von Christoph Jünke
Wer über Leben und Werk des Sozialpsychologen und Gesellschaftstheoretikers Peter Brückner (1922-1982) nachdenken möchte, kann dies nicht tun, ohne dabei über die Neue Linke nachzudenken, d.h. über den Versuch, beim Ausbruch aus dem herrschenden Falschen eine politisch mehrheitsfähige, linke Alternative sowohl zum sozialdemokratischen Reformismus wie zum stalinistischen Kommunismus aufzubauen.
Über die Neue Linke reden heißt auch und nicht zuletzt, über die Revolte von 68 zu reden. In der Tat wird in der BRD viel und gerne über diese Revolte geredet und geforscht. Doch trotz der mittlerweile immensen Literatur zum Thema – sowohl Memoiren und Dokumentationen wie auch Sachbücher und wissenschaftliche Werke – scheint für die Revolte noch immer Hegels Diktum zu gelten, dass das, was bekannt ist noch längst nicht erkanntsein muss. Denn was war denn nun diese Revolte eigentlich? War sie, wie die meisten heute meinen, eine bloße Jugend- oder Generationenrevolte oder war sie mehr und anderes? War sie vielleicht die historische Nachgeburt veralteter Sozialismusformen oder, andere Variante, der Vorschein neuer sozialer Bewegungen, neuer antisystemischer Bewegungen gar? Anders gefragt: Hatte denn diese Revolte ihre historische Logik oder war das alles nur ein historischer Zufall? Und welche Rolle spielte in ihr jene schwer zu fassende Neue Linke, die doch heute weitgehend Geschichte ist?
Man findet zu diesen gleichsam geschichtsphilosophischen Fragen kaum eine Diskussion in der umfangreichen Literatur. Noch immer hat diese Diskussion nicht einmal das Niveau erreicht, das ein Peter Brückner bereits zu Beginn der siebziger Jahre einklagte, als er sich über die zur Erforschung der Protestbewegung notwendigen methodischen Ansätze Gedanken machte, an die noch heute mit Erkenntnisgewinn anzuknüpfen wäre. In dem Exposé eines geplanten, aber nicht realisierten Forschungsprojektes unterschied er dort vier unterschiedliche Forschungsmethoden. Da wär zum ersten der historiographische Ansatz als die Frage nach dem, was eigentlich der Fall war, und die über das bloße »wer, wann, wie und warum« hinaus gehe, »weil die Bestimmung des Subjekts, des Ortes, der Zeit, der Form und der Ursachen bzw. Anlässe ohne Angabe von objektivierbaren Bedingungen, von Absichten, Zielen… nicht vorankäme« (Brückner 1972/73, S.307). Der zweite Ansatz sei der politisch-phänomenologische, die Frage also nach dem Strukturtypus der Protestbewegung als einer Bewegung, die Frage nach Zeit, Raum, Verlaufsweisen, Organen und auch Handlungsgestalten, die zugleich eine Frage ist nach dem spezifischen, von der Protestbewegung aktiv konstituierten Bewusstsein. Darauf aufbauend gebe es, drittens, den historisch-materialistischen Ansatz als eines theoretischen: »Er hat die (Re-)Konstruktion des theoretischen Begründungszusammenhangs der Protestbewegung zu leisten und damit den historischen, gesellschaftlichen und politischen Ort der Protestbewegung anzugeben« (ebd., 308). Schlussendlich gehe es dabei auch um die Definition des erkenntnisleitenden Interesses, um die Frage also, ob es sich bei dieser Untersuchung um eine Kritik, eine Antikritik oder eine Metakritik handele.
Nicht zufällig finden wir in seinen Schriften originelle und erinnernswerte Antworten und Antwortversuche auf diese und andere Fragen, denn wie nur wenige andere hat sich Peter Brückner seit Mitte der 1960er Jahre zum Interpreten der außerparlamentarischen Opposition (APO) und der antiautoritären Revolte gemacht. Und wie kein anderer hat er in den 1970er Jahren die spezifischen, aus dem gesellschaftspolitischen Charakter dieser Revolte resultierenden Widerspruchs- und Krisenprozesse, die Dialektik des antiautoritären, provozierenden Bewusstseins analysiert und thematisiert, die zuerst zu ihrer eigenen Aushöhlung und schließlich auch zu ihrem Zerfall führen sollte. Wohl bei keinem anderen deutschen Intellektuellen sind die eigene politische Identität und der werktheoretische Gehalt eine solch weitgehende Symbiose eingegangen: Über Brückners Werk zu reden heißt, über die westdeutsche Neue Linke zu reden – und nach der Aktualität seines Werkes zu fragen heißt, nach dem Schicksal dieser Neuen Linken zu fragen.