Anmerkungen zu Erinnerungskultur und Geschichtspolitik
von Johannes R. Kandel
Im Zuge des legendären ›Historikerstreits‹ 1986 formulierte der Historiker Michael Stürmer treffend, »daß in einem geschichtslosen Land die Zukunft gewinnt, wer die Erinnerung füllt, die Begriffe prägt und die Vergangenheit deutet«. Das gilt bis heute in besonderer Weise, weil Geschichte seit den neunziger Jahren, nicht zuletzt durch die neu gewonnene Einheit Deutschlands, einen Boom erlebte. Staat und Zivilgesellschaft waren kräftig dabei, die Vergangenheit zu deuten, jeweils nach ihren Kriterien. Erinnerungen wurden aufpoliert, Vergangenheit heraus gekramt und Geschichtsbilder produziert. Das Ganze nennen Historiker seit geraumer Zeit, nicht ganz glücklich, ›Geschichtspolitik‹. Wenn Walter Steinmeier zum Talk über die Gründung des Deutschen Kaiserreiches 1871 vor 150 Jahren einlädt, so ist das Geschichtspolitik. Genau das betreiben auch die Aktivisten einer sogenannten ›Cancel Culture‹, die sich stark auf Geschichte fokussiert. Die sperrige Vergangenheit Deutschlands soll nicht nur scharfer historischer und literarischer Kritik unterzogen werden, wie es ja schon ständig geschieht, sondern es sollen ganz handgreiflich die erinnerungspolitischen Artefakte beseitigt werden, die uns Deutschen vermeintlich immer noch zu ›falschen‹ Geschichtsbildern verführen. Diese seien fatalerweise im ›kollektiven Gedächtnis‹ der Nation noch immer nachhaltig präsent. Mit volkspädagogischem Eifer machten sich selbsternannte Geschichtsaktivisten daran, eine ›politisch korrekte‹ Erinnerungskultur und Geschichtspolitik zu konstituieren. Es ist wieder die Stunde der Ideologen, der linken Geschichtskonstrukteure, Geschichtsfälscher und selbsternannten Volkserzieher, freundlich begleitet von TV und Printmedien. Den Bürgern soll bis in ihr alltägliches Umfeld hinein vorgeschrieben werden, an was, wen und wie sie sich ›politisch korrekt‹ erinnern dürfen. Hier findet Enteignung von persönlicher Erfahrung und subjektiver Erinnerung statt. Es greift eine didaktisch verpackte Erinnerungskontrolle Platz. Ein neues ›kollektives Gedächtnis‹ soll mittels sogenannter ›emanzipatorischer Geschichtsnarrative‹ als vermeintlich konkurrenzlose Vergangenheitsdeutung geschaffen werden. Staat und Zivilgesellschaft werden aufgefordert, linke Geschichtspolitik zu betreiben.
von Gunter Weißgerber
Angela Merkel bestimmt seit 2005 die Richtlinien der Politik der Bundesregierung. Nicht etwa die Richtlinien der Politik der Res Publica bzw. dieser Gesellschaft. Dieser Unterschied zur Bundesrepublik vor 2005 ist unbedingt der gewissenhaften Erwähnung wert! Seit also Angela Merkel im Verbund mit einem Großteil des deutschen Feuilletons ihre Richtlinien, genauer, dass was sie darunter versteht, stemmt, geht das Vertrauen in die Institutionen des demokratischen Rechtsstaates so verloren wie das Wissen um den Unterschied zwischen dem was eine Bundesregierung will und der Gesellschaft zumuten kann in gleichem Maße verschwindet. Mit ihrer verwerflichen Moralattitüde erhebt sich über das, was einen akzeptierten und funktionierenden Rechtsstaat ausmacht: die gleichermaßen für alle geltenden Regeln. Im Jahr sechzehn der Regentschaft von Frau Merkel gilt faktisch nur noch, was diese Frau erfindet und verkündet. Die Plebs weiß nur noch, links ist gut, rechts ist böse und was gut oder böse, links oder rechts ist, dass deutet die Frau im Kanzleramt und lässt es öffentlich spüren.
von Boris Blaha
Im Unterschied zu einem rechtlichen Schuldvorwurf, der die Verletzung eines weltlichen Gesetzes oder Gewohnheitsrechtes angeben muss, bezieht der moralische Schuldvorwurf seine Legitimation aus einem, nur bestimmten auserwählten Medien geoffenbarten Universalgesetz. Anders als das Tatsachenereignis, das gewöhnlich von mehreren wahrgenommen, erfahren und in seinen Auswirkungen gemeinsam gedeutet werden kann, erleuchteten die das abendländische Denken prägenden Offenbarungen jeweils nur Einen, das gilt für den Mann am brennenden Dornbusch (Mose), wie für den, der die Höhle der gefesselten anderen verließ, um die Idee, nicht nur ihren Schatten mit seinem geistigen Auge zu schauen (Platons Höhlengleichnis). Was der eine gehört haben soll, soll der andere erblickt haben, aber von weiteren Beteiligten, gar unabhängigen Zeugen ist bislang nichts bekannt, ein Indiz für die merklichen gedanklichen Defizite der Metaphysik gegenüber den öffentlichen Angelegenheiten, in denen stets die gemeinsame Sache Vieler auf dem Spiel steht. Die traditionelle Philosophie hat immer nur den Menschen gedacht, zu einer politischen Leistung wie der antiken Tragödie war sie nicht in der Lage. Auch die monotheistische Gottesvorstellung kennt immer nur den Einen als Ebenbild und die anderen als bloße Wiederholung des Einen.
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