hatten die 2013 im Bundestag verbliebenen Parteien den Warnschuss mit der knapp an der 5-Prozenthürde gescheiterten AfD nicht gehört. Jetzt haben wir den Salat. Der sinnlose Verschleiß vieler anständiger Direktkandidaten im Wahlkampf 2017 wäre zu vermeiden gewesen, hätten diese Kandidaten statt ideologischen Spielzeugs realistische helfende Politikansätze an die Hand bekommen. Wobei deren feuilletonistisch anmutende Herdenunterordnung zweifelsfrei als bemerkenswert einzuschätzen ist. Soviel »Kopf runter und durch« entgegen besseren Wissens hätte die Friedliche Revolution auf dem »Dritten Weg« der SED 1990 versumpfen lassen. Putins Truppen würden heute gut auf uns in einer »Stasi-reformierten« DDR aufpassen, zusammen mit Notaren, Czernis und Sekretären.
SPD und Union sind schuld an der AfD
Es war die SPD mit ihrer Linksaußenbuhlschaft, die den Reigen der demokratischen Parteien auf der Wippe nach links in Gang setzte. Frau Merkel zog im grünen Lodenmantel mit ihrer lammfromm-dödeligen CDU hinterher, die FDP kam 2013 im Bundestag abhanden. In der Folge begannen rechts der Mitte, im großen CDU/FDP-Loch, die Affen auf dem Tisch zu tanzen, das Vakuum füllend. Demokratien funktionieren so. Das Wahlvolk wählt sich seinen Deckel zu Recht. Verpennt haben das vor allem Union und SPD, ausnutzen konnte es die AfD.
Sei es wie sei, der linke vollbesetzte Hebel der demokratischen Wippe riss gravitationsmäßig nach links unten und brachte damit die politische Statik der Bundesrepublik in eine gefährliche Schieflage. Die Rechtsaußenpartei schoss mit dem Abschwung der anderen laut und vernehmlich nach oben auf das rechteste Ende des rechten Wippenhebels.
Ein Blick nach Sachsen
Dreizehn Jahre nach dem innerparteilichen Führungswechsel (von Macht in diesem Zusammenhang zu sprechen wäre unseriös) in der SPD Sachsen scheint eine Betrachtung angemessen.
Der linke sächsische SPD-Flügel setzte sich auf dem Landeslistenparteitag am 21. Juni 2004 in Döbeln endgültig durch. Von nun an bestimmten die SPD-Linken inhaltlich und personell das Geschehen bis heute.
Sie waren in sozialistischer Lesart ziemlich erfolgreich: Die SPD-Landtagswahlergebnisse, Bundestagswahlergebnisse sowie die Kommunalwahlergebnisse tummeln sich inzwischen recht einheitlich auf einem Durchschnittsniveau unterhalb 15 Prozent. Damit ist dieser Teil gleichmäßiger Verteilung von Armut gelungen! Der Erwartungshorizont für SPD-Wahlergebnisse wurde auf das der Elbtal-SPD angeglichen.
Fortschritt und Erfolg sehen in der realen Welt jedoch anders aus. In der muss auch mehr auf die Grundlagen für Erfolg geachtet werden.
Geradezu prägnant ist der Umgang mit der Steilvorlage aus Brüssel gegen das Meißner Porzellan. Brüssel legte einen prestigeträchtigen Ball auf den Elf-Meter-Punkt und die Sachsen-SPD schoss das Runde nicht in das Eckige. Nur Jens Katzek aus Leipzig nahm den Ball auf. Einfach Wahnsinn, dieses fehlende Engagement für die eigene Region! Und dann hoffen, von den Eingeborenen zum Dank gewählt zu werden?
Wer seine Region nicht offensiv vertreten kann, der/die kann auch die Welt nicht vertreten. Die ist noch viel größer und komplizierter.
Ein Blick in die Region Leipzig
Seit 1989 stand der Raum Leipzig für die mit Abstand erfolgreichste SPD-Region Sachsens. Obwohl bzw. gerade weil die SPD dieser Region auf Abstand zur SED und deren Nachfolgern gegangen war und stattdessen ausschließlich die Nähe zur Bevölkerung suchte und sich dabei auf die praktische Politik konzentrierte.
Die SPD-Konkurrenzregion Dresden machte das genau andersherum. Die Nähe zur SED und deren Nachfolgern war weitaus wichtiger als das, was die Bevölkerung davon hielt. Die Region Leipzig war viele Jahre vorn, der Dresdner Raum erschlug sich öffentlich mit Strategiepapieren über den notwendigen Kopulierungszwang mit Linksaußen. Als ob das für die Wahlbevölkerung die primäre Frage gewesen wäre.
Heute, dreizehn Jahre nach dem Führungswechsel in der SPD Sachsen und dem ständigen Parteiwedeln nach Linksaußen, dem widerwärtigen gemeinsam mit Linksaußen Agieren gegen Rechts ist von der SPD-Hochburg Leipzig nicht viel übrig geblieben. Sie wurde geschleift.
