von Wolfgang Schütze
Angela Merkel hat die Faxen dicke: Schluss jetzt mit den Extrawürsten der Länder und Kommunen bei Maßnahmen gegen das Coronavirus! Hinweg mit der Ministerpräsidentenkonferenz!
Als Quasi-Nebenregierung stand dieses Konstrukt ohnehin nicht so fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Erst wurde man sich dort stundenlang nicht einig, obendrein waren einige Teilnehmer recht unaufmerksam, um kurze Zeit nach einer dann doch mitten in der Nacht verkündeten Rettung Deutschlands wieder auszuscheren aus dem Kampfbund und sogar böse Widerworte zu spreaden, äähhh zu versprühen.
Die Kanzlerin cancelte also die schon anberaumten Konferenzen mit den Länderchefs, was besonders den linken Ministerpräsidenten Thüringens erboste. Dass ausgerechnet Bodo Ramelow, der zwischendurch mit Herumdaddeln auffiel, was zwar seinem Level half, aber die ›pandemische Lage von nationaler Tragweite‹ nicht entscheidend besserte, dass ausgerechnet also der Vorsteher einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung von CDU-Gnaden aufbegehrte, zeigt nur, dass der karnevalserprobte Mann durchaus Pointen zu setzen weiß.
Die Enttäuschung bis zu seinem nächsten Meinungswechsel hätte er sich allerdings sparen können, denn hatte ›Mutti‹ nicht mehrfach gewarnt, zuletzt bei ihrer Freundin im Fernsehen, dass sie nicht länger zuschauen würde, wenn die Rüpel und Rüpelinnen in den Ländern das beste Deutschland, wo man gut und gerne lebt, kaputt schwätzten. Selber schuld, wenn jetzt die Notbremse kommt.
Fortan soll gemacht werden, was die Kanzlerin und ihre auserwählten Berater sagen. Ob nur für wenige Monate bis September, wir werden es schon sehen. Denn in die Gilde der Getreuen hat sich Norbert Röttgen wieder eingereiht. Vorbei der Gram, dass die Kanzlerin ihren ›Klügsten‹ einst als Umweltminister gefeuert hatte und er kürzlich auch im Rennen um den Parteivorsitz der CDU als erster verlor. Ein Röttgen gibt nicht auf, und so versucht sich der Außenpolitiker nunmehr auch auf das innerhäusige Stimmensammeln. 245 Frauen und Männer zählt die Bundestagsfraktion der Union. Rund 100 bekamen dieser Tage einen Brief. Darin werben Röttgen und weitere Ideengeber um Unterstützung für einen Gesetzentwurf, der letztlich sichern soll, dass die Bundesregierung die von ihr für richtig gehaltenen Maßnahmen fortan bis in die hinterste Kommune durchsetzen kann, ungeachtet aller Einwände von Ländern und Kommunen. Ruhe jetzt!
Dass nicht alle Unionsfraktionsmitglieder angeschrieben wurden, lässt den Schluss zu, dass nicht mal die Initiatoren selbst davon ausgehen, dass sie alle Abgeordnete von CDU/CSU hinter Merkel versammeln können. Auch hier zeigt sich, wie gespalten die Fraktion ist und wie Herr Röttgen samt Konsorten sie weiter spalten. Aber halten die rund 100 Unionisten die Stange, reicht dies wohl, um dem Entwurf eine Mehrheit im Bundestag zu verschaffen. Schließlich stehen mindestens die Grünen bereit, mit ihren 67 Stimmen auszuhelfen. (Und nach dem September eine Gegenleistung der Union einzufordern.)
Man kann nur hoffen, dass beim Entscheid im Reichstag namentliche Abstimmung beantragt wird. Dann wissen die Bürger wenigstens, wer jene waren, die die schwarz-rote Bundesregierung ermächtigt haben, dass künftig durchregiert wird. Und dies eben nicht auf dem nachvollziehbaren Grundsatz, dem Kaiser zu geben, was des Kaisers ist, also den Bund in seinen Kompetenzen zu respektieren, sich aber jeder unangemessenen, unbegründeten Überschreitung, jeder Anmaßung zu verweigern.
Nein, die sogenannte Notbremse basiert auf wackligen Zahlen und/oder willkürlichen Einschätzungen. Erst war es das ›exponentielle Wachstum‹ der Infektionen, das gebrochen werden sollte. Das wurde abgelöst durch den ›R-Wert‹, der unter 1 liegen musste, auf dass die Ansteckung zurückgehe. Schließlich kam der ›Inzidenzwert‹ der 7-Tage-Ansteckungsbilanz zur Blüte, der zunächst unter 35 und mittlerweile unter 100 liegen soll, um weitere drastische Eingriffe in die Grundrechte der Menschen zu erübrigen. Warum darf es nicht etwas mehr sein? 150 vielleicht? Weil dann das Gesundheitssystem überlastet wird?
