von Vade Retro

Die Wege der Szene splittern sich auf. Der Jurist Reiner Füllmich wegen Untreue in Untersuchungshaft, Michael Ballweg, der zeitweise als Staatsfeind gehandelte Querdenker mit dem organisatorischen Händchen, durch das Landgericht Stuttgart vorerst von einem langen Albtraum befreit, Sucharit Bhakdi, der noch immer im Kreuzfeuer gerichtlich entkräfteter Antisemitismus-Vorwürfe stehende Warner … man könnte die Liste praktisch beliebig erweitern, etwa um den verstorbenen Pathologen Arne Burkhardt, um am Ende zu konstatieren: Nein, es waren nicht Wenige, die sich der Verordnungsflut und den Bürgerdrangsalierungen entgegenstellten, ganz zu schweigen von den trickreichen Irreführungen, dazu bestimmt, Ängste zu schüren und einen Impfautomatismus zu speisen, dessen Neben- und Langzeitfolgen noch immer einer angemessenen Aufarbeitung durch die dafür verantwortlichen Organe harren. Vermutlich waren es eher Wenige, die sich aus eigenem Antrieb den Ängsten und der Karrieregeilheit der Vielen Zucker gaben, um damit ihr Spiel zu treiben, und einige sind offenkundig noch immer damit beschäftigt, die Spuren ihrer Tätigkeit zu verwischen und sich damit, wenn möglich für weitere Aufgaben zu qualifizieren.

Der Journalist Boris Reitschuster hat ein biographisches Buch mit dem Titel ›Meine Vertreibung‹ geschrieben. Auf dem Buchtitel erkennt man den mit einem Apfel gekrönten Kopf des Verfassers: eine überdeutliche Anspielung auf den Tell-Mythos der Schweiz und ein Symbol der Willkür, aber zugleich auch ein Rätsel. Soll sich der Leser des Buches als Tell verstehen, der vom Staat genötigt wird, auf das zu schießen, was ihm das Liebste ist? Wehe, du zielst zu tief, lautet die unausgesprochene Warnung. Was wäre dann das Liebste? Der Journalist Boris Reitschuster? Hier bricht die Analogie ab und eine andere, allgemeinere, tritt an ihre Stelle: Triff zu tief und du triffst dich selbst. Oder, auf den Titel gemünzt: Meine Vertreibung stellt dich vor eine Aufgabe, der du nicht entgehen kannst. Vielleicht weißt du es nur noch nicht. Damit kommt die Frage in Sicht: Wer ist der (angesprochene) Leser?

Man kann Reitschusters journalistische Tätigkeit während der letzten Jahre, die seinen Blog an die Spitze der alternativen Medien katapultierte, nur angemessen beurteilen, wenn man ihn an der Seite der mutigen Männer und Frauen sieht, deren mühevolle und im wahrsten Sinne aufopferungsvolle Tätigkeit, oft über die Grenzen ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit hinaus, die Gesellschaft nach der Überzeugung nicht weniger Zeitgenossen vor dem völligen Absturz in geistig-moralische Inkompetenz bewahrt hat. Gleichzeitig kann man ihn und seinesgleichen wohl als Speerspitze einer neuen Art von Journalismus betrachten, der im deutschsprachigen Raum noch immer zur Hälfte als Zukunftsmusik gilt, weil von interessierter Seite nichts unversucht gelassen wurde (und, wie das Buch anschaulich demonstriert, weiterhin gelassen wird), um ihm Knüppel zwischen die Beine zu werfen und seine exponierten Vertreter in den Augen des großen Publikums zu diskreditieren. Vergebliche Hassmühe, wie die Zugriffszahlen im Internet, in dem die Neuen schwimmen wie die buchstäblichen Fische im Wasser, zur Genüge unter Beweis stellen! Der neue, bewegliche, kleine Journalismus ist in der Massenwahrnehmung angekommen und die Etablierten werden sich etwas Neues einfallen lassen müssen, wollen sie nicht über kurz oder lang das Schicksal der Bedeutungslosigkeit erleiden, dem sie um einen, wie sich herausgestellt hat, zu hohen Preis zu entgehen versuchen.

Was Reitschuster zu berichten weiß, umfasst nicht eine Vertreibung, sondern deren drei: (a) aus der ehrenwerten journalistischen Gesellschaft, (b) aus der Bundespressekonferenz, einem organisierten Zusammenschluss von Hauptstadtjournalisten, der dem Leser durch die Beschreibungen des Verfassers so richtig ans Herz gelegt wird, und schließlich (c) aus einem Land, das noch vor kurzem stolz auf die Lebensqualität seiner Bürger war und jetzt nicht mit Schikanen geizt, die keinem anderen Zweck zu dienen scheinen, als eben diese Lebensqualität für Köpfe mit einem gewissen Unabhängigkeitssinn an den Reißwolf zu verfüttern. Das klärt die eingangs gestellte Frage nach dem ›Liebsten‹: Es ist die Freiheit, vornehmlich die des Journalisten, unbequeme Fragen zu stellen und zu erwarten, dass sie beantwortet werden, statt zu Ausgrenzung und Drangsalierung Anlass zu geben. Wie der Beruf, so das Land: das Wirken dreier Jahre, so Reitschusters breit gefächertes Fazit, hinterließ eine andere Gesellschaft, geprägt von einer Politik, der Hauptmerkmal darin zu bestehen scheint, dass sie sich nicht offen zu erkennen gibt. Das ist aufschlussreich zu lesen und mehr als das: Es hält für kommende Generationen die Geburtsschmerzen fest, unter denen der Neue Journalismus sich formierte und seine Glaubwürdigkeitsprobe bestand. Es geht um Glaubwürdigkeit, nichts weiter, könnte als Motto über dem Buch stehen und es wäre die schlichte Wahrheit. Unglaubwürdig wird, wer auf Schikane setzt und nichts als Schikane: Wer das nicht verstehen will, hat in einer öffentlichkeitssensiblen Branche eigentlich nichts verloren.