von Ulrich Schödlbauer

1.

Think globally, act locally – durchaus möglich, dass keine andere Parole das Denken so vieler Menschen in so kurzer Zeit verändert hat wie diese. Mit ihr kann sich sehen lassen, wer will. Das fasziniert die Menschen und erzeugt jene Überzeugungs- und Handlungsdichte, die kulturelle Steuerung auszeichnet. Was hierzulande als ›grün‹ gilt, vertraut vornehmlich auf die Durchsetzungskraft dieses Deutungsschemas. Dabei ist die Parole weit von aller Eindeutigkeit entfernt. Je nachdem, wer sich ihrer bedient, nimmt sie ganz unterschiedliche Färbungen und Bedeutungen an: Grundlage jeden Erfolgs, der von Dauer sein soll. Nicht ohne Grund lautet das nachgeschobene Zauberwort, das allen Widerstand bricht, ›Nachhaltigkeit‹, also Dauer. Nächst dem, der ›sein Sach’ auf nichts gestellt‹ hat, rangiert der Besorgte, der sein Sach’ auf Dauer zu stellen wünscht – sei es aus Sorge vor kommenden schlechteren Tage, sei es aus Sorge um die Nachkommenschaft, sei es aus der umfassenden Haltung der Sorge heraus, die immer etwas zu Besorgendes findet. Naturgemäß sind Staaten und Großunternehmen die dankbarsten Abnehmer einer Idee, welche die Zukunft gepachtet zu haben scheint. Die virtuelle Unsterblichkeit lässt ihnen kaum eine andere Wahl, vorausgesetzt… ja vorausgesetzt, das Spektrum möglicher Auslegungen erlaubt es, die eigenen Primärinteressen darin unterzubringen. Dieser Erkenntnisprozess kann dauern – wurde er einmal durchlaufen, dann ist in der Regel kein Halten mehr, gleichgültig, was Graswurzel-Leute von den Ergebnissen halten mögen. Polyvalenz – ›Vielwertigkeit‹ – charakterisiert jede sozial erfolgreiche Phraseologie.

2.

Anders als weltrevolutionäre Parolen einer Epoche, die an den Idealismus der ›Gleichen‹ appellierte, wenngleich er materialistisch begründet wurde, stellt diese im Bild des Globus die materielle, allenfalls unter fanatischen Marssiedlern wegzudenkende Grundlage aller menschlichen Existenz ins Zentrum des Engagements. Scheitert der Globus, scheitert der Mensch. Woran sollte er scheitern, wenn nicht am Menschen? Worin sollte er scheitern, wenn nicht an der Bereitstellung aller Lebensgrundlagen, deren der Mensch inmitten seiner natürlichen Umwelt bedarf? Radikale Naturschützer, die weiter gehen und den Menschen am liebsten als Störfaktor im Äquilibrium der natürlichen Kräfte eliminiert sähen, ähneln jenen Gleichheitsideologen, denen die Gleichheit vor dem Erschießungskommando mehr gilt als die Gleichheit vor dem Gesetz. Sie werden von der Mehrheitsauffassung geduldet, weil das Ziel, die Verkleinerung des menschlichen ›Fußabdrucks‹, sie beide eint. Dieser Fußabdruck (›foot print‹ – speak globally) ist eine virtuelle Größe, man kann auch sagen, eine Hypothese, deren Ausgangsmaterialien verworren, deren Annahmen ›stark‹ und deren Deutungen ›divers bleiben, während der Grundgedanke bestechend einfach wirkt und kaum schlagbar erscheint: Alles, was ich der Kasse entnehme, muss ihr wieder zugeführt werden, will ich verhindern, dass sie eines Tages leer – ›aufgebraucht‹ – ist. Überall dort, wo der Mensch auf natürliche Ressourcen angewiesen ist, muss er sicherstellen, dass sein Verbrauch sich im Rahmen der natürlichen Regeneration hält. Darüber zu befinden ist nicht so einfach.