Wer mit Vergangenheitsverleugnern von linksaußen gegen Vergangenheitsverleugner von rechtsaußen das Demonstrationsrecht faktisch in Selbstjustiz einschränkt, der bringt das demokratische Gemeinwesen in Verruf, macht Rechtsradikale zu Märtyrern und beräumt das Feld demokratischer Auseinandersetzung von seinen eigenen demokratischen Grundsätzen. Er macht damit auch die Behüter und Nutznießer der Antifa salonfähig.
Ich bin ausdrücklich für Demonstrationen gegen rechts- und linksradikale Veranstaltungen! Doch dürfen gegen Rechts keine linksradikalen und gegen Links keine rechtsradikalen Bannerträger in die jeweiligen Bündnisse einbezogen werden. Außerdem gilt: Das Blockieren von Demonstrationen ist der erste Schritt in die Eskalation! Die Bevölkerung wendet sich mit Grausen davon ab.
Gegen das verheerende öffentliche Bild der SPD Sachsens hat die letzte Schar aufrechter Sozialdemokraten der SPD Leipzig keine Chance. Das Bild einer sächsischen SPD, die am liebsten mit Linksaußen regieren würde, ist nicht mehr revidierbar. Das Kind ist im Brunnen und kommt nicht mehr heraus, wie es scheint. Die SPD-Hochburg ist wie oben bereits geschrieben, geschleift.
Wer jetzt meint, die Teilnahme an zwei großen Koalitionen in Sachsen mit dem jeweiligen Scheinriesen SPD spreche eigentlich eine andere als eine Linksaußensprache, der greift zu kurz. Beide Wahlergebnisse ließen etwas anderes gar nicht zu. So lange wählen zu lassen bis es passt, an diese Variante glaubt selbst die SPD-Linke in Sachsen nicht.
III Illusionen und Realitäten
Analog zu meinem Papier von 1990 widme ich mich jetzt einigen Illusionen der SPD-Linken:
Illusion 1: Der »Demokratische Sozialismus« ist rehabilitiert und fängt die Leute ein.
Realität 1: Wolkenkuckucksheime sind etwas für Wolkenkuckucksheimbewohner. Die Normalbürger schauen auf das, was trotz hehrer Phrasen tatsächlich geschieht. Zumal noch immer wesentlich mehr Zeitgenossen, und damit Wähler, unterwegs sind, die den Kasernensozialismus einfach nicht vergessen wollen. Der »Sozialismus« wurde 1968 in Prag endgültig niedergepanzert. SPD, noch nichts davon gehört?
Illusion 2: Die Liaison mit Linksaußen wird akzeptiert.
Realität 2: Nicht einmal die eigenen Mitglieder teilen diesen Kinderglauben. Die Wähler sind noch viel flüchtiger. Nicht einleuchtend bleibt zudem die kuriose Betrachtungsweise, wonach die Kommunistische Plattform in der Linksaußenpartei vernachlässigbar, NS-vergangenheitsaffine AfD-Mitglieder nicht vernachlässigbar seien.
Mit Linksextremen Rechtsextreme bekämpfen? Mit linken Feinden der Demokratie rechte Feinde der Demokratie bekämpfen? Ein fahrlässiger Holzweg! Wer mit Linksaußen koaliert, hat keine stichhaltigen Argumente, sollte die Union mit der AfD koalieren. Aus dem Glashaus heraus ist schlecht Steine werfen.
Illusion 3: Die Botschaft SPD plus Linksaußen plus Grün wird eine Addition der Einzelergebnisse und zu einer Ertragssteigerung für die drei ungleichen Schwestern und Brüder führen.
Realität 3: Die gemeinsame Botschaft führte zur Kongruenz von SPD und Linksaußen, verstieß große Teile der der SPD zugeneigten Wählerschaft und dezimierte täglich die zu erwartenden Gesamtprozente.
Für die SPD gilt: eine Aussage pro Linksaußen zieht eine drastische Minimierung der eigenen Chancen zu Gunsten von Linksaußen nach sich. Letztlich führt diese Botschaft zum Ausgleich der Akzeptanz von SPD und Linksaußen auf dem Niveau von Linksaußen.
Illusion 4: Blutigrot-Rot-Grün in Thüringen stärkt die Demokratie durch Einbinden der Linksaußenpartei.
Realität 4: Die Thüringer Vergangenheitskoalition führte zum Erstarken des rechten Randes und zur Atomisierung von SPD und Grünen in Thüringen mit Folgewirkungen in die gesamte Bundesrepublik. Björn Höcke führt die AfD Thüringen und den völkisch-nationalen »Flügel« der AfD.
Am 9. November 2014 warnte ich vor 6000 Kundgebungsteilnehmern vor dem Erfurter Dom »Die Grünen werden in den nächsten Jahren aus dem Orbit geschleudert, die SPD wird aus derselben instabilen Umlaufbahn ins linke Zentralgestirn stürzen.«
SPD und Grüne haben die »Systemüberwinder« von Linksaußen als Seniorpartner in die Regierung geholt. Für die »Systemüberwinder« von rechtsaußen wirkte das wie eine Ermunterung. »Systemüberwindung« ist seit 2014 salonfähig. Die Linksaußenpartei hält sich sogar eine spezielle ideologische Eingreiftruppe mit der »Kommunistischen Plattform«. Eine nationalsozialistische Plattform in Form einer speziellen Organisationseinheit besitzt die AfD noch nicht. Was nur eine Frage der Zeit sein mag. Das Personal steht jedenfalls schon bereit.
