Stefan Breuer, einer der besten Kenner der Geschichte des rechtsgerichteten politisch-geistigen Spektrums in Deutschland vom Kaiserreich bis zum Nationalsozialismus, hat eine weitere, hochinteressante Untersuchung vorgelegt, wie üblich äußerst kenntnisreich auf breiter Quellen- und Literaturbasis, Nachlässe von elf relevanten Akteuren einbeziehend, überzeugend argumentierend und sprachlich gelungen. Breuer versteht es, ohne dass seine Darstellung des Nordizismus affirmativ wird, die Gedankengänge der Protagonisten ›verstehend‹ und dabei präzise und namentlich die Differenzierungen klar herausarbeitend zu rekonstruieren. Auf diese Weise gelingt es ihm, dem Leser einen Eindruck von der Attraktivität des Nordischen Gedankens für ein bestimmtes Segment der sozialen Eliten und der bürgerlichen Intelligenz in der Zwischenkriegszeit zu vermitteln.
Zu Breuers sezierendem Herangehen an die Objekte seiner Forschung gehört das Beharren auf einer genauen und dadurch aussagekräftigen Begrifflichkeit. So wendet er sich gegen die heute übliche inflationäre, analytisch blinde Benutzung des Terminus ›Rassismus‹ als ›Omnibus-Begriff‹ und dringt z. B. darauf, radikalen Nationalismus von Rassismus im eigentlichen Sinn (um den es in einer seiner Varianten hier geht) zu unterscheiden, auch wenn in der politischen Auseinandersetzung und der Publizistik Überschneidungen und Mischungen gängig waren und sind.
von Peter Brandt
Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger der Großen Kreisstadt Backnang, liebe Landsleute, meine Damen und Herren!
Ihr geschätzter Oberbürgermeister Dr. Nopper hat mich in Verbindung mit meinem Freund Robert Antretter eingeladen, heute Vormittag zu Ihnen zu sprechen: an unserem Nationalfeiertag, dem Tag, an dem vor 29 Jahren die staatliche Einheit Deutschlands nach vierzig Jahren Teilung und Zweistaatlichkeit wieder hergestellt wurde durch Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes. Ich bin kein Volksredner, und wenn ich Vorlesungen oder Vorträge halte, dann üblicherweise in geschlossenen Räumen. Auch wenn ich hier kein akademisches Kolleg abhalten will, wird wohl ein wenig meine – auch berufliche – Prägung durchschimmern.
Zunächst meinen Respekt, werte Anwesende, für die Art und Weise, wie Sie den 3. Oktober begehen! Wenn ich das viele Schwarz-Rot-Gold, die deutschen Farben, unsere Trikolore, sehe, kann ich indessen meinen Kummer darüber nicht unterdrücken, dass viele unserer Mitbürger, vor allem in den jüngeren Altersgruppen, nationalistische und reaktionäre Inhalte vermuten, wenn sie Schwarz-Rot-Gold sehen. Sie scheinen von der Geschichte des Dreifarbs nichts zu wissen: beginnend mit den Freiwilligen-Einheiten der antinapoleonischen Befreiungskriege und der Urburschenschaft über das Hambacher Fest hin zur ersten deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und der dort ausgearbeiteten fortschrittlichen Verfassung, vereitelt von der wieder erstarkten Fürstenmacht, nicht zu vergessen der erbitterte Symbolkrieg 1918 zwischen dem Schwarz-Rot-Gold der Republikaner und dem Schwarz-Weiß-Rot der Monarchisten und Rechtsnationalisten.
von Ulrich Siebgeber
Man könnte mir den Seriositätspreis des deutschen Kabaretts anbieten und ich würde ihn annehmen – natürlich unter Gelächter, schließlich gehört sich das so. Ich bin zwar kein Kabarettist, aber manchmal wird das schiere Lesen zum kabarettistischen Ereignis und wer will da fehlen? Das Lesen ist meine Bühne, sie steht gleich neben der Berliner Siegessäule, dort, wo der Wille zum Sieg in diesen Tagen vor allem junge Gemüter in Versuchung führt. »Wir selber suchen keinen Schulterschluss mit irgendwelchen Parteien, wir wollen auch nicht die nächste Wahl beeinflussen. Wir adressieren hier in Berlin einzig und allein die deutsche Regierung. Die muss jetzt den Klimanotstand ausrufen. In dieser Woche!« Nein, das war nicht ich, das war…: Extinction Rebellion im NZZ-Interview vom 9.10.2019 aus dem Mund ihrer deutschen Sprecherin Annemarie Botzki, einer zweifellos begabten Klimanotstands-Darbieterin. Aber ebenso zweifellos muss ich adressiert gewesen sein, so deutlich und lautstark fiel mir bei diesen Sätzen die Kinnlade herunter. Denn diese Sätze, hoppla, die kannte ich doch, wenngleich … warten Sie … stimmt!
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