Von den Paradoxien des antiautoritären Bewusstseins zur Entmischung der Bewegung
Das antiautoritäre Bewusstsein der Neuen Linken hat also für Brückner die Funktion, das verwaiste Erbe der demokratischen und sozialistischen Emanzipationstraditionen in einer Zeit des blockierten weltpolitischen Übergangs zu aktualisieren. Es besitzt aber auch seine immanenten Fallstricke. Als Protest des bürgerlich-jugendlichen Kulturschutzparks gegen die autoritär formierte Gesellschaft und die in ihr vorherrschende Trennung von Lust und Leistung, als Aufstand der Emanzipation gegen repressive Sozialisation ist das provokante Happening für Brückner ein notwendiges, aber noch kein hinreichendes Mittel der Bewusstseins- und Gesellschaftsveränderung. Es ist vielmehr selbst widersprüchlich und hat seine strukturellen Schwächen, wie er in dem 1969 entstandenen Aufsatz über Provokation als organisierte Selbstfreigabe schreibt. Gerade weil es sich an der Nahtstelle der Übergänge zwischen individueller und kollektiver Emanzipation bewegt, könne das antiautoritäre Bewusstsein gleichsam fließend auf die eine oder andere Seite der Medaille übergehen. Die antiautoritäre Emanzipation kann sich als sogenannte ›Kraft der Negation‹ verselbstständigen und von kollektiven, gesellschaftlichen Prozessen ablösen. Das provokative Insistieren auf dem ›Wir wollen alles – und zwar sofort‹ ist, genauer betrachtet, ebenso der Protest gegen den vorherrschenden Konsumismus wie auch dessen Widerspiegelung.
Das provokative Insistieren auf dem ›Wir wollen alles – und zwar sofort‹ bewahrt zwar die Idee und das Bedürfnis eines zu erstrebenden ganz Anderen in sich auf – und das ist gewiss nicht wenig. Doch es bricht sich an den Bedürfnissen von Zeit, denn: »Veränderung hat nicht die Zeitlichkeit des ›sofort…‹. Wer von ›Veränderung‹ spricht, redet auch von Aufschub.« (1970, S.66) Und so kann die provokative Haltung auch zur Legitimation herhalten, sich zu arrangieren mit den herrschenden Verhältnissen und auf individuellem Wege einen Teil von diesem Alles zu bekommen, wo dem solcherart begehrenden Individuum die kollektive Befriedigung des begehrten Alles versagt wird.
Bereits in der der antiautoritären Kultur eigenen ›Kraft der Negation‹ steckt also, wo sie den Übergang zur ›bestimmten Negation‹ nicht schafft, der Keim ihrer Auszehrung. Über die eigene Veränderung ›vergisst‹ man die kollektive Veränderung, entpolitisiert sich und wird im eigentlichen Sinne des Wortes unpolitisch. Oder man sondert sich in Kleingruppen von der Gesellschaft ab und begnügt sich fortan mit der partiellen Emanzipation, mit der eigenen Gegengesellschaft, die gegen die Herrschenden bloß noch verteidigt wird: »Die Gegengesellschaft als Illusion löst den Traum vom ›Verein freier Menschen‹ elend ab« (ebd., S.69f.), schreibt Brückner. Diese Regression ins Ghetto der Gegengesellschaft ist durchaus zu Anteilen Schutz gegen das herrschende Falsche, aber auch zu Anteilen Einordnung in dieses herrschende Falsche, weil es auf die gesamtgesellschaftliche Befreiung verzichtet.
So sehr diese Paradoxien der antiautoritären Revolte auch ihr selbst eingeschrieben waren, so wenig lässt sich aus ihnen – von einem linken, sozialistischen Standpunkt – eine Gegnerschaft zur 68er-Bewegung als ganzer begründen, wie Peter Cardorff in seinen Studien über Irrationalismus und Rationalismus in der sozialistischen Bewegung aufgezeigt hat. Zum einen war sie – betrachtet man sie unter der Maßgabe der in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsform typischen Dialektik von Demokratie und Sozialismus – als eine »Kraft der Negation«, als ein gleichsam »negativistisches Durchgangsstadium im Verhältnis zur Gesellschaft unerlässlich« (Cardorff 1980, S.157). Und zum anderen war gerade dies auch den Neuen Linken selbst, mindestens ihren politisch aufgeklärten Teilen, klar. Sollte also die Revolte von 1967/68 anhalten, so musste sie sich transformieren. Unklar und vor allem umstritten war allerdings wohin und mit welchen Mitteln.