Für die SPD rächt es sich grausam, die beiden Extreme einseitig behandelt zu haben.
Illusion 5: Die Gerechtigkeitsfrage gibt den Schub für einen SPD-Erfolg und für RRG im Bund.
Realität 5: Die Gerechtigkeitsfrage zog nicht und die Wahlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und in NRW machten RRG den erwartbaren Strich durch die Rechnung. FreiheitsGerechtigkeit der SPD und LagerGerechtigkeit von Linksaußen harmonieren in etwa so wie Feuer und Wasser: gar nicht!
Illusion 6: Die EU-Sicherheitsfragen können umschifft werden.
Realität 6: Wer das erwartet hat, dem kann nur Totalverlust der Bodenhaftung attestiert werden. Nicht diejenigen, die Sicherheitsfragen diskutieren wollen, stehen außerhalb des politischen Spektrums, sondern die, die Sicherheitsfragen gerade in existenziellen Zeiten ausblenden oder falsch lenken wollen. Sie müssen sich fragen, ob sie das gesellschaftliche Spektrum aus dieser Ferne noch erkennen können.
Die Union tat so, als ob sie etwas aus 2015 gelernt hätte. Die SPD tat so, als ob sie nicht aus 2015 zu lernen hätte. Ein Leben im Panoptikum.
Illusion 7: Den Themen Wirtschaft, Arbeit, Soziales, Wissenschaft, Bildung usw. kann Vorrang eingeräumt werden.
Realität 7: Dieser Wunsch musste angesichts des Vorrangs der Sicherheitsfragen platzen.
Illusion 8: Das Verkloppen der Visegrádstaaten schmiedet eine innerdeutsche Einheitsfront pro Juncker-Europa. Wir Deutschen leisten unseren großen Anteil an der Zuwanderungsfrage, die bösen Visegrádler verweigern sich.
Realität 8: Viele Deutsche wissen sehr wohl, dass Merkels Deutschland die Welt einlädt und logischerweise die demokratisch gewählten Regierungen der Visegrádstaaten kein Mandat von ihrer Bevölkerungen erhalten, der deutschen Einladungskultur zu folgen.
Gerade diese Staaten besitzen einen umfangreichen Erfahrungsschatz osmanischer Unterdrückung. Warum in aller Welt sollten sie jetzt scharf darauf sein, Muslime ins Land zu holen? Die sind doch nicht verrückt. Je suis Visegrád!
Illusion 9: Die Visegrádstaaten dürfen verprügelt werden, ohne die »eingeborenen« west- und mitteleuropäischen Brudervölker in gleichen Fragen ebenfalls zu kritisieren.
Realität 9: Vielleicht merken es ursprünglich westdeutsche Brüder und Schwestern nicht. Die ostdeutschen Brüder und Schwestern, die den Visegrádstaaten unheimlich viel zu verdanken haben, die spüren das geradezu körperlich, dieses ungleiche Maß, diesen ungleichen, überheblichen Fokus.
Illusion 10: Es gibt nur ein rechtsextremes Problem in Deutschland.
Realität 10: Deutschland hat Riesenprobleme mit beiden politischen Rändern und dem islamistischen Terror dazu, der Teil des Islam ist. Wer das nicht zu wissen scheint, das ist die politische Elite, die das Wahlvolk zusammen mit dem Feuilleton für blöd zu halten scheint.
Illusion 11: Das Spiel mit den Grenzwerten ist nachvollziehbar, Grenzwerte sind wichtig und richtig.
Realität 11: Das ist ein schlechter Witz. Der landläufige Eindruck von Grenzwerten ist der, das diese wissenschaftlich desaströs gewürfelte Mittel der Politik sind. Deshalb liegt der »Schwarze Peter« zum Leid der Politökologen nicht allein bei den Autobossen. Die »Politik« wusste, die Autos sind gegen die Gesetze der Natur so nicht zu produzieren..
Hauptsache beschlossen und weg damit! Der Fehler der Autobosse war deren Feigheit, indem sie der Öffentlichkeit vorenthalten haben, dass die Grenzwertforderungen der Politik nicht erfüllbar waren. Ergo: Die Einen wussten, dass sie beschummelt werden mussten. Die Anderen wiederum wussten, dass die Einen das klammheimlich wussten.
Illusion 12: Israel in die Nähe von Unrechtsregimen rücken und gleichzeitig Despoten aus dem Nahen Osten hofieren, ist ausgewogen.
Realität 12: Die SPD vergeht sich an der einzigen Demokratie im Nahen Osten und nährt die Antisemiten unter den Muslimen nicht nur in Deutschland. Israel hält für uns die Fahne der Freiheit und Demokratie hoch.