3.

Der Mensch, dessen materielle Einwirkung auf den Planeten irgendwann messbar wurde, ist, wie oft betont wird, kein Abstraktum, sondern jeder. Genauer gesagt: jeder Einzelne an seinem Ort, zu seiner Zeit, mit seinen Bedürfnissen. Wenn die Suche nach Essbarem sich noch relativ flexibel gestalten lässt, so sind Wasser und Energie unabdingbare Garanten seiner Existenz. Um sie zu sichern, werden Kriege geführt, Grenzen gezogen oder beseitigt und ganze Regionen umgepflügt, deren Bewohner, lokal gedacht, nicht wissen könnten, wie ihnen geschieht. Umgepflügt wird daher auch ihr Bewusstsein. Wer gestern nur an sich und seine Umgebung dachte, denkt heute oder morgen mit Grimm an die da draußen und droben. Die Globalisierung der Köpfe vollzieht sich, nüchtern betrachtet, über die vehemente Gegenwehr von Leuten, deren Lebensräume materieller oder kultureller Zerstörung anheimfallen. Ohnmächtige Erbitterung, Hass und Terror sind ihre strukturellen Begleiter. Niemand, der seine Sinne beisammen hat, denkt bloß lokal. Wenn die globalen Akteure einfallen, erfahren Dorfbewohner in der Regel recht schnell, welche ›Quelle‹ unter ihren Füßen oder in ihrer Nachbarschaft zum Segen oder Unsegen der Region auszuschlagen verspricht. Wenn die Opfer der Globalisierung, notdürftig als ›Flüchtlinge‹ getarnt, in die Zentren des ungleich verteilten Wohlstands strömen, wissen die schwächeren Gesellschaftsglieder im voraus, wer die Zeche bezahlen wird. Steuern, Arbeitsplätze, Dienstleistungen, Vorsorge und Sicherheit – das sind die Bereiche, in denen das Menschheits-Credo der Zusammenrückenden am schnellsten Risse bekommt.

4.

Die Quellen des Reichtums sind vielfältig, sie beschränken sich nicht auf Wasser, Öl, Gas, Uran. Daher ist nichts und niemand davor gefeit, einer Geschäftsidee zum Opfer zu fallen, die gerade irgendwo auf dem Planeten ausgebrütet wird. Arbeit zählt eher nicht dazu, zieht man die einschlägigen Statistiken zu Rate – sie ist notwendig, aber sie lohnt nicht. Für alle, die auf sie angewiesen sind, gilt die Parole: ›Denke an dich und sei verfügbar. Oder in der vornehmen Sprache der Gestalter der einen Welt: Think locally, act globally. Wer nicht so denkt, kommt rascher unter die Räder als ins Frühstückszimmer der Planetarier. Dabei ist, wie das Beispiel der Wirtschaftsflüchtlinge lehrt, das Verfügbar-sein eine ganz spezielle Art des globalen Handelns. Wer global denkt und global plant, der findet es ganz in Ordnung, dass Menschen auf der Suche nach Arbeit die Kontinente wechseln, gleichgültig, was sie sonst noch erwartet. Er findet auch, ohne es auszusprechen, dass Krieg ein probates Mittel sein kann, der weltweiten Mobilität auf die Sprünge zu helfen und, auf der anderen Seite, die Aufnahmebereitschaft zu erhöhen.

5.

