von Johannes R. Kandel
Dieses Buch kommt zur rechten Zeit, weil es sachlich, gleichwohl zugespitzt, den zurzeit grassierenden und in den Rang unbezweifelbarer Wahrheit gerückten ›Antirassismus‹ einer schneidenden Kritik unterzieht. Nach dem gewaltsamen Tod des farbigen US-Amerikaners George Floyd rollten turmhohe Wellen eines Antirassismus-Tsunami über die USA und Europa. Hunderttausende demonstrierten. Antirassisten aller Länder vereinigt Euch! Die trägen und ignoranten Zeitgenossen sollten drastisch aus dem Schlaf der Sicherheit mit dem Alarmruf: Rassisten ante portas! geweckt werden. Gerade noch schien die Debatte um die Existenz, bzw. Nichtexistenz von Rassen zugunsten der Rassenleugner entschieden zu sein, da erhob doch plötzlich wieder der unheilspeiende Drache des ›Rassismus‹ sein Haupt. Die ›Rassenfrage‹ war wohl doch nicht ad acta gelegt. Pascal Bruckner, renommierter Essayist und Romancier, seit langem Pfahl im Fleisch der postmodernen Linken, merkt sarkastisch an: »Alles ist rassistisch geworden, die Kulturen, die Religionen, die Gemeinschaften, die sexuellen Vorlieben, das Denken, die Essgewohnheiten« (S. 17).
Neu ist das nicht, aber das Ausmaß des ›Alltagsrassismus‹ hat nach Auffassung der selbsternannten ›Antirassisten‹ eine neue Qualität erreicht. Bruckner vermutet hier eine uferlose, ideologisch-interessengeleitete, Ausweitung des Rassismus-Begriffes. Immer neue Formen von ›Rassismus‹ werden erfunden, um auf dem Markt der vermeintlichen Rassismus-Opfer erfolgreich um »maximale Aufmerksamkeit und Reparationen« zu konkurrieren (S.25) und den ›antirassistischen‹ Lobbyorganisationen fette Pfründe zu sichern. Besonders wirkungsvoll ist es, wenn sich Muslime als Opfer grassierender ›Islamophobie‹ darstellen und den Schutz des Staates zur Verteidigung ihrer religiösen und kulturellen ›Andersartigkeit‹ verlangen. Hier wird vom demokratischen Staat, der der Freiheit und Gleichheit aller Bürger verpflichtet ist, eine religiös-kulturelle und ethnozentrische Identitätspolitik gefordert, die im Ergebnis Minderheiten Sonderrechte verschaffen und Parallelgesellschaften begünstigen wird. »Diversität als allerhöchstes Gut zu feiern, kann in keinem Falle die Grundlage einer Gesellschaft sein« (S. 29). Islamische Lobbyorganisationen betreiben – von der nationalen Ebene bis zur UNO – eine aggressive Einflusspolitik, die den Islam vor jeglicher Kritik schützen soll.
Kritik am Islam, gleichgültig auf welchen Sachverhalt sie sich richtet und in welcher Form sie vorgetragen wird, muss nicht nur um jeden Preis verhindert, sondern soll zu einem international anerkannten Straftatbestand erhoben werden (Blasphemie). Die wenigen ›liberalen‹ reformorientierten Muslime sind ein besonderes Hassobjekt der Gralshüter der Scharia. Sie werden mit Anklagen, Schmähungen, Verfemungen und nicht zuletzt Todesdrohungen überzogen. Das widerwärtige Todesurteil des Ayatollah Khomeini gegen den Schriftsteller Salman Rushdie (»Satanische Verse«) vom 13. Februar 1989 hat bis heute Bestand und der ausgelobte ›Kopfpreis‹ ist von ursprünglich 3 Millionen Dollar auf 3,6 Millionen angehoben worden. Zahllose verbale Attacken und massive Bedrohungen mussten auch bekannte KritikerInnen wie Ayaan Hirsi Ali, Taslima Nasreen, Irshad Manji, Chahdort Djavann, Malik Sorel, Dounia Bouzar, Kamel Daoud, Waleed Al-Husseini, Boalem Sansal u.a über sich ergehen lassen. Bemerkenswert ist dabei, dass zahlreiche linke Intellektuelle Partei ergreifen, aber nicht für ihre bedrängten Fachkollegen, die dagegen als »einheimische Hilfstruppen für den Kolonialismus« (S. 34) diffamiert werden, sondern für die von diesen vermeintlich beleidigten und unterdrückten Muslime: Ihnen bringt man größtes Verständnis entgegen. Das scheint in Frankreich noch ausgeprägter zu sein als hierzulande (Ausführlich beschrieben von dem Pionier des ARD-Studios Algier Samuel Schirmbeck, »Gefährliche Toleranz. Der fatale Umgang der Linken mit dem Islam«, 2018). Muslimen wird ein Kulturbonus gutgeschrieben, der z.B. auch Vergewaltigung entschuldigt. So verstieg sich der Soziologe Éric Fassin dazu, die sexuellen Übergriffe von Männern maghrebinischer Herkunft in der Kölner Silvesternacht damit zu rechtfertigen, dass die Straftaten nicht aufgrund der Religion begangen wurden. Fassin wörtlich:
Mit diesem unüberbietbaren, frauenverachtenden Zynismus adelt Fassin Vergewaltigungen als ein politisches Element antikolonialistischen Kampfes! Die Opfer sind ja ›nur‹ weisse deutsche Frauen! Und die NGO »Osez le feminisme« (Wagt den Feminismus) relativierte die Kölner Ereignisse, indem man sich nicht um die Opfer der Übergriffe sorgte, sondern »jegliche rassistische Besetzung und Instrumentalisierung dieses Themas« verurteilte (S. 61). Der Schulterschluss von Linken mit Muslimen, so das Fazit von Bruckner, führe zu »einer regelrechten Hexenjagd, die die Fundamentalisten und ihre ›marxistischen‹ Verbündeten angestachelt haben, die ein Bündnis eingegangen sind, um den Islam vor Veränderungen und Abspaltungen zu bewahren« (S.34). Der Islam wird zur Tabuzone erklärt, während andere Religionen ohne weiteres geschmäht und beleidigt werden dürfen, ohne dass sich jemand aufregt. Diesen höchst befremdliche Artenschutz des Islam und die fortschreitende Verharmlosung menschenrechtsfeindlicher religiös-kultureller Doktrinen und Praktiken (Geschlechtertrennung, Bekleidungsvorschriften) belegt Bruckner mit zahlreichen Beispielen und bemüht sich um einige Erklärungen. Es begann mit dem Orientalisten Louis Massignon, der den Islam als »revolutionäre Kraft« gegen Entchristianisierung und Atheismus entdeckte, fortgesetzt Jahrzehnte später von postmodernen Linken, in Sonderheit radikalen Feministinnen. Der Islam sei »ein Substrat für den sterbenden Marxismus und die darniederliegende Dritte-Welt-Ideologie« (S. 41) geworden, d.h. er bewahre in religiöser Form deren »progressiven« Elemente, wie der Philosoph Pierre Tevanian den Muslimen bescheinigt. Die »Weißen« dagegen seien dagegen alles »Rassisten« (S. 41). Wohlwollend erinnerten die Hohepriester der Postmoderne, Michel Foucault und Jean Baudrillard an die iranische Revolution von 1979 und verklärten den »theokratische(n) Henker« Ayatollah Khomeini fast zum Heiligen (S. 56). Es hat sich eine ›Entschuldungskultur‹ verbreitet, welche die Opfer-Täter Relation in ihr Gegenteil verkehrt. Der Täter ist das Opfer! Mit ermüdender Gleichförmigkeit wird in einer Attitüde des Selbsthasses auf die französische Kolonialgeschichte verwiesen, was belegen soll, dass der wahre Schuldige schon immer der weisse Mann war, verantwortlich für Kapitalismus, Imperialismus und Rassismus, ja letzten Endes »für alles Elend auf dieser Erde« (S. 76). Muslime sind immer die Opfer, weshalb die radikale Linke mit den Islamisten paktiert:
Ein ganz trübes Kapitel ist die Parallelisierung, ja bisweilen Gleichsetzung, des Antisemitismus mit dem pathologisierenden Kampfbegriff ›Islamophobie‹. Auf dem Markt der Opferkonkurrenz (›Viktimismus‹) mühen sich vor allem Vertreter des politischen Islam um eine Äquivalenz von Judenfeindschaft und Islamophobie. Nach dem Ende des Holocaust wollen sie »Ersatzjuden« sein, die den Juden das »Monopol… auf das Unglück« (S. 89) und das »Privileg der Vernichtung« (S.94) streitig machen. Sie streben nach dem »Status des Ausgestoßenen…um die Verteidigung des Islam mit dem Kampf gegen den Nazismus zusammenzubringen« (S. 92). Doch wie verträgt sich das mit der hasserfüllten Israel-Feindschaft in der islamischen Welt und in muslimischen communities in Europa? Bruckner verweist hier auf einen fatalen Mechanismus: Mit der Gründung des Staates Israel ist aus dem gestern noch jüdischen ›Untermenschen‹, der von der christlich-europäischen und islamischen Judenfeindschaft gleichermaßen verfolgt wurde, heute ein ›Gleicher‹ geworden. Das ist für Muslime unerträglich. Aber mehr noch: Nicht nur ein ›Gleicher‹, sondern ein ›Verfolger‹ der Araber, nicht besser als die Nazis! So kann der Holocaust relativiert und das Elend des palästinensisches Volkes auf die gleiche Stufe gestellt werden. Der Jude wird zum »weissen Juden« (S. 99ff.) und verkörpert gewissermaßen zwei hassenswerte biologisch determinierte Eigenschaften: Jude und Weißer! Gegen diese muss gekämpft werden. Das geschieht unter dem Deckmantel des ›Antizionismus‹, denn der »Antizionismus gilt als … der gerechtfertigte Antisemitismus… Er ist die Erlaubnis demokratischer Antisemit zu sein« (S.105). Dazu kommt der Kampf gegen die ›Weißen«, die Urheber des Elends der ganzen Welt. Islamophobie wird zu einem »globalen Rassismus« , ja zu einem »kosmischen Prinzip« stilisiert (S. 112). Ein Professor der Anthropologie sah sogar den Klimawandel durch Islamophobie beschleunigt!