Das Scheitern der Anti-Notstandsbewegung im Sommer 1968 isolierte die damals noch mit der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung mindestens partiell verbundene linke Studierendenbewegung von einem wesentlichen Teil gesellschaftlicher Renitenz. Der Einmarsch der Warschauer Pakt-Staaten in den Prager Frühling im Herbst 1968 und die dadurch bedingte, abermalige Re-Stalinisierung der kommunistischen Bewegung trieb schließlich den Spaltkeim auch in die Neue Linke selbst. Die neue sozialliberale Reform-Regierung unter Willy Brandt führte schließlich dazu, dass große Teile der frisch politisierten Jugend und Bevölkerung erneut in die herrschenden Strukturen eingebunden wurden (nicht zuletzt bei den Jusos, der sozialdemokratischen Jugendorganisation), während jene, die sich diesen Reformstrategien verweigerten mit einer nachhaltigen Kriminalisierung mittels Radikalenerlassen zu kämpfen hatten. So kommt es 1969/70 zum Zusammenbruch der antiautoritären Gegenöffentlichkeit und zur Re-Heterogenisierung der oppositionellen Kräfte. Die Protestbewegung spaltet sich mehrfach und transformiert sich nachhaltig.
Nach dem Ende der antiautoritären Bewegung reproduziert sich dabei, wie Brückner Anfang der siebziger Jahre schreibt, in gewisser Weise der Zustand antikapitalistischer Kräfte und Gruppen von vor 1966/67. Die Zersplitterung führt zu einem erneuten ›Sekten- und Zirkelwesen‹, allerdings, wie er betont, auf einem sowohl quantitativ wie qualitativ erweiterten Niveau von Politisierung und einem im Ganzen fortgeschrittenen Niveau der Klassenkämpfe. Auch er selbst hält diese Transformationsprozesse und diese Bewegungs-Entmischung für historisch unvermeidlich, auch er bezeichnet die beginnende Fraktionierung in seiner 1973 erschienenen Schrift Kritik an der Linken als »unerlässliche(n) Durchgang zu einer größeren Breite und organisatorischen Verankerung linker Politik« (1973, S.16; Hervorhebung: CJ). Doch nichts desto trotz beklagt er diesen Prozess einer Entmischung von kulturrevolutionärem Impuls und politischer Organisierung, der Entgegensetzung von Bewusstseinsveränderung und traditionellen Politikformen. Nicht zuletzt, weil die antiautoritäre ›Kraft der Negation‹ nun unter anderem dazu führt, die eigenen Widersprüche auf falsche Weise aufzuheben, indem sie sich re-dogmatisiert und in autoritären Organisationsformen wie jenen kommunistischen oder maoistischen Kaderparteien traditionalisiert, die Anfang der 1970er Jahre wie Pilze aus dem Boden geschossen sind. Für diese Variante einer schlechten Aufhebung der antiautoritären Widersprüche gilt dann jedoch Brückners Diktum: »In der Auslieferung des antiautoritären Impulses, soweit er sozialistisch geworden ist, an orthodoxe parteiartige Vereinigungen geht verloren, dass Bewusstsein umgeworfen, der Stil zwischenmenschlicher Beziehungen gewandelt, der ›institutionalisierte Hass‹ aufgehoben (und nicht funktionalisiert) werden muss.« (1970, S.71)
Revolutionäre Politik benötige beides, wie Brückner unmissverständlich erklärt, »ein Optimum an Disziplin und Ungehorsam – nach wie vor gilt: Ohne Disziplin wird nichts produziert, aber dem Gehorsamen werden die Ergebnisse [in Brückners Schrift steht hier ›Ereignisse‹, was offensichtlich ein Druckfehler ist; CJ] der Produktion weggenommen (B. Brecht); ein Optimum an Desintegration (= praktische Kritik bürgerlicher Werte und Normen) und Solidarisierung (= innere Integration der antikapitalistisch-antiimperialistischen Kritik).« (1973, S.32) Und weil gegen verdinglichte Herrschaft nur die direkte Vertretung eigener Bedürfnisse und Interessen helfe, stellt er sich auf die Seite radikal-linker, basisdemokratischer Tendenzen und bezieht sich positiv auf die damals aufkommende politische Arbeit von Basisgruppen in Stadtteilen, Fabriken und Verwaltungen, mit denen sich die gesellschaftlich schmale Basis einer solchen, wirklich kommunistischen Politik verbreitern ließe. Immer wieder macht er deutlich, dass er nicht prinzipiell gegen Organisation sei, und dass ihn deswegen von den mehr traditionellen Parteiansätzen »im wesentlichen nur die Zeitperspektive« (ebd., S.53) trenne. Doch steckt in diesem ›nur‹ eine weitreichende Abweichung, nämlich das Brücknersche Beharren auf einer antiautoritären Haltung. Auf den Gedanken der Antizipation möchte er auch und gerade in der Diskussion um die notwendige Organisierung nicht verzichten, und hofft doch auf eine wechselseitige Befruchtung und sogar »eine Art von ›Bündnis‹ (…) zwischen den Ultralinken und vielen heute noch traditionell organisierten Kommunisten« (1965/1972, S.45).