Act locally meint, je nachdem: Leiste Widerstand! Und: Berechne den Widerstand! Was die eine Seite denkt – oder zu denken vorgibt –, das speist die andere Seite in ihre Berechnungen ein und entwickelt Antworten. Act locally ist ein Strategiespiel mit Regeln, die zu brechen sich selten lohnt, weil die Alternative, ungebremste Gewalt, die Unkosten in die Höhe treibt oder andere, in der Regel mächtigere Akteure auf den Plan ruft. Neben, oft genug über den realen Unkosten – vulgo Opfern – rangieren die symbolischen: die von und in den Medien kommunizierte Bilderflut, die den Konfliktverläufen vor Ort nicht sonderlich gerecht zu werden pflegt – nicht weil Journalisten generell zur Unfähigkeit neigten, sondern weil sie selbst als Figuren in einander kreuzenden Strategiespielen gesetzt sind. Wer sich zum Widerstand entschließt, merkt rasch, dass es zwei Arten von Widerstand gibt, deren soziale Belohnung höchst unterschiedlich ausfällt. Wer sich fürs CO2 erwärmt oder Erstickungsanfälle bekommt, wenn er das Wort Stickoxid in der Zeitung liest, der befindet sich auf der Schokoladenseite der Protestkultur. Er ist ein allseits geachteter Planetenbewohner, der weiß, was er tut – jedenfalls wird ihm das rund um die Uhr von den Kennern der Materie und ihrem Anhang versichert. Wer sich für die kulturelle Umwelt erwärmt, in der er aufgewachsen ist und in der er sich, um eine der geläufigen Phrasen zu zitieren, bewegt wie ein Fisch im Wasser, der sollte das Wort ›Widerstand‹ gar nicht erst über die Lippen bringen. Er ist bereits gebrandmarkt, denn er hat die Herausforderungen, vor denen wir alle stehen, noch nicht begriffen, er ist ein borniertes Subjekt oder Schlimmeres – es sei denn, er rückt als Angehöriger einer schutzfähigen ›Ethnie‹ in eine der gängigen Opferkategorien ein. Auch dieser Status muss erarbeitet werden. Der Weg heißt ›Anerkennung‹.

6.

Kein Widerstand, dessen Folgen nicht bereits im voraus berechnet und ›eingespeist‹ wären – wer anderes behauptet, der macht sich oder anderen etwas vor. Welche Mittel gewählt werden, um Widerstand unschädlich zu machen, gehört auch in die Abteilung act locally, nur dass diesmal die andere Seite am Zug ist. Für den Angreifer bedeutet es: Er kann, falls er es fertigbringt, den ihm entgegenschlagenden Widerstand brechen, er kann ihn aber auch umlenken. Lokal denken, das heißt in letzterem Fall, sich einlassen auf die Beweggründe der Menschen vor Ort, auf ihre Interessen, Bedürfnisse, Denkweisen, Handlungsmuster, Tabus, kurz, auf ihre Kultur, solange … nun, solange sie mitspielt. ›Sich einlassen‹ bedeutet keineswegs, alles so zu belassen, wie es ist, wohl aber, die Menschen im Glauben zu wiegen, alles geschehe in ihrem Sinn, wenn nur die Kasse gefüllt, ein paar Brauchtumsflicken gewahrt und dem Glauben Genüge getan wird. Act locally: Zeige dich aufgeschlossen für die Marotten der Bewohner des Landes, dessen Bodenschätze, dessen Reichtum, dessen Produktionschancen du dir anzueignen gedenkst, denn sie könnten dir nützlich sein. Und vergiss nie: Keine Kultur ist so harmonisch, dass man sich nicht, falls nötig, ihrer Gegensätze bedienen könnte. Für den Ernstfall gibt es Gesinnungen… Wer kauft Gesinnungen? Wie funktioniert dieser Markt? Kaum einer lässt sich seine Gesinnungen abkaufen, das wäre zu einfach. Man lernt das Problem begreifen, man lernt seine Lektion – so geht das.

7.

