Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

neulich – auf dem Weg ins ›Einstein‹

sah ich (in Bronze) Kant und Lessing im Gespräch; beide hätten Geschichten über sich zu erzählen, die in der Menge als (modern) Fakes Stimmungen zu erzeugen in der Lage wären. Beide mussten sich als Polarisierer, Zyniker und Atheisten, gar als Nihilisten bezeichnen lassen. – Bei Kant geht die (von Akademikern) erzeugte Pogromstimmung derzeit soweit, ihn aus der Diskursgemeinschaft unter dem Friedrich-Denkmal herauszuschneiden…

Aufnahme: ©rs 2020

Aber: Nirgends in Kants Theorie über den Menschen, nirgends in seiner Schrift Von den verschiedenen Racen der Menschen (1775) ist etwa ein Platz für einen Begriff wie ›jüdische Rasse‹ auszumachen. Der Begriff ›Rasse‹ wird von ihm generell in der Naturgeschichte gebraucht, um »den Klassenunterschied der Thiere eines und desselben Stammes, so ferne er unausbleiblich erblich ist« zu bezeichnen.

Unter den Menschen gibt es augenfällig natürlich auch bemerkenswerte Unterschiede, die Kant aber nicht ›Rassen‹ nennen will. Er würde das vielmehr »durch Abartung (progenies classifica) übersetzen, um eine Race von der Ausartung (degeneratio) zu unterscheiden, die man nicht einräumen kann, weil sie dem Gesetz der Natur ... zuwider läuft.« Wenn man also die Menschengattung intern differenzieren wollte, dann, nach Kant, allerdings nicht so, aus dem je »verschiedenen Menschenschlag« etwa eine »besondere Species (…) zu machen, weil diese auch eine absonderliche Abstammung bedeuten könnte, welche wir unter dem Namen einer Race nicht verstanden wissen wollen.« Denn, so Kant, »›genera‹ und ›species‹ (bedeuten) die physische Absonderung, die die Natur selbst unter ihren Geschöpfen in Ansehung ihrer Erzeugung macht.«

In seiner Anthropologie hat Kant immer auf die ›Doppelheit‹ des Menschen verwiesen, auf seine grundlegende Antinomik: dass uns Menschen eine – unsichtbare – Allgemeinheit und zugleich eine – sichtbare – Besonderheit auszeichnet.

Gleichwohl gehörte es zu Kants gesellschaftlichen Umgangs- und Gesprächsthemen, auch in seiner Publizistik, sogenannte nationale und regionale Charaktere in ihren Eigenarten aufzugreifen, sie miteinander zu vergleichen und gelegentlich auch – von heute her gesehen bisweilen ›political incorrect‹ – darüber mehr oder weniger derbe Scherze zu machen. Beispielsweise, dass der Deutsche hoffärtig und aufgeblasen sei, seine Umgangssprache bombastisch und steif, so dass »die schöne Einfalt, welche andere Völker ihrer Schreibart geben können« hier ganz fehle. Oder dass die Einwohner von Amerika »zu schwach für schwere Arbeit, zu gleichgültig für emsige und unfähig zu aller Cultur« seien. Aber auch, dass wir im »Araber den edelsten Menschen im Orient« bemerken könnten, und dass »die Perser die Franzosen von Asien« seien. Die Quellen und Anlässe für solche – eben auch degoutanten – Redereien waren häufig das in Hafen- und Handelsstädten allgegenwärtige Hörensagen von fremden und befremdlichen Lebensumständen, der Kenntnisnahme von Reiseberichten aus aller Welt oder eben auch die distanzierte eigene In-Augenscheinnahme von Fremden. – So sollten auch des Aufklärers Kants mitunter wenig empathische, empirische, punktuelle Wahrnehmungen zur Welt- und Menschenkunde immer unter der Kautele erfolgen, dass hier eben nicht rassentheoretisch ›geframt‹ wird. Sondern dass er – im eigenen Selbstverständnis – über Varietäten der einen Menschengattung schulmeistert. Kant hatte schon sehr früh als junger Königsberger Dozent gegen den Berliner Akademiekollegen Pierre Louis Moreau de Maupertius polemisiert, als dieser den Vorschlag machte, durch künstliche ›Rassezucht‹ einen vollkommenen Menschenschlag zu ›designen: gerade dadurch reduziere man die Vielfältigkeit der natürlichen lebendigen Kräfte im Menschengeschlecht.

Nicht zuletzt darf man manche (für UNS unerhört!) klingende Äußerung Kants im Auditorium auch schlicht als Hörsaalsarkasmen verstehen, die gelegentlich angebracht sind, um die studentische Aufmerksamkeit zu befeuern … So, wenn Kant ein königliches starkes Wort aufnimmt, das dieser gegen eine Der-Mensch-ist-gut-Sentenz seines Berliner Akademiesekretärs Sulzer gerichtet hatte: »Mon cher Sulzer, vous ne connoissez pas assez cette maudite raçe à laquelle nous appartenons …«