Zudem ist es typisch deutsch, zu meinen, man habe als Deutscher Juden und dem Staat der Juden mittels Druckausübung Tipps zu geben.
Wir sind selbstverständlich nicht die Tätergeneration. Aber wir sind die Kinder und Enkelkinder der Tätergeneration in eigener Verantwortung, Antisemitismus nie wieder zuzulassen!
Deshalb gilt: »Aber das muss ja einmal gesagt werden dürfen!« ist nicht nur bei Rechtsradikalen zu verurteilen. Bundespräsident Steinmeier und Bundesaußenminister Gabriel verhoben sich an dieser Stelle schwer.
Illusion 13: Die SPD-Wählerschaft bleibt bei der SPD.
Realität 13 Pustekuchen! Richtig ist, Parteimitglieder sind naturgemäß stärker an ihre Partei gebunden, und es fällt jenen schwerer, nicht mehr SPD zu wählen. Die Wähler dagegen, diese undankbaren Schnösel, die sind schon lange von der Fahne gegangen, wenn Mitglieder noch die Fahne unglücklich anzweifeln.
Illusion 14: Das Mitmachen der SPD bei Merkels Völkerwanderung wird bis 2017 vergessen sein, und die SPD kann mit klarer Kante erfolgreich durchs Ziel gehen.
Realität 14: Falsch! Schachmatt für die SPD bereits in den Startlöchern. Statt Gabriels Ball vom Januar 2017 bezüglich Merkels Alleingängen 2015 aufzunehmen, die EU-Sicherheit auf Nummer Eins der Agenda zu setzen und die Union in die Ecke zu verweisen, ließ die SPD diese historische Chance verstreichen. Sie trug Merkels falsche und verhängnisvolle Entscheidungen mit und wollte sich auch als die Folgen davon allenthalben sicht- und spürbar geworden waren, davon nicht absetzen. Weil sie es genauso wollte? Ein Irrtum historischen Ausmaßes für die Bundesrepublik, nicht nur für die SPD: Von nun an gibt es eine »Bundesrepublik Deutschland bis zum 4. September 2015« und leben wir in einer »Bundesrepublik Deutschland seit dem 4. September 2015«. Das heutige Wahlergebnis markiert diese Zäsur dramatisch. Auf die EU ist diese Betrachtung ohne weiteres ebenfalls übertragbar. Da Brexit und Trump ohne Merkels Entscheidung von 2015 nicht denkbar sind, erhält diese Formulierung sogar weltgeschichtliche Weihen.
Illusion 15: Die Statik der Republik durch das Zusammendrängen auf der linken Wippenhälfte nach links rücken, erschüttert das Urvertrauen in die Bundesrepublik nicht.
Realität 15: Die Ostdeutschen wollten 1989 eine funktionierende Demokratie und fanden diese in der Bundesrepublik. Ohne intakte Institutionen wie ein die Regierung kontrollierendes Parlament, war und ist eine funktionierende und akzeptierte Demokratie nicht vorstellbar. Das Versagen des Deutschen Bundestages, der viele Jahre lang fast jährlich zu Sondersitzungen aus weitaus weniger gewichtigen Gründen zusammentrat und der es wegen des Dublin-Bruchs der Bundeskanzlerin vom 4. September 2015 nicht für nötig hielt, zusammen zu kommen, schreit förmlich zum Himmel. Deutschland war in keiner Notlage, die das Handeln der Kanzlerin gerechtfertigt hätte! Die Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland überging die Institution Bundestag und brach deutsches und internationales Recht. Der Bundestag schaute betröppelt zu. Peinlich.
Illusion 16: Frau Özoguz ist eine Integrationsexpertin mit positiver Ausstrahlung.
Realität 16: Frau Özoguz wirkt für die Mehrheitsbevölkerung außerordentlich bedrohlich. Nicht die Ankömmlinge sollen sich einpassen, die Mehrheitsbevölkerung soll orientalisch werden!
Das macht keine selbstbewusste Wahlbevölkerung mit. Mit Seyran Ates, Hamed Abdel-Samad, Ahmad Mansour, Necla Kelek, Erol Özkaraca zum Beispiel hätte die SPD ein Stück Vertrauen erwerben können, welches nicht hoch genug einzuschätzen wäre. Mit Aydan Özoguz an dieser exponierten Stelle hat sich die SPD ein Stück selbst entsorgt. Schade. Eine starke Sozialdemokratie fehlt diesem Land.
IV Wie weiter mit der SPD in dieser Bundesrepublik und in Europa?
Ein Wahlergebnis im Abgrund. Was sollte jetzt in der SPD getan werden? Nicht einmal der Schatten der einstmals Deutschland mit aufbauenden und verantwortungsvoll mitregierenden Sozialdemokratie ist noch zu sehen.
