von Lutz Götze

Am Anfang des Abendlandes stand der Rausch, das Dionysisch-Maßlose, das Bacchanale, die mordenden Bakchen, der Massenterror gegen Andersrassige und Andersgläubige. Doch die Antike lebte in Mittelalter und Neuzeit fort: Denunziationen beim Heiligen Offizium, Hexenverbrennungen, Scheiterhaufen, Pogrome. Die Hoffnung, dass dem Apollinisch-Klaren und Maßvollen in der europäischen Aufklärung ein jüngerer Bruder erwachse, erwies sich alsbald als trügerisch. In der Dialektik der Aufklärung hatten Theodor W. Adorno und Max Horkheimer bereits 1944 – mitten im bis dato furchtbarsten Krieg der Weltgeschichte – die These aufgestellt, bereits in den griechischen Mythen – Prometheus, Ikarus, Kronos, Atriden, Kassandra und Medea – hätten Hass und Gewalt die Zivilisation zerstört. Hybris und wahnhafte Gottesebenbürtigkeit des Menschen hätten nachdenkliches und verantwortungsvoll-solidarisches Handeln verdrängt oder gar von Anfang an verhindert. Die Vernunftbegabtheit der Gesellschaft sei sehr frühzeitig an ihre Grenzen gestoßen und habe das Janusköpfige der Aufklärung – hier Vernunft und Verantwortung, dort zerstörerische Gewalt unter dem Diktat eines Fortschrittswahns – offenbart: -›Seit je hat Aufklärung…das Ziel verfolgt, von den Menschen die Furcht zu nehmen und sie als Herren einzusetzen. Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.‹

In Europa hatte sich, 75 Jahre nach dem Ende eben dieses Krieges, die Überzeugung verbreitet, es gebe hinfort keine kriegerische Gewaltanwendung mehr. Die Stärke des Rechts habe über das Recht des Stärkeren triumphiert. Gerade deshalb fiel die intellektuelle Klasse – die politische Elite ohnehin – nach dem verbrecherischen Angriffskrieg Putins und Russlands gegen die Ukraine im Jahre 2022 in eine geistige Schockstarre. Die Vorstufen – russischer Einmarsch in Georgien 2008, Annexion der Krim 2014, jahrelanger Krieg im Donbass – hatte man geflissentlich übersehen, um dem eigenen Wahn unverändert anzuhängen. Verlautbarungen und Aufrufe der deutschen Intelligenzija oszillierten zwischen Fassungslosigkeit und Gesundbeterei. Wie konnte das geschehen?

Da eine überzeugende Antwort darauf nicht hatte gefunden werden können, wandte man sich alsbald wieder dem Althergebrachten, Überschaubaren, Eingeübten und Trivialen zu. Dazu gehört die Sprache, im Besonderen das Spannungsverhältnis zwischen natürlichem Geschlecht (sexus) und grammatischem Geschlecht (genus). Ein gelassener Betrachter hätte freilich argumentieren können, dazu sei längst alles gesagt, doch – mit Karl Valentin – noch nicht von allen.

Zwar ist aus den Reihen der Sprachwissenschaft alles Nötige zum generischen Maskulinum gesagt und auf den semantischen Unterschied von Nomina Agentis (der Richter, der Leser, der Lehrer) und substantivierten Partizipien (der Richtende, der Lesende, der Lehrende) zur Genüge hingewiesen worden, ebenso auf den Unfug, statt Prüfling eine zu prüfende Person oder, sogar die DUDEN-Empfehlung, statt Mieter hinfort männliche Person, die etwas gemietet hat, zu schreiben. Das ist nicht nur blanker Unsinn, sondern Sprachmüll, geschuldet dem Bemühen, über geschlechtergerechten Sprachgebrauch Emanzipation voranzubringen. Dabei weiß jeder Erstklässler, dass der Abbau von Frauendiskriminierung in der Gesellschaft nicht über die Sprache gelingt, sondern über soziale Reformen, gleiche Vergütung für gleiche Leistung und, wenn es nottut, über Quotenregulierung.

Die weit überwiegende Mehrzahl aller Menschen im Lande – Männer wie Frauen-lehnt gendergerechten Sprachgebrauch ab. Erst jüngst haben über 80 Prozent gegen das Sprachsternchen oder andere Mätzchen in der schönen Literatur votiert. Doch die Mehrzahl der Gender-Suffragetten ficht das nicht an. Sie wollen, ganz im Gegenteil, weit mehr: Aus Bibliotheken sollen die Werke von ›Rassisten‹ wie Mark Twain, Margaret Mitchell. Astrid Lindgren, Theodor Fontane oder Immanuel Kant verschwinden. In vorauseilendem Gehorsam verfassen Zeitungsredaktionen, öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten oder Universitäten bereits hausinterne Regelungen, werden an Hochschulen Abschlussarbeiten, die nicht gendergerecht verfasst sind, mit einem Malus belegt. ›Ist es schon Wahnsinn, hat es doch Methode‹, sinniert Polonius im Hamlet.

Vorerst ist diesem unästhetischen und die Sprache banalisierenden Rausch wohl lediglich mit einem Hinweis auf die Gesetzeslage beizukommen: Der ›Rat für deutsche Rechtschreibung‹ empfiehlt unverändert keinerlei geschlechterneutrale Rechtschreibung, sondern die Beibehaltung der geltenden Norm. Wer also im öffentlichen Sprachgebrauch gendert, verstößt gegen geltendes Recht! So einfach ist es, eben apollinisch.

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