Ämter, die noch mit Strichlisten dem Virus hinterherhecheln, haben – Inzidenz hin, Inzidenz her – sowieso keine Chance, die Gesundheit zu schützen. An eine zeitweilige, kontrollierte Einschränkung des Datenschutzes, die beim Öffnen von Kultur- und Sporteinrichtungen helfen würde, traut sich die Bundesregierung allerdings nicht heran. Nicht mal bei Leuten, die millionenfach bereitwilligst und weitgehend sorglos ihre Daten an soziale Medien und online-Lieferdienste ›verklickern.‹
Nach wie vor wird in der Politik und in den meisten Medien die Zahl der Infektionen als alleiniger Maßstab gesehen. Die Zahl der wirklich Erkrankten, die Zahl der nach Corona wieder Genesenen erhält weit weniger Aufmerksamkeit. Auch dass meistens unobduziert bleibt, ob jemand nun an oder mit Corona gestorben ist, regt nur einige Pathologen, aber kaum Politiker auf. Lediglich schulterzuckend wird zur Kenntnis genommen, dass die meisten Corona-Toten in Alten- und Pflegeheimen zu verzeichnen sind, und eben nicht bei Kindern und Jugendlichen, und dass dennoch in Deutschland die sogenannte Übersterblichkeit innerhalb der statistischen Schwankungen der Jahre geblieben ist. Hauptsache, Hysterie und die Panikmache gehen weiter.
Merkels ›Notbremse‹ löst nicht das Problem, dass die für Gesundheitspolitik zuständigen Länder zugelassen oder gar forciert haben, dass Krankenhäuser geschlossen, Intensivstationen ausgedünnt wurden. Der Gesetzentwurf hilft nicht dabei, den Lohn von medizinischem Personal, insbesondere von Krankenschwestern und Pflegepersonal, aufzubessern. Er trägt nicht dazu bei, dass Alte und Kranke in Heimen besser geschützt werden, sondern will ihnen erneut die lebenswichtigen Kontakte wegsperren. Das Gesetzesvorhaben mindert nicht die wirtschaftlichen Schäden, die Gastronomen, Hoteliers und Touristiker erleiden.
Dem Wirrwarr um Verfügbarkeit und Sinn von Gesichtsmasken folgte im vorigen Jahr ein erster Lockdown. Die Beeinträchtigung der Gesellschaft war bereits verheerend, aber wirklich geholfen hat es gegen die Seuche nicht. Nun soll gegebenenfalls ein weiterer Lockdown dem Virus und seinen Mutanten den Garaus machen. Das ist der Versuch, von einer Arznei, die sich als unwirksam erwiesen hat, die doppelte und dreifachen Dosis anzuwenden. Und wenn die Delinquenten das nicht tun, sind sie selbst schuld an ihrem Schicksal, nicht die vormundschaftliche Regierung. Hätten sie sich mal anders verhalten, diese Verhaltensgestörten.
Ob die Bundesländer sich entmachten und so austricksen lassen, dass sie womöglich gar nicht im Bundesrat über das neue Gesetz abstimmen dürfen, ist umstritten. Es wäre allerdings schon eine Groteske, sollten gerade die ›Anti-Föderalisten‹ in der Union und in den anderen Parteien vor der Bundestagswahl auf den jeweiligen Landeslisten untergebracht werden, um nach dem September wieder – gut bezahlt, trocken, sicher und warm – antiföderale Politik in Deutschland machen zu können.
Merkels ›Notbremse‹ riecht streng nach demokratischem Zentralismus. Es wäre nicht der erste Versuch in Deutschland, Untertanen zu ihrem Glück zu zwingen. Die Kanzlerin will sich zum Ende ihrer überlangen Amtszeit nicht zitternd und zagend, sondern machtvoll zeigen. Doch halt, vielleicht ist ihr Amtsverzicht gar nicht von Dauer. Vielleicht schreibt Norbert Röttgen ja bald noch einen Brief und bittet die liebe Angela, doch noch mal anzutreten. Weil die beiden Typen, gegen die er verlor, es ja nicht können.
Rache ist Blutwurst, sagt der Volksmund. Und spekulieren wird man ja wohl noch dürfen, oder?