von Herbert Ammon

Ginge es nach den in Umfragen befragten Deutschen, so stünde das Ergebnis der amerikanischen Präsidentschaftswahlen eindeutig fest. Fast alle – ausgenommen die AfD-Anhänger – und erst recht alle Medien verabscheuen den vulgären Rüpel Trump und freuen sich auf das Parteitagsspektakel der Demokraten in Chicago, wo die Delegierten die elektronisch mit 99 Prozent (!) der eingetragenen Demokraten bereits gewählte, stets fröhlich lachende Kamala Harris als kommende Präsidentin der USA feiern werden. Nun hat sie – auf Rat der Strippenzieher und Wahlstrategen der Dems – Tim Walz, den als bodenständig gerühmten Gouverneur von Minnesota, als ihren Vizepräsidenten erkoren.

Die deutsche Wunschvorstellung entspringt weitgehender Unkenntnis der innenpolitischen Verhältnisse der westlichen Hegemonialmacht. Der in Umfragen ermittelte Sympathienzuwachs für Harris auf Kosten des bis zum Rückzug Bidens bestehenden Vorsprungs Trumps ist vorerst kaum mehr als ein Indiz für die Ungewissheit des Wahlausgangs am 5. November. Dieser hängt von schwer kalkulierbaren Faktoren ab. Die Entscheidung fällt in den battleground oder swing states, wo die knappe Mehrheit der Stimmen über die Anzahl der Wahlleute im Wahlkollegium (electoral college) bestimmt. Bei der gegen Biden verlorenen Wahl fehlten Trump in Georgia 12 000 Stimmen, die ›zu finden‹ er – vergeblich – per Anruf dem als oberster Wahlaufseher fungierenden Parteifreund Brad Raffensberger nahelegte. Der Anruf trug ihm anno 2021 eine – folgenlose Anklage – wegen versuchter Wahlfälschung ein.

Georgia mit seinem erheblichen schwarzen Bevölkerungsanteil gehört auch im Herbst 2024 – zusammen mit North Carolina, Pennsylvania, Michigan, Wisconsin, Nevada und Arizona – zu den Bundesstaaten mit ungewissen Mehrheiten. Auf die von der Deindustrialiierung betroffenen Staaten und die von Trump mit provokativ populistischer Rhetorik angesprochene Arbeiterschicht in den mittelwestlichen Staaten Wisconsin und Michigan, sowie auf die Frauen in suburbia zielt Harris´ Nominierung des – von Trump und Vance als ›linksextrem‹ attackierten – Gouverneurs Tim Walz.

In allen anderen Staaten sind die Ergebnisse vorhersehbar: Die meisten Staaten an der Ostküste und die gesamte Westküste sind ›blau‹, d.h. sie fallen an die Demokraten und Kamala Harris, das Herzland dazwischen – von den ›Eliten‹ als ›fly-over country‹ verspottet – wählt mehrheitlich ›rot‹, sprich: republikanisch. In nahezu allen Staaten, erst recht in den umkämpften Wechselstaaten, gilt als Muster: die Großstädte sowie die Städte mit akademisch anspruchsvolleren Universitäten – Hochburgen der ›liberals‹ – wählen ›blau‹. Die Republikaner haben ihre amerikanisch-konservative Wählerbasis auf dem flachen Land. Als harter Kern der Trumpisten gelten die weißen ›evangelikalen‹ Christen, in den Großstädten oft lose organisiert in den Megachurches. Immerhin kann Trump – ungeachtet seiner Polemik gegen alle Übel der illegalen Einwanderung – auch auf einen gewissen Stimmenanteil aus der mehrheitlich katholischen, aber teilweise evangelikalen Latino-Bevölkerung rechnen. Anders steht es mit der schwarzen Wählergruppe, die – ungeachtet der Rolle des schwarzen Senators von South Carolina Tim Scott – vermutlich fast geschlossen für ›die erste schwarze Frau im Weißen Haus‹ Kamala Harris stimmen dürften.

Nicht überzubewerten sind die gigantischen Summen, die bis zu den Wahlen als Spenden in die Kriegskassen der Kandidaten geflossen sind. Ein wesentlicher Faktor wird die von der konfrontativen Wahlkampagne der beiden Lager beeinflusste Höhe der Wahlbeteiligung sein. Sodann kommt die Mobilisierung der Emotionen – per TV und social media – ins Spiel. Wie kommen Trumps Attacken auf die ›Linken‹, die liberals, die fake news verbreitenden Medien, nicht zuletzt seine persönlichen Invektiven auf Harris und Walz, außerhalb seiner Klientel ohne College-Abschluss an? Unklar bleibt, ob gemäßigte Republikaner und Vertreter des alten Establishments der GOP ihrer Partei verpflichtet bleiben oder die im Wahlkampf als gemäßigt progressiv auftretende Harris gegenüber den aggressiv daherkommenden Exzentrikern Trump und Vance vorziehen.

Die für ›uns Europäer‹ wichtigen Zukunftsfragen werden im US-Wahlkampf keine zentrale Rolle spielen. Harris mag sich als Verteidigerin der Freiheit der Ukraine präsentieren, Trump als künftiger Dealmaker mit Putin sowie als Friedensbringer in Nahost (vorausgesetzt, dass es im Kriegs-und Krisenensemble Gaza-Libanon-Teheran nicht zum schlimmsten Eklat kommt). Die zwei wichtigsten Kontroversthemen werden seitens Trump die Einwanderung und seitens Harris die Abtreibung sein. Dazu wird nach bekanntem Muster die Vita der beiden Kontrahenten aufgeblättert und viel schmutzige Wäsche gewaschen – für den Beobachter kein erfreuliches Schauspiel.

Zum Schluss eine persönliche Stellungnahme: Ich kann mich für keinen der beiden Kandidaten erwärmen. Ich habe jedoch das Gefühl, dass wir am Ende des Wahltheaters – in der Bedrängnis eines zweifach geführten Kalten Krieges – eine Kamala Harris anstelle eines Donald Trump an der Spitze der westlichen Wertewelt erleben werden. Das wird nach den mutmaßlich Entsetzen hervorrufenden Landtagswahlen in den drei ›ostdeutschen‹ Bundesländern vor allem ›uns Deutsche‹ – das neue ›Wir‹ unseres Bundespräsidenten – erfreuen.

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