von Herbert Ammon
›Das Politische‹ als Begriff genießt hierzulande keinen guten Ruf, denn es ist mit dem Namen Carl Schmitt (1888-1987) verbunden. Der Name des Opportunisten (»Der Führer schützt das Recht«, 1934) und Antisemiten Schmitt ist aus guten Gründen verpönt, was wiederum viele seiner Feinde der Mühe enthebt, sich mit seinem Werk auseinanderzusetzen. Allgemein genügt in der Bundesrepublik der Hinweis auf Schmitts amoralische Freund-Feind-Bestimmung des Politischen, um seine Denkkategorien aus Theoriedebatten zu verbannen.
Das Verfahren ist nicht ohne Ironie, denn zum einen blieb der von den Besatzungsoffizieren an öffentlicher Lehre gehinderte Carl Schmitt unter Staatsrechtlern, Historikern und Philosophen über Jahrzehnte hin ein Geheimtipp. Auch 1968er ›Revolutionäre‹ pilgerten nach Plettenberg, um sich von Schmitt den Begriff des Partisanen erklären zu lassen. Zum anderen gehört die Schmittsche Freund-Feind-Unterscheidung unterschwellig zum Inventar der Bundesrepublik. Der degoutante Begriff des ›Feindes‹ kommt in der Rhetorik der liberalen, zugleich ›militanten‹ Demokratie (›Keine Freiheit für die Feinde der Freiheit‹) sowie in Institution und Praxis des Verfassungsschutzes faktisch zum Vorschein. Schmittianer findet man so unter den ärgsten Feinden des Denkers Carl Schmitt. Und spätestens seit die Bundeswehr an kriegerischen, friedensstiftend gemeinten Missionen teilnimmt, gewinnt der Negativbegriff auch wieder im Raum der Außenpolitik heuristische Konturen.
Ferda Ataman ist Publizistin und Sprecherin der ›Neuen Deutschen Organisationen‹, einem bundesweiten Netzwerk von Vereinen und Initiativen mit Migrationshintergrund. Im Sommer ist ihr Buch Ich bin von hier! Hört auf zu fragen. erschienen. Das Buch ist eine ›Streitschrift‹ für die Neuen Deutschen, wie sie sich selbst nennen. Hierin expliziert die Autorin den Anspruch der Neuen Deutschen auf Anerkennung als vollwertige Deutsche, auf gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen Bereichen, darauf, dass Deutschland »auch unser Land« ist und deswegen ein neues Leitbild von Deutschland und von Integration vonnöten sei. Das leicht lesbar geschriebene Buch führt »Fünf Missverständnisse im Einwanderungsland« aus und »Fünf Vorschläge, wie es weitergehen kann«.
Die folgende Kritik konzentriert sich auf die zentralen Aspekte des Buches: »Was ist Deutschsein?«, ein neues ›Narrativ‹ von Migration und Integration und den durchgängigen Rassismusvorwurf gegenüber denen, die Deutschsein auch mit Abstammung und Volk bzw. Nation in Verbindung bringen.
Hatte sich zumal die westliche Welt nach dem Fall der Mauer 1989 und dem Ende des ›realsozialistischen Systems‹ darauf verständigt, dass zum herrschenden kapitalistisch-neoliberalen Gesellschaftsmodell keine Alternative bestehe und das Ende der Geschichte (F. Fukuyama) angebrochen sei, so hat die jüngste Vergangenheit bewiesen, dass diese Sichtweise außerordentlich fragwürdig ist. Weltweite Kriege, Massenmigration, Klimakatastrophen, Schwächung demokratisch regierter Länder und Anwachsen populistisch-autoritärer Staaten rings um den Globus prägen eine Welt, die zunehmend unsicher über ihre Zukunft ist. Geeignete Konzepte zur Lösung weltweiter Problem sind Mangelware; stattdessen breitet sich ein Klima aus, in dem Verschwörungstheorien und fake news Massen beeinflussen und verführen. Jahrzehntelang gültige Konzepte wie die von ›Volksparteien‹ als Stabilisationsfaktor der Demokratie in Deutschland und Europa sind nicht mehr gültig; radikale Ränder bedrohen die demokratische Mitte, wie die jüngsten Landtagswahlen in Ostdeutschland das nachdrücklich bewiesen haben. In Europa befindet sich die Sozialdemokratie in freiem Fall, die Konservativen verlieren ihre Wähler an die neue Rechte. Der Rückzug in den Nationalstaat samt Glorifizierung der ›Heimat‹ wird als rettender Ausweg gepriesen, doch zeigt gerade die jahrelange, zuletzt nur noch hasserfüllte, Debatte um den Brexit in Großbritannien, dass damit kein einziges Problem gelöst wird, sondern lediglich neue geschaffen werden.
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