Es kann vorkommen, dass, ausgelöst durch machtpolitische Verblendung oder eine Koppelung materieller und kultureller Effekte, in bestimmten Regionen der Widerstand sich stärker als vorgesehen entwickelt – vor allem wenn der alte Beharrungsfaktor Religion mit ins Spiel kommt. Dann kann es für beide Seiten nützlich sein, den religiösen Aspekt ein wenig anzuschärfen, um ihn als – revolutionären oder evolutionären – ›Gestaltungsfaktor‹ den eigenen Interessen dienstbar zu machen. Das steht zwar in schroffem Gegensatz zum nüchternen Kern der Globalisierung und zum globalen Denken von Umweltpuristen, in dem jeder Einzelne Verantwortung für den Planeten trägt, gleichgültig, welcher Religion oder welchem Clan er sich zugehörig fühlt. Aber, sehr nüchtern betrachtet, ist auch das schließlich nur ein Glaube neben anderen, der ein wenig Anschärfung verträgt, wie die Aktivitäten von Greenpeace und anderen, ungeduldigeren Organisationen lehren. Religion ist stets global und lokal, kulturell verankert und kulturüberschreitend. Sie darf auch mit viel Geld exportiert werden. Und Religion fragt nicht danach, ob sie gut ist: Sie schreibt vor, was gut ist. Ein solches Instrument legt man nicht aus der Hand, ohne ein paar Töne darauf zu klimpern. Das kann schiefgehen, das kann im Desaster enden, doch gerade so geht es. Religiöses Empfinden, einmal im Geschäft, ist aus der guten Sache nicht wegzudenken – so oder so, am besten beiderseits der Freund-Feind-Skala, am besten dann, wenn die gute, da lukrative Sache sich der Unterstützung von Staaten und staatsähnlichen Akteuren versichert, deren Klientel Profitmaximierung als Wertebewusstsein… nein, nicht tarnt, sondern unter den neidisch-bewundernden Blicken der Mitwelt vorlebt: Nur wer im Wohlstand lebt, lebt angenehm.

8.

So oder so – oder: Wer kann, der kann. Entsprechend findet sich, wer das bereichernde Nebeneinander von Glaubensbiotopen als Glaubensartikel über dem Herzen trägt, über kurz oder lang als Kämpfer oder Gönner an der Seite von Kämpfern wieder, die den heilsgeschichtlichen Sieg ihrer Religion über die Fremd- und Ungläubigen auf ihre Fahnen geschrieben haben und in der Zwischenzeit neben ein bisschen Terror das Abkassieren trainieren. Korruption ist, je nach Interessen- und Klassenlage, immer dabei, wenn Überzeugungen zusammenprallen, vor allem mit sich selbst. Act globally, think locally: Auch so herum gibt es Sinn. Kulturelle Borniertheit schleift sich in fremden Gegenden ab, religiöse verschärft sich. Sträflich wäre es, ein solches Produktionsmittel freiwillig der Konkurrenz zu überlassen, vor allem, weil es beidseitig nutzbar erscheint. Der große Vorteil der religiösen Herausforderung besteht darin, dass es immer jemanden gibt, der sie annimmt: Nichts mobilisiert so zuverlässig lokale Freund-Feind-Verhältnisse wie sie. Auf diese Kraft lässt sich bauen.

9.