Es wird diskutiert werden müssen! Die SPD besteht aus über 400.000 Mitgliedern, die nicht austauschbar sind. Die Partei muss ihren künftigen Weg mit sich selbst, und vor allem in Kommunikation mit der Gesellschaft klären. Sie nimmt an der politischen Willensbildung teil. Nicht mehr, nicht weniger. Demut wäre angesagt. Und Fragen müssen gestellt werden. Fragen vor allem nach den ideologischen und programmatischen Weichenstellungen, deren Ausrichtung die Talfahrt der SPD wahrscheinlich schon vor langer Zeit in die Wege leitete:
- Wann nun setzte sich die Volkspartei SPD vom Godesberger Programm ab und verwies dieses in die angeblich bewältigte Zeitgeschichte?
- Wann begann die SPD vom »postindustriellem Zeitalter« zu schwadronieren und die Industrie(fach)arbeiterschaft nach und nach abzuschreiben?
- Wann begann die SPD verstärkt auf Allmachtsphantasien in der Gesellschaftspolitik zu setzen?
- Gibt es einen Zusammenhang zwischen der in sich längst quotierten SPD und ihrem Ansehensverlust in der Bevölkerung?
- Ist das überhaupt klar, dass jede noch so kleine Quotierung ein weiterer endgültiger Schritt weg von der Idee einer ursprünglichen Demokratie ist? Einer Demokratie, in der die Wähler entscheiden, wer aus einem ungefilterten Reservoir eine Funktion hat, eine Position bekleidet, und wer diese Chance nicht bekommen soll?
- Wann waren es zuletzt in nennenswerter Anzahl Facharbeiter, die SPD-Bundestagsabgeordnete wurden? Ist der Chemnitzer Lokführer Detlef Müller inzwischen der einzige Facharbeiter in der SPD-Bundestagsfraktion? Und hätte ihm die Parteilinke den vierten Listenplatz in Sachsen gegeben, wäre sie nicht auf dem Höhepunkt des Schulz-Hypes etwas besoffen gewesen? Wohl kaum! Platz vier wäre ohne Schulz-Hype personell schwer links angedockt worden. Der Prolet Müller würde die nächsten vier Jahre ehrenwert Lok fahren müssen, anstatt etwas Realität und Praxiserfahrung neben der »Praxis« von Gewerkschaftsfunktionären, Pädagogen, Juristen in die Politik einbringen zu können. Wetten?
Ich spreche nun damit aber ausdrücklich keiner Facharbeiterquote das Wort. Die SPD ist ohnehin längst quotenkrank. Doch müsste es die Klugheit gebieten, gerade SPD-Praktikern den Weg in die große Politik zu ermöglichen! Realisiert sie das nicht, werden die Facharbeiter überall anklopfen, nur nicht mehr bei der SPD.
Das Lafontaine-linke »Berliner Programm« von 1989 war die in postmoderne Metaphern gemeißelte Botschaft, wonach der ›Neue Weg‹ ökologisch, sozial und wirtschaftlich stark sein sollte. Nach meinem Dafürhalten als Zeitgenosse war genau diese gesellschaftskonstruktivistische Haltung das Scheidungsdokument der SPD von ihren Wurzeln in der Industrie(fach)arbeiterschaft und von den Ingenieuren.
Der jüngste Angriff auf die Naturgesetze im Rahmen der Dieselermordungskampagne belegt das auf eindrucksvolle Weise. Deutschland wird, grün-deindustrialisiert, seine Abschaffung betreiben. Die Sozialdemokratie muss andere Wege gehen!
1990 schrieb ich in meiner Wahlauswertung an die SPD-Bundestagsfraktion von der Notwendigkeit, diese Reihenfolge - ökologisch, sozial und wirtschaftlich stark - wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen, damit der Kontakt zur Bevölkerung nicht vollends abreißen möge.
Dem Kanzlerkandidaten der SPD schlug ich aus gleichen Gründen im Mai 1990 vor, für zwei Wochen nach Espenhain in ein Arbeiterwohnheim zu ziehen, damit er Bodenhaftung unter Ostdeutschlands Industriearbeiterschaft bekommt.
Vergebliche Liebesmüh’ war das. Hinunter zum Plebs, das kam für Oskar Lafontaine nicht infrage.
Sigmar Gabriel ist da von anderem Holz. Er bewies das im Januar 2015 mit seinem stillen Zuhören in der Landeszentrale für Politische Bildung in Dresden anlässlich einer Diskussion mit Pegida. Er war sich nicht zu schade, und feige war er schon gar nicht, sich das alles selbst anzuhören und nicht nur von seinen Filterblasen informiert zu werden. Damit ist er der einzige Spitzenpolitiker, der sich ein eigenes Urteil gebildet hat.
Der Eindruck damals war schlichtweg erodierend auf die Pegidagesellschaft. Einer aus dem »Raumschiff« traute sich dorthin und hörte zu? Die fielen vom Hocker. Da gingen Zerrbilder zu Bruch!
Es wäre Gabriels und der SPD Chance gewesen, das Milieu auszudifferenzieren und zum Teil für diese Demokratie wieder zu gewinnen. Die gnadenlose Überheblichkeit der Maas’ und Fahimis, breit und gerne im gesamtdeutschen Feuilleton zitiert, schlug über dem SPD-Parteivorsitzenden zusammen und begrub endgültig die SPD-Chancen, die Dresdener Gespenster zu entwirren. Infolge dessen scharte sich Pegida noch enger zusammen und wurde weit unerträglicher als vordem.