Brückner versucht also weiterhin, etwas zusammenzudenken, was realiter zunehmend auseinander trieb in den 1970er Jahren. Es war ihm klar, dass sich dieser Widerspruch eben nicht am Schreibtisch des linken Intellektuellen lösen lässt, sondern nur praktisch-historisch, in den praktisch-politischen Bewegungen selbst. Abermals versuchte er, seine in Zeiten der aufkommenden Politisierung bewährte, spezifische Haltung auch in Zeiten der widersprüchlichen und partiell regressiven Bewegungsentmischung aufrecht zu erhalten. Anstatt Bewegungstotalität und Ganzheitsbetrachtung war nun jedoch Entmischung festzustellen, statt dem Bemühen um Vermittlung die Suche nach einer neuen Unmittelbarkeit, statt politisch-tätiger Reflexion die Trennung von Theorie und Praxis, statt einer neuen Dialektik von Frieden und Militanz »Legalismus hier und Terror dort«, wie Brückner später schreiben wird (1980b, S.8). Auf neue Weise stellte sich damit auch für ihn selbst die Frage, wie man sich als nicht-nur kontemplativer, als ein aufs Eingreifen abzielender sozialistischer Intellektueller jener neuen widersprüchlichen Zeit gegenüber verhält, deren zentrale Antagonismen, deren Stärken und Schwächen, deren historisches Recht man ebenso versteht wie dessen historische Illusionen. Wie nimmt man Stellung, welche Haltung nimmt man ein, welche kann man einnehmen?
Wie wenige andere hat Brückner versucht, in den ›roten‹ siebziger Jahren kühlen Kopf zu bewahren. Mit viel Ausdauer analysierte er die Strukturveränderungen der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und die Kriminalisierungsstrategien des deutschen Staates. Detailliert und engagiert setzte er sich parallel dazu mit den einzelnen Fraktionen der westdeutschen Linken auseinander, mit ihren subkulturellen Fluchtbewegungen wie ihren falschen Rückgriffen auf veraltete politische Organisations- oder Kampfformen. Seine Auseinandersetzungen mit diesen neuen sozialen und politischen Bewegungen einerseits, den Kader-Organisationen und dem westdeutschen Terrorismus andererseits lesen sich nicht nur als exemplarische Umsetzungen seiner einfühlenden Teilnahme und sind nicht nur erinnernswerte Beispiele dessen, was heute als kritische Solidarität allgemein in Verruf geraten ist. Vor allem sind sie Meilensteine einer linken politischen Theoriebildung, die nach seinem allzu frühen Tod 1982 keine Fortsetzung mehr gefunden haben. Brückner blieb sich treu und hielt fest an seinem ganzheitlichen, vermittelnden Blick – obwohl sich doch bereits eine neue Unmittelbarkeit Bahn gebrochen hatte, die von der antiautoritären Subkultur über die ML-Organisationskultur bis zum westdeutschen ›bewaffneten Kampf‹ reichte. Seine in der Form solidarischen, in der Sache selbst jedoch bemerkenswert harten Kritiken des linken Zerfallsprozesses ließen ihn aber auch nicht den Blick verschließen für die eigene Ohnmacht: »Ich muss einräumen«, hatte er beispielsweise schon 1972 geschrieben, »dass wir nach der kritischen Feststellung: so nicht!, vor die Frage gestellt sind: aber wie dann?, und auf diese Frage bisher noch keine organisierende Antwort finden konnten.« (1965/1972, S.52f.)