Think globally, act locally bedeutet, redlich gesprochen und ohne den üblichen Schweif an Hintergedanken: Bedenke die Wirkungen deines Alltagshandeln auf das System Erde und reflektiere sie in deinen Entscheidungen. Für einen, der das Glück hat, auf der Wohlstandseite des Planeten zu leben, bedeutet das im ökologischen Standardfall den Verzicht auf ein bestimmtes Produkt, dessen Herstellung oder Gebrauch irreparable Umweltschäden verursacht, auf eine entsprechende Dienstleistung, selbst wenn sie Arbeitsplätze und Annehmlichkeiten aller Art verspricht, auf Risikoträger wie die Atomkraft, auf ›Klimakiller‹, also fossile Brennstoffe – positiv gesprochen: den Erhalt lokaler Traditionen und Produktionsweisen, die Stärkung kleiner Gemeinschaften, die Abwehr ferngesteuerter Profitmaschinen – abstrakt gesprochen: Blockaden aller Art. Genauso kann es bedeuten, sich selbst, seine soziale Umgebung und das eigene Land ideell und materiell in Haftung zu nehmen, falls irgendwo in der Welt die Umwelt versagt und Gesellschaften kollabieren. Im Extremfall einer aus globaler Verantwortung zugelassenen oder forcierten Masseneinwanderung kann es den Verlust des eigenen Landes befördern, sofern unter den Begriff des ›eigenen Landes‹ die Einbettung in ererbte Sitten und Gebräuche, aber natürlich auch die gemeinsprachliche Feinsteuerung im zwischenmenschlichen Bereich fällt – nicht zu reden vom ›kulturellen Gedächtnis‹ – eine unglückliche Vokabel, weil hier nicht nur Gedächtnisleistungen gefragt sind –, dem komplexen Überlieferungsgeschehen, das, genauer betrachtet, überhaupt erst die zivile Selbststeuerung einer Gesellschaft jenseits von Sprachverordnungen und staatlichen Interventionen ermöglicht. Der Appellcharakter des eigenen Tuns (»Wenn genügend viele mitmachen, werden wir siegen!«) vermischt sich hier mit der Idee selbstverantworteten Handelns im Sinn der Moral (»Handle so, dass...«) und dem Wissen – wobei der Wunsch Vater des Gedankens sein mag –, durch das eigene Vorgehen hier und jetzt eine global wirksame Tat zu vollbringen, auch wenn die Auswirkungen statistisch unerheblich bleiben mögen. Was daran borniert, was menschheitsfähig genannt werden sollte, entscheidet sich nicht anhand der Reinheit der Überzeugungen, sondern anhand der Ergebnisse. Lernprozesse sind das A und O des globalen Denkens, sie setzen voraus, dass, was lokal erprobt, global angemessen kommuniziert und ›umgesetzt‹ wird. Da spätestens liegt das Problem.

10.

Think globally, was immer man davon halten mag, setzt, neben der weltweiten Vernetzung, einen global handelnden Gegner voraus. Es ist nicht nötig, global zu denken, solange alles Handeln (mitsamt seinen Folgen) lokal begrenzt bleibt. Man mag sich, wie Eiferer das tun, den globalen Gegner als vielköpfige Hydra oder als Weltverschwörung denken oder sein Cave! hinzusetzen, wichtig ist, dass es sich um eine Entität – human or not human – handeln muss, welche die Kämpfenden eint. Ohne sie zerfällt der Kampf, zerfallen die Kämpfer untereinander, zerfallen die Leitideen, zerfällt die Marke ›global‹ und jeder wird auf das eigene Urteil zurückgeworfen, dem gemäß das einzelne Handeln vertretbar oder nicht erscheint. Es genügt, dass im Zentrum des globalen Staates – des Staates, der als Stellvertreter des nicht existierenden Weltstaats zu handeln behauptet – ein Vertreter des think locally, act globally auftaucht (wobei niemand weiß, welcher Fraktion er im Bedarfsfall verpflichtet sein wird), um Globalisten aller Schattierungen in Dauererregung zu versetzen: Nicht, weil der Gegner sich dort plötzlich materialisiert hätte, sondern weil der Gegensatz, das lobbyistische Feld, seiner mächtigsten administrativen Stütze ledig, zu diffundieren beginnt und der Zerfall des eigenen Lagers droht.

11.

