von Wolfgang Rauprich
Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der nunmehr schon länger als drei Jahrzehnte zunächst durch umweltpolitische Debatten geistert und seit gut zehn Jahren als Allheilmittel zur Rettung der Erde vor Umweltzerstörung und Klimakollaps propagiert wird. Der Club of Rome war hierbei Vorreiter, die sogenannte Brundtlandkommission der Vereinten Nationen beförderte mit ihrem Abschlussreport Ende der 1980er Jahre seine weltweite Verwendung. Die zunehmend enge Verzahnung mit weiteren Begriffen wie Gleichheit und (soziale) Gerechtigkeit erfolgte dann im Verlauf der Ideologisierung ökologischer Themen und deren Zusammenführung mit dem schon vorher hoch ideologischen Katalog von Sozialforderungen.
von Ulrich Schödlbauer
Zum ersten Mal, soweit ich zurückdenke, bin ich aus einem Levitationstraum erwacht. Offenbar befand ich mich auf einer Gerüst-Plattform von der Art, wie sie Maurer benützen (undeutlich glaube ich mich zu erinnern, dass es an der Berliner Mauer eine Besucherplattform gab, von der aus man als West-Tourist, ebenso gleichgültig wie misstrauisch von einem DDR-Grenzposten aus nächster Nähe beäugt, in den Ostteil der Stadt blicken konnte), und plötzlich war die Plattform weg. Ich stand dort noch eine Weile in der Luft herum, unschlüssig, wie die Situation zu Ende gebracht werden könne. Irgendwann hatte ich wieder Boden unter den Füßen und bemerkte ein gewisses journalistisches Interesse an meinem Fall. »Sieh an«, dachte ich, »es gibt sie also noch, die Westpresse.« Und zweifelnd kehrte ich in die andere Wirklichkeit aus Reichstagstreppensturm und Reichsbürgerflaggenparade zurück.
von Johannes R. Kandel
Der Autor (Jahrgang 1971), Philosoph, Germanist und Soziologe und bereits mit einigen Veröffentlichungen in seinem Fach hervorgetreten, macht es dem geneigten Leser nicht einfach. Dieser muss sich erst, insofern nicht vom Fach, in die tiefendimensionierte philosophisch-soziologische Sprache einlesen. Gelingt dies, dann wird er größten Gewinn aus dieser ambitionierten Analyse eines erstaunlichen und verstörenden Vorgangs in unserer Gesellschaft ziehen. Es gelingt ganz offensichtlich einer »Phalanx aller gesellschaftlichen Akteure von den Parteien bis zum Bildungssystem, von den Kirchen bis zu den Gewerkschaften, von den Industrieverbänden bis zu den Nichtregierungsorganisationen« eine politische Agenda durchzusetzen, die »den Interessen der Mehrheit eklatant widerspricht« und deren »zerstörerische Folgen« offensichtlich sind (S. 7). Wie ist das möglich? Esders begründet das mit der Existenz eines umfassenden »Sprach- und Deutungsregime[s]«, das in der Lage ist »Evidenzen« zu liefern gegen die empirische Widerlegungen keine Chance haben. Ein sich immer stärker artikulierender »smarter Totalitarismus der Vielfalt und Differenz« bediene sich eines Sprachregimes, das in dreifacher Weise funktioniere: Da Macht auch immer »Definitions-und Deutungsmacht« sei, bilde es »Wahrheitssysteme« aus, entkoppelt und entortet von der empirischen Realität (I). »Narrative der Hypermoral« erzeugten einen Zwang zur Personalisierung und förderten schon »strukturell eine schrankenlose Gesinnnungsethik« (II). Und schließlich: die postmoderne Linke schaffe eine »Matrix der Differenz«, die alle Formen von Identität und »kollektivem Selbst« unter Generalverdacht stelle (III). (S.9). Einem Kritiker und Kenner der Geschichte und Entwicklung von Totalitarismustheorien wird gewiss die Formel vom ›smarten Totalitarismus‹ übel aufstoßen. Es hätte auch dieses Ausdrucks gar nicht bedurft, um deutlich zu machen, wie sich ideologisch konstruierte Wahrheitssysteme von der Realität abdichten und abkapseln (Hanna Arendt). Aber davon abgesehen, gelingt es dem Autor insgesamt mit brillianten Formulierungen, die sich bisweilen zu einem Wort- und Satzmanierismus steigern, seine grundlegende Hypothese von der Existenz eines ›Sprachregimes‹ plausibel zu belegen.
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