Wer wie wir ›Ungläubigen‹ Kritik übt und Vorbehalte gegenüber dem Islam äußert, sei es im Blick auf dunkle Seiten in seiner Vergangenheit (z.B. Sklavenhandel) oder aktuelle mit universalen Menschenrechten inkompatible Aktionen, wird sofort der ›Diskriminierung‹ und des ›Rassismus‹ verdächtigt. Das ist die »Kriminalisierung des Vorbehalts« (S. 117ff.), die jedwede Kritik zu ersticken droht und vorauseilende Unterwerfung (Houllebecq) begünstigt. Die fortschreitende Aufwertung von ethnischen und religiös-kulturellen Minderheiten im Namen von Minderheiten-Gerechtigkeit und ›Antirassismus‹ hat inzwischen zur Dominanz eines normativen Multikulturalismus geführt, der identitäre Zwangskollektive geschaffen hat. Damit es kein Ausbrechen aus dieser »identitären Gefangenschaft auf Lebenszeit« (S. 133) gibt, sorgt die »Polizei der Marginalisierten« (S. 134) für politisch korrektes Verhalten, d.h. im Blick auf den Islam für die Implementation islamischen Rechts. Sie wird dabei mehr oder weniger offen von zahlreichen Intellektuellen flankiert, die im Namen des ›Antirassismus‹ für eine Täter- Opfer-Umkehr sorgen (z.B. Charles Taylor, John Le Carré, Étienne Balibar, Edgar Morin u.a.), teils aus Überzeugung teils aus nackter Angst: „
Wie viele andere Intellektuelle ist Bruckner davon überzeugt, dass der Multikulturalismus endgültig gescheitert ist und er sagt es seit langem offen und unverblümt:
Man will ihm seine starken Worte gegen Islamisten und Dschihadisten glauben, jene »unordentlichen Nazis«, »Söldner des Todes« und »Zombies ohne Gesetz« (S.149).
Doch was ist zu tun? Bruckners Hinweise sind nicht neu, müssen aber immer wieder unterstrichen werden. Vor die Alternative ›Widerstand oder Buße‹ gestellt, im Klartext: Unterwerfung, gilt es, die Freiheit, die Demokratie und den laizistischen Rechtsstaat zu verteidigen. Das ist grundsätzlich nicht verhandelbar. Die Religion soll und muss zur ›Privatsache‹ werden! Das ist die typische Forderung eines entschiedenen französischen Laizisten, der auf das Staatsgesetz von 1905 pocht. Bekanntlich haben die Mütter und Väter unseres Grundgesetzes das Staat – Religion Verhältnis erheblich religionsfreundlicher gestaltet (Art. 4 GG, Art. 140 i.V.m Art. 136, 137, 138, 139 und 141 der Weimarer Reichsverfassung von 1919), worüber aber bis heute kontrovers diskutiert wird. Vor allem bereitet die Frage Kopfzerbrechen, wie eine Religion, die keine Trennung zwischen Religion und Politik, Religion und Staat akzeptiert, in dieses System ›integriert‹ werden kann. Möglicherweise geht das gar nicht, aber das ist ja nicht Bruckners Sorge. Immerhin hält er es für nicht ausgeschlossen, dass sich der Islam auf die Dauer ›europäisieren‹ und ›mäßigen‹ kann, nicht zuletzt durch die Akzeptanz seiner inneren Diversität. Er empfiehlt uns die Aufgabe unseres ›Selbsthasses‹, der sich in ›Buße‹ und Unterwerfungsgesten ausdrückt und die selbstbewusste Verteidigung unserer Grundwerte, vor allem auf dem ›Schlachtfeld‹ der Kultur:
Es wäre zu wünschen, dass Bruckner Recht behält.