Wer global Gewinne einstreichen will, weiß in der Regel, dass er, um erfolgreich zu sein, lokal handeln muss. Trifft er auf Widerstand, stehen ihm drei Optionen zu Verfügung. Er kann (a) seine Widersacher als Fremdkörper im lokalen Milieu brandmarken, er kann sie (b), scheinbar kooperativ, täuschen, und er kann (c) mit ihnen in einen offenen Prozess des Aushandelns eintreten, der beiden Seiten Gewinn verspricht. Gewinn… Das Wort erinnert daran, wer alles in solchen Prozessen etwas zu gewinnen hat und was dabei für die Beteiligten auf dem Spiel steht. Nicht jeder anstehende Zug ist korrupt, doch Korruption – offene, versteckte oder schleichende – ist jederzeit mit am Zug. Auch ohne sie reicht die Skala des Erreichbaren von der Atempause für die Natur/Kultur der Region über Geld und Prestige bis zur schrittweisen Ausformung von Interessen- und Organisationshybriden, in denen die gesellschaftlichen und ökonomischen Interessen der schützenden Seite ihre Nische finden. Wer gewinnt, hat gewonnen – ein ebenso banaler wie abgründiger Satz, der besagt: Gegnerschaft zahlt sich aus. Hier wie überall überwiegt der Faktor Gesellschaft, erkennbar als Zuwachs an Macht und Einfluss, das deklarierte Ziel, in diesem Fall: den Schutz der Ökosphäre. Leben ist wichtiger als Überleben. Es sei denn, es geht ums nackte Überleben – hier und jetzt. Die Frage lautet: Wann beginnt beim Menschen das ›nackte‹ Überleben? Auch da wirken kulturelle Prägungen.

12.

Wer zu Hause Gewinne einstreichen will – in Form von Arbeitsplätzen, Infrastruktur, sinkenden Kriminalitätsraten und Unternehmerprofiten –, weiß, dass er, um erfolgreich zu sein, global handeln muss. Die globale Vernetzung würde gnadenlos jeden Ansatz von Isolationismus zu Sand zerreiben. Wer internationale Freihandelsabkommen kündigt, ist nicht per se Isolationist: Er zerstört nur den Fetisch des Globalismus und den Popanz der Globalisierungsgegner, eine Gestalt der Hydra, der fortwährend neue Köpfe nachwachsen, sobald einer von mutigen Aktivisten, unterstützt durch mächtige Freunde in administrativen Zirkeln, heruntergeschlagen wurde. Kaum etwas verrät mehr über den Zustand der aktuellen Glaubenswelt als das betretene Schweigen der Aktivisten angesichts der Neuen Ökonomischen Politik im Westen, die ihre sein müsste, wollten sie dem Risiko der Selbstabschaffung ernsthaft ins Auge sehen. Dabei wäre es nicht sehr hoch.

13.

An dieser Stelle beginnt ein seltsamer Wettlauf der Deutungen, sich den Begriff des ›Bösen‹ zu eigen zu machen – oft als Dämonisierung von Mächten und Menschen beschrieben, ohne dass die ›Dämonisierer‹ sich dadurch erkennbar beeindruckt zeigten. Man kann darin – sicher nicht zu Unrecht – ein weiteres Beispiel für den Niedergang aufklärerischer Deutungshoheit sehen, man kann es auch lassen. Das westliche Bildungssystem leistet sich ein Netz von Kulturwissenschaften, die das, was geschichtsverhafteten Europäern als Niedergang vor Augen steht, als notwendige Arbeit an der Befreiung unter dem Diskursjoch des Logos schmachtender Erd- und Bevölkerungsteile begreifen lehren, wenn nicht der von ihnen verwalteten kulturellen Vergangenheit selbst. Die Stigmatisierung der Ratio als der symbolischen Ordnung zur Herrschaft geronnener Gewalt im Zentrum des gegenwärtigen Bildungssystems schafft Raum für die aufklärungsfeindliche Wiederkehr des ›Bösen‹, des bequemsten aller Deutungsmuster, mit dessen Hilfe sich jede noch so kleine, noch so notwendige Sach-Auseinandersetzung an den Rand essentieller Feindschaft und darüber hinaus in Vernichtungsphantasien treiben lässt. Wer genau liest, weiß, dass letztere den relativ engen Kreis von Terror und Terrorbekämpfung längst übersprungen haben und sich in Form immer neuer Schockwellen im gesellschaftlichen Raum verbreiten.

14.

