von Markus C. Kerber

In Brüssel hat die Bestechung über die Rechtstaatlichkeit gesiegt

Die Auseinandersetzungen um die Zukunft der EU haben mit dem ›historischen Kompromiss‹ über das Corona Wiederaufbau-Programm erst begonnen. Dieser ›Erfolg‹ von Angela Merkel und Ursula von der Leyen stand fest, bevor die Verhandlungen in Brüssel überhaupt begonnen hatten. Alle wussten: Das deutsche Gespann war zum Erfolg verurteilt und würde sich bereitfinden, statt den Gipfel zu vertagen, bereits jetzt im Windschatten der beginnenden Sommerpause das 750 Milliarden Programm durch die Brüsseler Schleusen zu bringen. Die Entscheidung war prinzipiell gefallen, nachdem die deutsche Kanzlerin in einer ihrer typischen Volten gegenüber Frankreichs Drängen auf gemeinsame Schulden und neue Einnahmen für die EU kapituliert hatte. Die seitdem nicht enden wollende Debatte, ausgelöst durch die angeblich sparsamen Vier, mittlerweile um Finnland erweitert, – war bestenfalls taktische Opposition. Denn selbst um Finnland erweitert konnte keiner der Regierungschefs der Länder Österreich, Schweden, Niederlande und Dänemark für sich in Anspruch nehmen, das deutsch-französische Kondominium zu sprengen. In Brüssel gab es auch kein ›Ringen‹, sondern vier Tage Schattenboxen. Insofern stand von vornherein fest, dass Ruttes Aufbegehren nur wahltaktischer Natur war und es ihm, wie allen anderen Politikern darum ging, gegenüber seinen Wählern in den Niederlanden, die zu 75 Prozent jede Form von Transferunion ablehnen, zu zeigen, dass er das Optimum herausgeholt habe.

Damit hat die Europäische Union alle Maximen finanzwirtschaftlicher Nachhaltigkeit, die sie bislang gegenüber den Mitgliedsstaaten in Gestalt des Stabilitätspaktes predigte, für sich selbst über Bord geworfen. Es werden gemeinsame Schulden aufgenommen, diese werden erst ab 2028 getilgt, und zwar über einen Zeitraum von 30 Jahren, also außerhalb des Wiederwahlzyklus für alle gegenwärtigen Amtsinhaber in den Mitgliedsstaaten und in der Europäischen Kommission. Man könnte auch sagen: Nach uns die Sintflut. So definiert das Brüsseler Regime finanzwirtschaftliche Solidität.

Hinzu kommt: Es werden Geschenke an die Südländer und zur Bestechung an Polen verteilt. Diese werden mit gemeinsamen Schulden finanziert; Schulden, von denen wir heute nur wissen, dass sie jedenfalls weder von Griechenland, noch von Zypern, Luxemburg oder gar Malta zurückgezahlt werden.

Die Anhänger des AOK-Föderalismus für die EU – also in Deutschland das Linkskartell bestehend aus CDU/SPD sowie den Grünen, sogar beklatscht von FDP-Chef Lindner, in Frankreich die Pariser Eliten sowie die Südländer der Europäischen Union – haben auf ganzer Linie gesiegt. Proteste wird es nur bei denen geben, deren Rabatte nicht großzügig genug ausgefallen sind und die ihren Wählern daheim nicht glaubwürdig werden darlegen können, dass sie – und nur sie – einen Sieg für die Heimat errungen hätten.

Und schließlich: Die EU hat ihr Postulat auf Rechtsstaatlichkeit aufgegeben, um nicht die ungarische und polnische Regierung zu verärgern oder gar zu einem Veto zu verleiten. Gerade diese beiden Regierungen wollten zu keinem Zeitpunkt auf den Geldsegen aus Brüssel verzichten und waren sich sicher, dass die EU-Kommission auf ihre Rechtsstaatlichkeitspostulate nur verbal pochen werde. Dies ist der eigentlich ›historische‹ Kompromiss der Brüsseler Nächte: Die EU-Kommission besticht die renitenten Staaten mit viel Geld und gibt ihren Rechtsstaatlichkeitsanspruch preis.

Wie die EU-Oberen in Brüssel das Konzept der Wertegemeinschaft in der Praxis verstehen, wird an der Behandlung nicht nur von Ungarn sondern auch von Polen deutlich. Wusste doch die polnische Regierung nur zu gut, dass es weder die Europäische Kommission noch die in Brüssel versammelten Regierungs-Chefs in der gegenwärtigen Situation mit dem Insistieren auf Rechtsstaatlichkeit ernst meinen würden und daher allzu bereit waren, den Polen ihre Veto-Macht gegenüber dem Wiederaufbaufonds für einmalig hohe Fördergelder abzukaufen. Am Tage nach dem ›historischen Kompromiss‹ tönte der polnische Ministerpräsident Morawiecki triumphierend, nun breche für Polen ein goldenes Zeitalter an. Noch nie konnte sich ein EU-Land, gemessen an seiner Kaufkraft, über einen derartigen Geldsegen – zudem noch als Geschenk – freuen. 162 Mrd. Euro sollen Polen im Rahmen der ›Wiederaufbauhilfe‹ zufließen, obwohl es in Polen überhaupt nichts wiederaufzubauen gibt. Aber diese Summe verleiht den dortigen Machthabern die Möglichkeit, sich durch viele gute Wohltaten bei der Bevölkerung bestens in Erinnerung zu rufen und ihre Wiederwahl auf Dauer zu sichern.

Aus alledem wird deutlich, welcher Zynismus in der Europäischen Union mittlerweile herrscht. Die Hüterin der Verträge, die Europäische Kommission, geführt von der Deutschen von der Leyen, pfeift auf die Rechtsstaatlichkeit, wenn es ihr nur gelingt, die Polen zur Zustimmung, zum Verzicht auf nationaldemokratische Budgetprärogative zu bewegen. Und die polnische Regierung gibt die Fiskaldemokratie gern preis, wenn es darum geht, über einmalig große Subventionsvolumina nahezu rechenschaftslos entscheiden zu können.

Nur der Geldsegen von mehr als 200 Mrd. Euro, der Italien erreichen soll – auch um Corona-Wiederaufbauhilfe zu leisten – übertrifft die Großzügigkeit gegenüber Polen in nomineller Hinsicht. Natürlich rühmen sich alle italienischen Politiker dieses großen Erfolges.

So hat das Prinzip Bestechung und Erpressung über den Wert der Rechtsstaatlichkeit endgültig gesiegt. Die EU unter Ursula von der Leyen hat den letzten Rest von rechtsstaatlicher Glaubwürdigkeit verloren.

Darüber hinaus hat sich die EU finanzwirtschaftlich höchst dubiosen Finanzierungsmethoden geöffnet und all dies geschieht im Windschatten eines heiteren Sommerlochs. Unter dem Motto: Man darf nicht nur keine Krise ungenutzt lassen, sondern muss auch die öffentliche Unaufmerksamkeit zu Beginn der Sommerpause nutzen, um den radikalen Umbau der EU und ihre unaufhaltsame Zerstörung den Bürgern Europas als einen historischen Durchbruch zu verkaufen.

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