Mehr Demut
Die SDP/SPD-Ost, aus einer kommunistischen Diktatur kommend, war viel demütiger und doch so viel mutiger. Die Realität zu bessern ist einleuchtender als eine virtuelle Realität zu versprechen. Ein Auszug aus dem Grundsatzprogramm der SPD der DDR vom 24. Februar 1990 (Markkleeberg) auf Seite 11 Mitte lohnt des Nachdenkens:
»Der von der Politik gesetzte Rahmen wird immer variabel sein müssen. Denn den Gang der Geschichte können wir nicht voraussehen. Wir können und wollen über die Absichten und Entschlüsse anderer Menschen nicht verfügen, sondern erhalten über sie Aufschluß nur durch die Erfahrung und den offenen, unabschließbaren Dialog. Darum bedürfen wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten keines fertigen Gesellschaftsmodells. Doch ist unser Bestreben, soweit als möglich alle entscheidenden Aspekte der gesellschaftlichen Entwicklung in den Blick zu bekommen und angemessen zu berücksichtigen. Deshalb suchen wir die Bedürfnisse und Interessen sowohl der Einzelnen als auch der Gesamtheit wahrzunehmen, ihnen zu ihrem Recht zu verhelfen und den Ausgleich zwischen ihnen zu befördern. ….Mit Demokraten können wir uns über gemeinsame Ziele verständigen, eine Zusammenarbeit mit Verfechtern totalitärer Ideologien, mit Links- und Rechtsextremismus lehnen wir strikt ab.«
Der SPD ist nur zu raten, ein Stück zurück zu diesen Wurzeln zu gehen. Wir sind Teil der Bevölkerung, und dabei nicht mal der mit Sicherheit schlauere. Überheblichkeit zahlt sich nie aus. Die SPD war in ihren erfolgreichen Epochen immer die Partei der Facharbeiter, der technischen Intelligenz, der Wissenschaft. Und sogar erfolgreiche Unternehmer zog die SPD an. Was bitte ist davon in der SPD übrig geblieben? Richtig: vor allem die Schwadronierer der Weltenrettung.
Wer Europa und die Welt retten will, der muss sich aber zuerst auf seine eigene Bevölkerung konzentrieren! Macht die mit, geht auch mehr.
Die SPD hat die Bevölkerung verloren. Das tut verdammt weh. Der Wahlkampf war Krampf. Mitleid mit der SPD und ihrem Spitzenkandidaten kam auf. Mitleid? Das ist noch schlimmer als Gleichgültigkeit. Merkel hatte wenigstens noch unzivilisiert auftretende Gegner in ihren öffentlichen Veranstaltungen. Der Frau flog Hass entgegen, ein makabres Indiz dafür, dass sie ernst genommen wurde.
1957 fuhr die marxistisch geprägte SPD mit 31,8 Prozent ein enttäuschendes Wahlergebnis ein. Eine SPD-Kanzlerschaft schien für viele Jahre weiterhin ausgeschlossen. Willy Brandt sprach damals davon, Ballast abzuwerfen. Das 1959 verabschiedete Godesberger Programm war von Ballast befreit und half den Weg für die SPD zur Volkspartei freimachen. Sieben Jahre später wurde Brandt Außenminister, zehn Jahre später Bundeskanzler. 1959 begann der unaufhaltsame Aufstieg der deutschen Sozialdemokratie in die Gipfel der Bundesrepublik.
Vier Jahre später gaben 36,2 Prozent der SPD ihre Stimme.
Nach zwei immer linkeren Programmen 1989 Berlin und 2007 Hamburg steht die SPD seit heute bei 20,5 Prozent (Offizielles vorläufiges Wahlergebnis, nachträglich eingefügt).
Stünde der SPD nun nicht doch eine Wende zu einer Diskussion um ein wieder nach Volkspartei schmeckendes Programm gut zu Gesicht?
Zu den Wurzeln zurück heißt auch, die derzeitige EU zu hinterfragen. Was ist mit »Vertiefung der EU« gemeint? Ein Vielvölkerstaat mit der Zentralregierung in Brüssel?
Liebe SPD, das kannst Du vergessen! Rette die EU, indem Du sie zu einer Interessengemeinschaft der europäischen Hauptstädte machst und in Brüssel die dieser Interessengemeinschaft dienenden Einrichtungen schaffst. Mehr geht nicht, weil mehr nicht gewollt ist. Junckers Ideen sind schlichtweg die eines ABM-suchenden Greises. Linksaußen nennt so etwas seit Jahrzehnten »öffentlich geförderter Beschäftigungssektor«.
