von Steffen Dietzsch
Alles Lebendige erlebt Niedergänge; das ist ihm naturhaft eingeschrieben. Noch in der Aufklärung (im Dix-huitième) hat man mit dieser Einsicht geschichtliche Prozesse und politische Großstrukturen (Staaten, Reiche, Kulturkreise) analytisch beschrieben. Die wurden metaphorisch als Lebewesen begriffen, – mit naturgesetzlich beschränkter Lebensdauer zwischen (Geburt) ›Jugend‹ und ›Alter‹ (Tod). In dieser Tradition hofft der Autor, man möge ihm »zugestehen, dass das Konzept des Niedergangs eine fundamentale Kategorie historischer Interpretation ist.« (14) – Als einst Kant (im Streit der Fakultäten, II,3.a-c) daran ging, Begriffsunterscheidungen von dem zu machen, was man von der Zukunft zu wissen glaubt, da hat er dieses Konzept die ›terroristische Vorstellung der Menschengeschichte‹ genannt; dem entgegengesetzt sei dann die ›eudämonistische‹ Vorstellung, die als eine bloß ›sanguinische Hoffnung‹ aber ebenso wenig aus wirklichen Gründen heraus zu begründen wäre.
Homerisches Gelächter
von Boris Blaha
Ulrich Schödlbauer hat einen Roman, einen politischen Roman über T. geschrieben. Hören Sie mir überhaupt zu? Was? Politisch? Über T? Diesen durchgeknallten Irren, der das Weiße Haus gekapert hat und seither durch die moderne, bisher so gut aufgeräumte Welt irrlichtert? Das liest doch keiner, wo doch jeder schon weiß, was für ein unmöglich aufgeblasener Volltrottel dieser T. ist.
Eigentlich ist es ja auch gar kein Buch über T., sondern mehr über uns aus der Perspektive von T. Der Plot: Zwei alte lebenserfahrene Männer, ideengeschichtlich versiert, auf dem Weg nach unten unterhalten sich auf entsprechend hohem Niveau über T. 's Weg nach oben und seine unvermeidlichen Begleiterscheinungen. Der eine, ein gereifter, vietnamesischer Kommunist, der andere ein von ›Lolita‹ verführter Menschheitsfreund mit zu viel Geld. Schon der Plot verspricht intellektuelles Vergnügen.
Ein herrliches homerisches Gelächter durchzieht das Buch von der ersten bis zur letzten Seite, weil es ein so wunderbares Buch über den westlichen Ikarus ist, der der Sonne zu nah kam, abstürzte, als neuer Phönix wieder aufstieg und – dumm und erfahrungsresistent, wie er ist – immer wieder verbrannte. Zur Einstimmung möchte ich einen Punkt etwas näher beleuchten: den Zeitpunkt. Wie T. und sein angelsächsischer Gefährte B. erscheint auch dieser ›politische‹ Roman zu einem bestimmten, einem machiavellischen Moment.
Von der Kulturnation der Deutschen war in der Vergangenheit viel die Rede. Sie galt als Klammer zwischen den beiden Deutschland, die nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden, um durch die ›Einheit‹ (die nach dem Willen ihrer Verächter keine ›Wiedervereinigung‹ sein durfte) 1990, nun ja, nicht ersetzt, doch zumindest in ihrer staatlichen Getrenntheit kassiert zu werden. Seither, vor allem während der letzten Merkel-Jahre, schwang das Pendel des nationalen Selbstverständnisses in die andere Richtung. Das ging bis hin zu der denkwürdigen Aussage einer deutschen Integrationsbeauftragten, eine deutsche Kultur sei jenseits der Sprache schlicht nicht identifizierbar. Die Edition Europolis hat verdienstvollerweise einen ursprünglich im Jahrbuch für Kulturpolitik 2015/16: Transformatorische Kulturpolitik erschienenen Essay des Schriftstellers Friedrich Dieckmann als Separatdruck in drei Sprachen (deutsch, französisch, polnisch) herausgebracht, der Herkunft und aktuellen Gehalt des Begriffs unter verschiedenen Gesichtspunkten unter die Lupe nimmt.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G