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Von Paul Mersmann der Jüngere - Grabbeau. Museum im Netz http://www.grabbeau.de, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11186370

Als wir vor Jahr und Tag die Arbeiten des Paul Mersmann zu entdecken begannen (es waren nicht zwölf an der Zahl und etliche waren nichts weniger als herkulisch, andere dagegen unbedingt), da wussten wir nicht, auf welche Schätze wir stoßen sollten, wir ahnten es nicht einmal. Sie ruhten gut verwahrt in privaten Sammlungen, in Villen, aber auch an öffentlichen Orten, darunter so belebten wie dem Wiesbadener Bahnhofsvorplatz oder einer Marburger Mensa. Nein, sie erweckten nicht den Eindruck, als habe sie niemand bemerkt. Eher wirkten sie, als habe es niemand für nötig befunden, eigens auf sie hinzuweisen, da sie so vollständig für sich selbst sprechen, dass sich die Aufgabe eigentlich von selbst erledigt. Andererseits hatten wir nicht den Eindruck, zu früh zu kommen: schon haben sich erste Spuren der Ignoranz auf sie gelegt, Vorboten der Zerstörung durch Achtlosigkeit, möglich gemacht durch eine unfassbare Gleichgültigkeit der Kunstwelt und – inzwischen muss man auch das sagen – der Kunstwissenschaft, die lieber den Rosenkranz stattgehabter Erfolge herunterbetet, als dass sie sich zu Urteilen über die zeitgenössische Kunst herausfordern ließe.

Heute wird Paul Mersmann achtzig. An ihm haben sich vermutlich mehr Zeitgenossen blamiert als an irgendeinem sogenannten Verkannten. Paul Mersmann wurde nicht verkannt, er wurde auch von niemandem abgelehnt, er wurde einfach nicht beachtet. Wer immer seine Werke heute zu sehen bekommt, ist entzückt. Dieses sich schneeballartig ausbreitende Entzücken bildet das eigentlich Erstaunliche seiner Wirkung. Man fühlt sich unwillkürlich an das biblische Gleichnis vom Hochzeitsmahl erinnert, an die Liste gleichgültiger und abweisender Geladener, die vergessen sind, sobald sich der Raum mit den wirklichen Gästen füllt. Fragt man, wer diese Gäste sind, so stößt man auf keinen Trend, keine Schule, auch kein Geschäftsmodell; eher sind es Jahrgänge, darunter erstaunlich junge, es kommt einem vor, als fiele es den Leuten wie Schuppen von den Augen.

Von Mersmanns Œuvre gilt vor allem eins: es wird nicht langweilig. Es ist vielgestaltig und auf eine sanfte Art rebellisch. Man könnte diesen schreibenden Maler einen Homme de lettres nennen, wüsste man nicht, dass dem Begriff im Deutschen etwas notorisch Lächerliches anhaftet. Nun haftet dem deutschen Kunstbetrieb selbst etwas Lächerliches an, etwas gleichermaßen Snobistisches wie Halbstarkes, etwas Ideologisches, Geredehaftes und, um genau zu sein, Kunstfernes. Man lässt sich gern zum Anblick einer Kunst bekehren, die ihm praktisch nichts verdankt. Doch natürlich ist auch Mersmann ein Geschöpf seiner Zeit, hervorgegangen aus einer Trümmerwelt, die mehr umfasste als die Reste des sogenannten Dritten Reiches – ein Erbe mit leeren Händen. Was aus diesen Händen kam, wirkt von den Anfängen bis heute erdacht, um nicht zu sagen ersonnen, es folgt keinen Trends, es sei denn, um sie zu kommentieren. Vielleicht schreibt sich davon die stille, aber spürbare Wahlverwandtschaft mit Kafka her, den er gelegentlich einen Tröster nennt.

Thomas Körners Brief an den Direktor des Naturtheaters von Oklahoma spielt auf eine Episode aus Kafkas Romanfragment Amerika an, die dort ebenfalls Fragment bleibt. Dem Leser bleibt zu hoffen, dass das übersandte Stück aus der Feder K.s irgendwann seine Aufführung findet: »Da im Vertrag der Aufführungstermin nicht genannt ist – ich lege auch nicht den geringsten Wert darauf, daß es geschieht – da ich aber natürlich sehr gerne wüßte, wann Sie das Stück aufzuführen beabsichtigen, bitte ich Sie so freundlich zu sein, und es mir bei Gelegenheit zu schreiben.«

Wer ist dieser Homomaris? Die Frage wird ein paar Leute noch eine Weile begleiten.

Peter Brandt
Doro Breger
Steffen Dietzsch
Reinhard Düßel
Karin Körner
Thomas Körner
Gabi Rüth
Walter Rüth
Monika Schmitz-Emans
Ulrich Schödlbauer
Laura Solbach
Renate Solbach