Bernhard Walpens Propheten vom Berg
Bernhard Walpen: Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft. Eine hegemonietheoretische Studie zur Mont Pèlerin Society, Hamburg (VSA-Verlag), 2004, 495 S. |
Das in der Geschichte des Neoliberalismus besonders hervorragende und aufschlussreiche Verhältnis von Wissenschaft und Engagement, den wissenschaftspolitischen Aufstieg des Neoliberalismus, thematisiert Bernhard Walpen in seinem in den letzten Jahren bereits zum Klassiker mutierten Werk Die offenen Feinde und ihre Gesellschaft. Auch der Schweizer Sozialwissenschaftler weiß, dass die Herrschaft neoliberaler Sachzwänge selbst als ökonomische eine vor allem politisch gewollte und gemachte Herrschaftsstrategie – eine spezifische Mischung aus Konsens und Zwang – ist. Er nähert sich dieser Strategie allerdings vom Aspekt des Konsenses her, von der ideologischen Produktion des neoliberalen Diskurses. Die heutige Hegemonie dieses Denkens beruht nämlich auf einem jahrzehntelangen, mühsam durchfochtenen intellektuellen Kampf, den Walpen anhand jener Geschichte der Mont-Pèlerin-Gesellschaft nachzeichnet, die bis heute als die intellektuelle Kaderschmiede des Neoliberalismus fungiert, aber bemerkenswert unbekannt geblieben ist.
Gegründet im Frühjahr 1947 im Schweizer Bergdorf Mont Pèlerin, ist diese Gesellschaft ihrer Struktur nach eine internationale Gemeinschaft von Ökonomen, Publizisten und Gesellschaftstheoretikern – »von vor allem wissenschaftlich arbeitenden Intellektuellen« (Walpen). Seit jener Zeit bildeten Leute wie Milton Friedman, Karl Popper oder Ludwig Ehrhard ein zwar nicht konfliktfreies, aber sehr erfolgreiches transnationales Elitennetzwerk. (Den aufschlussreichen Wahlverwandtschaften zwischen dem kritischen Rationalismus Karl Poppers und dem Neoliberalismus von Friedrich August von Hayek widmet sich, dies nebenbei, Jürgen Nordmann: Der lange Marsch zum Neoliberalismus. Vom Roten Wien zum freien Markt – Popper und Hayek im Diskurs, Hamburg (VSA-Verlag) 2005, 398 S.)
Angestoßen von Friedrich August Hayek und seiner Programmschrift Der Weg zur Knechtschaft (1944) verfolgte man das Ziel, den in den 1920er und 1930er Jahren durch Sozialismus, Faschismus und keynesianischem Neoreformismus nachhaltig in Frage gestellten klassischen Liberalismus zu erneuern. Der von Hayek und anderen propagierte Neo-Liberalismus teilte zwar noch die Ziele des alten Liberalismus – freie Marktwirtschaft und Vorrang des (bürgerlichen) Individuums –, propagierte jedoch von Beginn an Mittel und Wege, die expliziter als zuvor gegen jede Form von ›Kollektivismus‹, und damit gegen jede Form von Sozialstaat und Planwirtschaft gerichtet waren.
Der entscheidende Garant des Erfolges der Neoliberalen sei jedoch, so Walpen, die Fähigkeit der neoliberalen Vordenker gewesen, trotz ihrer eigentlichen Fundamentalopposition gegen keynesianische und ›kollektivistische‹ Versuchungen bündnisfähig zu bleiben, sozusagen Doktrinarismus mit Pragmatismus zu verbinden. So konnten sich neoliberale Theoreme und Diskurse mit jenem Nachkriegskonsens partiell verbinden, der auf den intervenierenden Staat als einen vermeintlichen Wohlfahrtsstaat setzte, und, von Linken und Progressiven überwiegend belächelt, überwintern, bis sie unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen, in den 1970er Jahren also, ihre eigentliche »Reconquista« (Walpen) antraten. Pinochets Diktatur in Chile ab 1973, die Arbeiten der Trilateralen Kommission, die Verleihung von Nobelpreisen für Ökonomie an diverse neoliberale Vordenker, schließlich die neoliberalen Regierungsübernahmen unter Thatcher (Großbritannien) und Reagan (USA), verdeutlichen im nachhinein den Siegeszug neoliberalen Denkens und Handelns gleichsam von der Peripherie ins Zentrum spätkapitalistischer Gesellschaftsformationen – ein Weg, der, wie gesagt, über die Umwege Lateinamerika, Ostasien und schließlich Osteuropa ging und uns in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre auch die Erfahrung eines sozialdemokratischen ›linken‹ Neoliberalismus bescherte.
Die Vordenker in der Mont-Pèlerin-Society pflegten seit ihren Anfängen – und dies ist Walpens eigentliches Thema – eine damals noch eigenwillige, aber sehr erfolgreiche Organisationsform, als sie sich netzförmig in Institutionen, Stiftungen und »Think Tanks« in jenem öffentlich-rechtlichen Raum verbreiteten, den man heutzutage der ›Zivilgesellschaft‹ zuordnet. In der Regel frei von direkter staatlicher Hilfe (wohl aber mit dessen indirekter, finanzieller Hilfe), organisierten und organisieren sich diese Intellektuellen gerade dort, wo es gilt, die Hegemonie ihrer politischen Zielvorstellungen durchzusetzen, in Wissenschaft und Forschung, in Medien und Verbänden.
Wenn Walpen jedoch in dieser Netzformorganisation auch ein für linke Gegner des neoliberalen Kapitalismus vorbildliches Vorgehen sieht und »die Linke« auffordert, vom Gegner siegen zu lernen, macht er aus der Not eine Tugend, denn er verkennt gerade das, was er selbst so treffend beschrieben hat. Linke Gegner herrschender Verhältnisse können sich, anders als die neoliberalen Hardliner, allenfalls ansatzweise und nur in durchweg prekärer Dauer an die herrschenden Institutionen von Staat und Gesellschaft ›andocken‹. Es zeichnet linke Gegenmacht innerhalb kapitalistischer Gesellschaftsformationen (lassen wir einmal den Sonderfall der Gewerkschaften beiseite) aus, dass sie strukturell labil ist, da sie eben, anders als die bürgerliche Rechte, keine dauerhaften Stützpunkte innerhalb der spätbürgerlichen Gesellschaft zu bilden vermag. So wichtig also der Kampf um die intellektuelle Hegemonie auch für die Linken ist, so wenig kann er darauf beschränkt werden. Das hat etwas mit der Form der Gesellschaft zu tun, die Linke grundsätzlich überwinden wollen (und müssen, wenn sie ihr Programm durchsetzen wollen), Rechte und Neoliberale aber nur in eine bestimmte, letztlich immanente Richtung verändern wollen.