von Gunter Weißgerber
Am 29. Oktober 2019 wählten die Thüringer einen neuen Landtag, in dessen Ergebnis die seit 2014 im Amt befindliche Linke/SPD/Grüne-Landesregierung (RRG) die Mehrheit verfehlte und abgewählt wurde.
Eine klare Mehrheit hätte eine Koalition aus CDU und AfD, die jedoch von der CDU abgelehnt wird. Offensichtlich bleibt es damit bei der bisherigen RRG-Koalition, die nun als Minderheitskoalition auf jeweils mindestens vier zusätzliche Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen ist.
Genau genommen, wird RRG nichts, überhaupt nichts mehr beschließen können, was nicht durch einzelne CDU-, FDP- oder AfD-Abgeordnete mit getragen werden wird. Der am 15. Januar 2020 der Öffentlichkeit vorgestellte RRG-Koalitionsvertrag ist deshalb eine Luftnummer – jedenfalls solange es die ominösen vier zusätzlichen Stimmen aus der Opposition nicht gibt.
von Lutz Götze
Über den Ausgang der Wahlen zum britischen Unterhaus konnte nur der überrascht sein, der die Insel und ihre Menschen nicht kennt. Allenfalls die Höhe des erdrutschartigen Sieges der Konservativen Partei ließ aufhorchen. Labour hat das schlechteste Wahlergebnis seit 1935 eingefahren; den Tories gelang der flächendeckende Einbruch in traditionelle Arbeiter- und Angestelltenbezirke Mittel-und Nordenglands, sogar Wales, die seit Jahrzehnten Abgeordnete der Arbeiterpartei in das House of Commons entsandt hatten. Ausgenommen von dieser Entwicklung waren ausschließlich Schottland und Nordirland, wo die Nationalisten obsiegten, jedoch aus unterschiedlichen Gründen. In Schottland strebt die Scottish National Party unter Nicola Sturgeon ein Referendum an, um in der Europäischen Union zu verbleiben. Die Aussichten sind freilich schlecht.
Die Ursachen für diese verheerende Niederlage von Labour sind, vordergründig betrachtet, eindeutig: ein unbeliebter Parteivorsitzender Jeremy Corbyn, der ständig zwischen leave or remain lavierte und obendrein die antisemitischen Tendenzen in seiner Partei nicht bekämpfte, war das eine, die Gespaltenheit seiner Partei in zahlreichen Fragen und keineswegs nur in der Brexit-Entscheidung das andere.
»Vielleicht will die SPD gar nicht, dass es sie gibt« – ein Universum in einem Titel. Volltreffer!
Was würden Ferdinand Lassalle, Wilhelm Liebknecht, der ›Arbeiterkaiser‹ August Bebel, Phillip Scheidemann, Friedrich Ebert, Kurt Schumacher, Willy Brandt und Helmut Schmidt um nur einige zu nennen, zu diesem Titel sagen?
All diese Sozialdemokraten wussten, was sie mit und in dieser Partei in Deutschland wollten: Teilhabe aller, Chancengleichheit, sozialen Aufstieg über Bildung, ›Fördern und Fordern‹, Gleichberechtigung der Geschlechter, einen starken Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort! Und das alles im Wettstreit mit der politischen Konkurrenz und dem scharfen Schwert freier Wahlen. Sozialdemokraten, das waren Facharbeiter, Meister, Ingenieure, Wissenschaftler, auch sehr wohlhabende Citoyens, die immer wussten, redliche, faire Arbeit ist die Grundlage von Wohlstand und den notwendigen sozialen Ausgleich. Die ›Kuh‹ Wirtschaft sollte nie so gemolken werden, dass sie verendet.
Sämtliche Abbildungen mit freundlicher Genehmigung der Urheber. Front: ©2024 Lucius Garganelli, Serie G