von Ulrich Schödlbauer
Lieber Herr Oberreiter,
beim Wiederlesen der Schriften Ciorans, nachdenkend über das Wunder, dass es sie gibt, dass es sie in dieser Vollständigkeit gibt, dass sie entstanden sind und man sie gegen ein kleines Entgelt kaufen und lesen kann, stellt sich, unvermutet, diese Empfindung ein: was wäre, wenn dieser Autor heute schriebe, wenn er hierzulande schriebe, von alledem lesbar? Was davon käme jemals an den Tag? (Damit meine ich nicht jene frühe Verstrickung, gegen die, nach Adornos einschlägigem Wort, ein Lebenswerk einsteht.) Schon die lausige Übersetzung weckt Argwohn, doch sie entstammt einer anderen Zeit, einer anderen Gestimmtheit, man sollte sie ruhen lassen. Stattdessen sollte man das literarische Verfahren ins Auge fassen, die Art, wie der Autor sich freistellt, die Art von Thesen, mit denen er sich herumschlägt, überhaupt die Weisen, auf die er sich herumschlägt, das leicht Nachzumachende und das Unnachahmliche daran, die Unart, wörtlich und sogar persönlich zu nehmen, was für die Azubis des akademischen Systems nur kulturelles Gewäsch darstellt: Worte, Worte, nichts als Worte, nicht wahr? Eine kleine Schreib-Enthemmung, nicht wahr, ein Sich-Gehenlassen in Worten, vermutlich der transkulturellen Situation geschuldet, man müsste über Sozialisationen nachdenken, falls man dazu aufgefordert würde, ansonsten... besser schweigen. Einmal nachdenklich geworden, könnte man andere Namen aufführen, ganz andere, ich bleibe bei diesem, in dessen Wohnung ich einmal ein- und ausging, und bin mir ganz sicher, dass ihn diese Mauer aus Schweigen umstünde, aus Verlegenheit, wenn man so will, einer Verlegenheit, die rasch weg will, die bereits auf die Uhr schielt, die ihre Termine hat. Die kanonischen Texte unserer Kultur wären, würden sie heute geschrieben, nicht vorhanden. Die sie zu Gesicht bekämen, würden ungerührt darüber hinwegsehen, und die anderen würden ohnehin nichts mitbekommen. Das ist die Wahrheit, nichts als die Wahrheit, und jeder, den es angeht, ist darüber verständigt.
von Ulrich Schödlbauer
Lieber Herr Oberreiter,
unter den Linien, welche die schöne Leidenschaft in die menschliche Seele zeichnet, besitzt für mich eine seit jeher einen bedingungslos anderen Reiz – die der literarischen Emphase. Die intelligente Emotion, die durch ihr Ausdrucksmittel darauf festgelegt ist, Mimesis und Moral, die Vernunft und den Verrat an ihr zu artikulieren, zu inszenieren, in jenes Tauschverhältnis zu setzen, in dem sich beides aneinander bereichert und steigert, richtet sich von Haus aus weniger an die Intelligenten, die Klugen, die Bescheidwisser, vielmehr an diejenigen, die nicht ganz zu Hause sind ›in der gedeuteten Welt‹, wie das ein Lyriker einmal ausgedrückt hat, sie ist insofern auch, jedenfalls für mich, wesentlich lyrisch, wobei mir bewusst ist, dass ich mit dem Wort ›wesentlich‹ bereits etliche Abwehrreflexe mobilisiere.
von Ulrich Siebgeber
Als die Bildzeitung warb,
die Wahrheit bedürfe des Mutigen, der sie ausspricht,
meldete er sich zur Stelle.
Der Epiker, erfährt man, hat eine löchrige Erinnerung.
Der Epiker, erfährt man, kann nichts dafür.
Der Epiker, erfährt man, kann sich keinen Reim drauf machen, was da passiert ist.
Der Epiker, erfährt man, will es endlich loswerden.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G