Aufnahme: ©rs

Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

… neulich im Einstein,

aber diesmal wieder bei Einstein Bros. in Boulder/Co, las ich bei meiner Tischnachbarin auf der Rückseite einer sie augenscheinlich amüsierenden Lektüre: He is an asshole, the problem with Taleb is that he is right. Es war der gerade erschienene Band Skin in the Game. Hidden Asymmetries in Daily Life von Nassim Nicholas Taleb.

Ich bat die Nachbarin (me-tu‘-ihr-auch-nix), den Grund ihrer Heiterkeit mit diesem Band anzudeuten. – Sie begriff Taleb als witzigen ›Ikonoklasten‹, der langlebige ›Pattern‹ des Redens und Meinens über das, was wir unter sozial-medialen Auspizien unsere Welt nennen, als begriffs- & phantasielos ausweise. Sie sei zuerst auf ihn aufmerksam geworden, durch seine Metapher vom Black Swan, mit der Taleb, ein gelernter Finanzmathematiker, auf überraschende, seltene (zuerst börsentechnische) Konstellationen aufmerksam gemacht habe, die mit unserer polit-ökonomischen und geopolitischen Handlungslogik zunächst nicht erklärbar seien. Er habe sehr schnell vermutet, dass das auch die Innovationslogik in der Wissenschaft und – wenn man das auch ›Innovation‹ nennen wolle – vor allem in der Politik sei. Hier könne man aber auch äquilibristische Meisterleistungen im Trivialisieren und Vergleichgültigen solcher ›schwarzen Schwäne‹ atemlos bewundern …

Taleb wolle uns, so die schöne, allzuschöne Nachbarin, intellektuell sensibel machen, um nicht illusionäre (totalisierende) Erklärungen für gegenwärtige Ereignisse zu akzeptieren oder auch für vergangene Ereignisse bloße gegenwartsbezogene (meist abstrakt moralisierende) Verursachungen anzuerkennen. Hier helfe meist schon, die Armut an kulturellen Fakten und den Reichtum an Moral dem Gelächter (und der Provokation!) preiszugeben. Sein Skin in the game ließe sich fürs erste auf eine Handvoll Ratschläge bringen:

a) Hüte dich vor komplizierten Lösungen (und vor denjenigen, die bezahlt wurden, sie zu finden).
b) Du kannst ein Intellektueller sein und zugleich ein Idiot.
c) Minderheiten, nicht Mehrheiten bewegen die Welt.
d) Ethische Maximen sind nicht universell.
e) Willst du soziale Gerechtigkeit, dann verbinde Gleichheit und Risiko.

Meine Hermeneutin gab mir aus Talebs Buch eine Nietzsche-Weisheit mit auf den Weg: Sympathy for all would be tyranny for thee, my good neighbor.