Globalismus und Antiglobalismus gleichen sich wie eineiige Zwillinge, sobald man die ausgebildeten Formen ihres Zusammenlebens näher in Augenschein nimmt. Da beide nichts so heftig gegeneinander treibt wie der leere Anspruch, den Globus zu repräsentieren – als Geflecht interdependenter Interessen und als Geflecht endlicher und unendlich verletzlicher Ressourcen –, liegt nichts näher, als die realiter immer wieder unterlaufene Rivalität ebenso grund- wie hemmungslos auf einen Dritten zu projizieren. Der linke wie rechte, im Ganzen eher diverse Populismus, sofern er antritt, den Alternativlosigkeit suggerierenden agon beider Gesinnungs- und Handlungsmächte herabzustufen, postuliert einen Raum für Entscheidungen, in deren Zentrum weder die Konstruktion des erdumspannenden homo oeconomicus noch die des scheinbar konkreten Einzelmenschen als eines planetarischen ›Jederwesens‹ steht. Für die aneinander gefesselten Widersacher, die seit Jahrzehnten das ideologische Feld beherrschen, kann und darf es diesen Raum nicht geben. In der Sache längst miteinander im Bunde, nutzen sie die Gelegenheit, ihre destruktiven Energien in einer gemeinsamen Anstrengung abzuleiten. Der Hass, den sie, zu Recht oder Unrecht, auf der Seite des Dritten entdecken, spiegelt die Ausweglosigkeit eines Diskurses, der in den Augen einer wachsenden Zahl von Menschen immer größere Teile der Welt in Trümmer zu legen droht, während die gefühlten Mehrheitsgesellschaften den Denk- und Wahrnehmungsanweisungen der brave new world weiterhin widerstandslos Folge leisten. Es liegt auf der Hand, dass jener Hass und die schrille Verurteilung des ›Bösen‹ zusammengehören: zwei Seiten einer Medaille, deren vehementer Einsatz es der anderen Seite leicht macht, in gleicher Münze zurückzuzahlen. Kein Zweifel auch, dass der Dritte, wo er als nüchterner Rechner in Erscheinung tritt, die Vorteile der ›absoluten‹ Feindschaft für sich zu nutzen weiß.

15.

Es wäre an der Zeit, die ungeheure Suggestivität des ›globalen Denkens‹ zu durchbrechen und es zu erkennen als das, was es war und ist: eine weitere Etappe auf dem Weg der Fetischisierung letzter Instanzen, von denen her sich die menschlichen Dinge ordnen – vor allem verordnen – lassen. Es sind die Globalisierer, die sich – und ihren Geschäftspartnern – im Wissen um die Fragilität der Prozesse, von denen sie abhängen, eine Weltkultur verordnen, die der im Inneren gepflegten Firmenkultur gleicht wie ein Ei dem anderen. Diese Weltkultur ist, was sie verspricht: ein schöner Schein. Kultur lebt, wie das Denken selbst, von der Distanz und der aus ihr hervorgehenden Differenz. Wer sie ihr auszutreiben versucht, tötet sie. Distanzlosigkeit macht blind, Differenzierungsschwäche erzeugt den Leerlauf des Immergleichen, den Vorboten virtueller und realer Gewalt. Die projektive Weltkultur, die das Böse – und damit den absoluten Feind – für sich entdeckt, ist dort wieder angekommen, wo sich einst die Aufklärung ihrer Vorläufer annahm, um sie zu kultivieren. Einem Denken, das etwas anderes sein will als eine Form gepflegter Diskurs-Ergebenheit, wird daher nichts anderes übrigbleiben, als seine Ohren gegen den Gesang der Sirenen zu verschließen, um sich des Hässlichen, des Unaussprechlichen, des Stigmatisierten und Tabuisierten anzunehmen, und sei es allein deshalb, weil ihnen das Vermögen eignet, jede Ordnung zum Einsturz zu bringen – wohl wissend, dass es damit neue Konstruktionen in die Welt setzt, deren Tragfähigkeit begrenzt und deren Geltungsdauer, gemessen an der Menschheitsgeschichte, extrem kurz sein wird.

 

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