von Ulrich Schödlbauer
Die stärkste Kraft reicht nicht an die Energie heran, mit der manch einer seine Schwäche verteidigt.
Karl Kraus
Entre deux mers. Zwischen zwei Kriegen. Mit der künftigen wächst die vergangene Flut.
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Betonte Sachlichkeit angesichts der Möglichkeit des Atomschlags ist ein moralischer Skandal.
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Auf dem Weg ins Menschheitsverbrechen liegt nichts näher, als die eigene Sache zur guten zu erklären. Die Menschheit stirbt zuerst und zuletzt: zuerst in den Köpfen, zuletzt auf dem Geschichtsfeld.
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Benommenheit ist die Verfassung der Stunde. Wer sie nicht kennt, gehört in die Klasse der Abgebrühten oder der sträflich Naiven.
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Europa wurde der Krieg ›wiedergeschenkt‹. Darüber sollte man nachdenken.
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Die Manieren zwischen den Atommächten werden rauer. Am ›Macht nichts!‹ erkennt man die Klienten.
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Gedichte in Büchern abzudrucken, war immer ein Notbehelf. Das geringe Ansehen, das sie heute genießen, leitet sich daraus ab, dass man aus der Not eine Tugend gemacht hat.
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Im Krieg werden Gedichte wertvoller.
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Im Propagandakrieg gehört die Fähigkeit, sich einen Vers darauf machen zu können, zum Überlebensgepäck.
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Nebenan sterben Menschen: Das war schon immer so. Das Bewusstsein dazu wird passend gemacht.
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Vor und nach den großen Konflikten stellt man die Rede vom Bewusstsein lauter. Die Bewältigungsmaschine will gefüttert werden.
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Unerreichbar sein: eine Realität, die wenigen gegeben ist. Die meisten versinken auf dem Weg dorthin im Morast.
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Die Aussicht auf Mangel macht die Leute katzig.
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Geborgte Stärke ist eingebildete Stärke.
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Nichts ist lästiger als der Angstmacher von gestern.
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Die Stärke des modernen Krieges liegt in der Ohnmacht des Einzelnen. Schuld tragen darf der Überlebende.
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Machtpolitik, heißt es, ist a-moralisch. Nirgendwo gilt mehr: Wer A will, muss auch B wollen. Ohne Massen-Bewusstsein ist nichts zu machen. Und es muss das richtige sein.
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Freiwillige Selbstzerstörung als Gebot der Stunde: Die Frage ist, wem die Stunde schlägt.
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An der Pforte des Bösen wird die Geschlechtergerechtigkeit abgelegt: ›Verbrecher*innen‹ sind so wenig gefragt wie ›Massenmordende‹.
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Das Verbrechen deckt das Verbrechen. Tätersuche ist Archäologie.
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Und wenn der Mensch in seiner Not verstummt, wird es Zeit für einen Regierungswechsel.
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Souverän ist, wer seine Interessen durchdrücken kann. Auch hier gilt: Wer kann, der kann. Das fragt nicht, ob es an der Reihe ist.
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Kriege werden, wie bekannt, um Interessen geführt. Bloß das Ziel entpuppt sich gewöhnlich anders als gedacht.
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Wer glaubt, Krieg sei ein Heimspiel, wird das Fernweh kennenlernen.
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Wenn es kein Volk gibt, was sollen dann die Völker?
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Imperien führen Kriege, weil sie die Abrechnung fürchten. Die Idee dabei ist, sie möglichst weit hinauszuschieben. Wie jede Idee erweist sich auch diese als inkompatibel mit der Wirklichkeit.
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Es gibt ein Abrechnungs-Hoch, wie es ein Abrechnungs-Tief gibt.
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Die Einsamkeit des Siegers gleicht der des Immunsystems angesichts einer neuen Bedrohung.
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Ein Krieg, in dem es keinen Sieger gibt, sondern nur ›Verletzte‹.
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In Deutschland platzen die alten Wunden der sowjetischen Besatzung auf wie reife Kastanien.
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Deutschland fühlt sich wertvoller, wenn es gedemütigt wird. Das macht die Kurve berechenbarer.
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Mehr und mehr wird D ›das Land mit der Maske‹. Auch der Masochismus ist vorgeschoben. Niemand weiß, was dahintersteckt. Aber es wird zum Vorschein kommen.
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Gelenkte Demokratie erkennt man daran, dass die regierende Partei den Kurswechsel vornimmt, den sie als Opposition verhindert hätte. Man erwartet es von ihr.
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Demos bleibt Demos. Meist fehlt ein Demosthenes.
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Im Land der Kramer & Krämer herrscht Ausverkauf. Zum Totlachen, was da alles zum Vorschein kommt.
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Europa ist so viele Tode gestorben, dass man aufpassen muss, nicht zur Auferstehung zu kondolieren.
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Die Hoffnung weigert sich, in gewisse Häuser zu gehen. Sie weigert sich auch preiszugeben, welche es sind.