Ein Gedanke drängt sich noch auf. Ist es dem linken SPD-Flügel eigentlich klar, dass es immer gemäßigte Sozialdemokraten waren, die die SPD erfolgreich zu Kanzlerschaften zogen? Ist es der SPD-Linken eigentlich klar, dass sie es war, die den eigenen Kanzlern Schmidt und Schröder in der jeweils zweiten Legislatur die Hölle so heiß machte, dass es ein faktische Verfallsdatum sozialdemokratischer Kanzler gibt:
Höchstens zwei Legislaturperioden, dann möchte der linke Flügel aus der Verantwortung befreit werden. Die SPD muss sich jedenfalls keine Sorgen um ihre Kanzler machen, sobald tatsächlich in Zukunft eine Mandatszeitbegrenzung für Bundeskanzler beschlossen werden sollte. Was ja letztlich sogar etwas mit sozialistischer Gerechtigkeit zu tun hat. Trotz unterschiedlichem Erfolg gleich lange Mandatszeiten. Na, das ist doch endlich mal etwas für gute sozialistische Fahrensmänner und -frauen.
Ein Blick in die Glaskugel
Die große Koalition ist nicht schuld am Absturz der SPD. Schuld ist etwas ganz anderes. Die Feigheit vor der Verantwortung und das Einknicken vor dem Feuilleton mache ich als Hauptursachen fest.
- Helmut Schmidt scheiterte 1982 an der Feigheit der SPD-Linken, zur Doppelten Null-Lösung zu stehen. Die Sympathie für die moskaugesteuerte (westdeutsche) Friedensbewegung war größer als die Empathie mit den Ostblock-Lagerinsassen. Latenter Anti-Amerikanismus dürfte dabei eine große Rolle gespielt haben. »Lieber rot als tot!«, was faktisch die ewige Verdammnis der Ostblockvölker im Kommunismus bedeutete, zog mehr als der östliche Wunsch nach Freiheit. Mangelnde Empathie eben. So wie es heute an Empathie für die Ukraine, Polen, die Balten und die Visegrádstaaten fehlt. Hier lebt die SPD-Linke im Wahn, das Telefon stehe noch immer in Moskau und nicht in den Hauptstädten der freien Ost- und Mitteleuropäer. Peinlich.
Die Doppelte Null-Lösung brachte uns in Verbindung mit der Ostpolitik von Willy Brandt die Freiheit. Die SPD konnte den Erfolg 1989/90 nicht einfahren, weil sie mit dem Schmidtschen Anteil am Zusammenbruch des sowjetischen Kolonialsystems fremdelte. Schmidt war 1990 zu meinem großen Erschrecken in der SPD eine Unperson geworden.
- Gerhard Schröder scheiterte an derselben Feigheit der SPD-Linken, die den absehbaren Erfolg der AGENDA 2010 gern mit dem Linksaußenmantra gegen die AGENDA 2017 tauschte. Merkel half das spürbar. Es hilft ihr immer noch. Die SPD-Linke schaffte seit 2003 die SPD ab und will dessen ungeachtet die SPD-Führung noch stärker dominieren. Der apokalyptisch wirkende Ralf Stegner verkündete das sogar bereits zwei Wochen vor der Katastrophe vom 24. September 2017. Das klingt für die Zukunftsfähigkeit der SPD bedrohlich.
- Peer Steinbrück erbat sich »Beinfreiheit« im Wahlkampf 2013. Vergeblich. Der gemäßigte Sozialdemokrat musste ein ungemäßigtes Programm vertreten. Was schief gehen musste. Person und Programm passten nicht zusammen. Was nicht am Kanzlerkandidaten lag.
- Jeder Kanzler, jede Kanzlerin der SPD (sollte diese Gelegenheit jemals wieder kommen) wird sich spätestens in der jeweils zweiten Legislatur stärkerer Profilierungskritik seitens der eigenen Linken ausgesetzt sehen als der Kritik der politischen Konkurrenz.
- Die SPD ist eine zum Ersticken verquotierte Partei geworden. Der Wettbewerb um die besten Köpfe findet in klar abgetrennten Gruppen statt. Frauen konkurrieren mit Frauen, Männer konkurrieren mit Männern, linke Sozialdemokraten konkurrieren mit linken Sozialdemokraten, rechte Sozialdemokraten konkurrieren mit rechten Sozialdemokraten, Schwule konkurrieren mit Schwulen usw. usf. Hinzu kommt der Regionalproporz, der sich wiederum aus den Quoten speisen muss. Im Ergebnis stellt die SPD seit vielen Jahren mit kontinuierlichem Trend nicht ihre besten Köpfe aus ihrem großen Reservoir aus. Um keine Gruppen zu verprellen, werden in der Regel Kreativität und Leistungsfähigkeit geopfert. Mit so einem Prinzip sinkt die durchschnittliche Leistungsfähigkeit von Wahl zu Wahl. Auch das hat etwas von Sozialismus, der in der DDR bekanntlich gleich verteilte Armut innerhalb einer Gefängnisordnung war! Die SPD sollte sich der IQ-Forschung annehmen. Niedergehender Gruppen-IQ und niedergehende Gesellschaften bilden Schicksalsgemeinschaften.
