Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

...neulich im Einstein

genauer bei Einstein Bros. in Boulder, Colorado, allerdings ohne meinen roten Portwein – und überhaupt without any alcohol! – an diesem Vormittag, las ich vom Ableben Jerry Falwell’s am 15. Mai. Er verkörperte sozusagen den ›ideellen Gesamtpfingstler‹,

die höchste Autorität charismatischer Protestanten, Evangelikaler und Fundamentalisten in den USA. Allerdings gar kein versponnener Träumer, war er »the unofficial guardian of the Bush family’s religious-right flank«, wie Newsweek in ihrer jüngsten Ausgabe schrieb.

Geboren im Jahr der Aufhebung der Prohibition, aufgewachsen in Zeiten des Civil Right Movement mit seiner neuen Freiheit und seinem Spaß an Individualismus, Relativismus und anythings goes, wollte er, gewissermassen als nun nötigen Ausgleich, der ›Moral Majority‹ mit ihren ewigen gottgefälligen Normen eine Stimme geben. Die sollte – in God’s own country – die Botschaft Jesu verstärken, um so das Abdriften in den, wie er es sah, geistig-moralisch-politischen Schmutz der Moderne abzuwehren. Das Unternehmen startete aus einer alten Sodafabrik. Hier versammelte der selbsternannte Pastor – berufen, aber ohne Beruf – zuerst seine Gläubigen.

Seine Sakralimitationen entwickelten sich schnell zu einer öffentlichkeitsnotierten Holy Ghost Industries Inc. Die vermittelte in unserem als nachmetaphysisch erklärten Zeitalter eine Religiösität neuer Art, die den Begriff des Christlichen doch weit hinter sich lässt. Denn hier wird eine religiöse Praktik des geheimnisfreien Diskurses produziert. Mitreissende Gospelsongs, Einredungen des Wohlfühlens im American (Upperclass) Lifestyle und des ›God Save America again‹, sowie des Herunterredens geoffenbarter Textstücke (aus dem Neuen Testament) auf offenbar heutige Politik-und Lebenslagen, sollen alle am Palaver Beteiligte fühlen lassen, in direkten Kommunikationsverhältnissen mit himmlischen Mächten zu stehen. Als deren irdische Agentur wird die GOP ausgewiesen, die Grand Old Party (wie die Republikanische Partei volkstümlich heißt).

Mit dem Tod Falwells geht eine Pionierphase dieser politisch-theologischen Spielart von »Idiocy of Idealism« (Oscar Levy) zu Ende. Aber wird das, wie jüngst Benedikt XVI. in Brasilien sehen musste, vielleicht nicht doch die Glaubensgüter der postchristlichen Welt von morgen bestimmen? God bless us!

Steffen Dietzsch