Mit der Türöffnung für die Völkerwanderung 2015 rissen Merkel und das Feuilleton gleichzeitig die Brandmauern um den Bundestag gegen Rechtsradikale nieder. Das wurde in den Wochen nach dem 4. September 2015 sonnenklar. Nur die Raumschiffer in Berlin übersahen diese Gefahr geflissentlich.
Ein Bild drängt sich auf: Die Schleusenwärter Union und SPD pennten, Grüne und Linksaußen jubelten und Millionen Zuwanderer drängten aus der offenen Schleuse in die EU nach Deutschland. Die Spitze dieses Zuges schiebt die AfD zwei Jahre später in den Bundestag.
Das alles soll nicht absehbar gewesen sein? Nein! Die Stärke der AfD ist die direkte Folge historisch falscher Politik. Daraus muss gelernt werden.
Der Blick in die Glaskugel zeigt leider verschwommen ein anderes Bild: Die Fehler werden nicht ehrlich diskutiert werden und stattdessen wird der demokratischen Konkurrenz die Schuld allein in die Schuhe geschoben werden. Stegners Hoppla-hier-bin-ich-Botschaften wenige Tage vor der Wahl belegen das. Der Fahrstuhl nach oben wird von dieser Seite so schnell keine Chance bekommen.
V Ein anderer großer Wahlverlierer: das Feuilleton
Diese Betrachtungen wären ohne den Blick auf Merkels Jubelperser im Feuilleton nicht vollständig. Frau Merkel sieht immer auf die Wallungen und Zuckungen der Meinungsbesitzer. Was ahnen die? Was schreiben die? Wo könnte der Ball hinlaufen?
Das war bei der Auszeit für die Wehrpflicht so, so tat sie es mit dem Atomausstieg und so vollzog sie es in furchtsamer Gehorsamkeit gegenüber den Meinungsbesitzern des Feuilletons mit ihrem Dublin-Bruch.
Angela Merkel ist die Feuilletonkanzlerin. Angela Merkel ist das Medium des Feuilletons zum Mitregieren, sozusagen.
Wann wurde Angela Merkel zur Feuilleton-Kanzlerin? Dafür muss rund 15 Jahre zurück geschaut werden. Damals war sie beim Feuilleton als neoliberal noch sehr verhasst. Der Leipziger CDU-Bundesparteitag 2003 wurde von ihr und ihrem als eiskalt verrufenen Programm geprägt.
Unter Angela Merkel trieb die Union die Regierung Schröder bis 2005 in die Enge. Die Agenda 2010 war Frau Merkel nicht hart genug. Dafür bezog sie viel schmerzhafte Kritik, gerade aus den Medien. Mit der Amtsübernahme 2005 übernahm sie auch Schröders Agenda. Was ihr mit Hilfe der SPD-Linken mühelos gelang. Die Erfolge der Agenda wurden Merkels Erfolge. Das Feuilleton nahm sich ihrer nun an. Angela Merkel begann sich an wärmenden Worten aus dem Feuilleton zu erwärmen. Süchtig wurde sie danach.
Böse Worte gab es erst wieder aus dem Feuilleton mit der Verlängerung der Atomkraftwerkslaufzeiten. Das tat weh und verunsicherte. Das Seebeben von Fukushima in Verbindung mit lascher japanischer Handhabung von Sicherheitsbelangen in den dortigen Atomkraftwerken gab ihr die Chance, vom Feuilleton wieder geliebt zu werden. Sie nutzte die Chance und machte den Atomausstieg sofort. Von nun an wurde sie von Liebe aus den Reihen der Meinungsbesitzer überflutet.
Schwierig wurde es noch einmal zwei Monate vor dem 4. September 2015. Angela Merkel sagte einem Flüchtlingsmädchen, dass sie als Bundekanzlerin keine individuellen Asylentscheidungen treffen könne. Das war für das Feuilleton eindeutig zu viel! Merkel war jetzt ›eiskalt‹ und das klang so wie ›neoliberal‹ und ›pro-Atom‹. Es muss der verletzten Merkel-Seele verdammt weh getan haben. Nie wieder böse und eiskalt, so die Metaphysikerin in ihr. Der 4. September 2015 mit ihrer Individual-Entscheidung konnte kommen.
Merkels historische Schuld ist somit auch am Verhältnis Regierung und Medien zu diskutieren. Standen Brandt, Schmidt, Kohl und Schröder oft gegen das Feuilleton und setzten sie sich sehr oft gegen diese verdammt klugen Leute durch, so ließ Angela Merkel das Feuilleton, wie beschrieben, mitregieren.
Auch das Feuilleton wurde heute abgewählt!
In nüchterner Erwartung des Ausgangs der Bundestagswahlen habe ich zwischen dem 9. und dem 15. September 2017 diesen Text verfasst. Lediglich die (ersten) konkreten Zahlen fügte ich am 24. September 2017 abends ein.
Diese Vorausschau war ähnlich einfach wie die zur ersten gesamtdeutschen Bundestagswahl 1990, obwohl ich anders als 1990, in diesem Jahr lediglich hochinteressierter Zaungast war. Schade, SPD! Das wird hart, Bundesrepublik.