von Ulrich Schödlbauer

1.

Die DDR ist in der Bundesrepublik Deutschland aufgegangen – die staatsrechtliche Formel suggeriert, neben dem Verschwinden, das Bild der aufgegangenen Saat: kein ganz beruhigendes Bild, wenn man, wie der Westteil des Landes in seiner überwältigenden Mehrheit, der Ostteil in seiner weit überwiegenden Mehrheit, von der Überlegenheit des westlichen Staats- und Gesellschaftskonzepts durchdrungen ist und kein Bedürfnis danach verspürt, von den Beharrungskräften jenes entsorgten Systems eingeholt zu werden. Wo Devotionalien kursieren, blüht Devotion.

Dem letzten Präsidenten Gauck war es vorbehalten, diese tiefsitzende Aversion dem Arsenal demokratischer Herrschaftsmittel einzuverleiben, als er mit einem Streich Hell- und Dunkeldeutschland voneinander schied und damit die biblische Schöpfungsgeschichte auf aktuelle Verhältnisse umschrieb: Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis. Zu Recht, ließe sich argumentieren, denn das Licht ist der Feind der Finsternis. Das Licht leuchtet in der Finsternis, es leuchtet in sie hinein und treibt sie aus. Das Geschiedene ist der Feind des Ungeschiedenen. Scheidung ist gut. Murrendes Volk ist nicht gut. Es hat seine Lektion noch nicht begriffen. Wer noch immer nicht hören will … gehört ins Scheinwerferlicht. Dort will es in der Regel auch hin.

Vorwärts und nicht vergessen: Die Rede von den Errungenschaften ist kontaminiert, eine ausgewilderte Zauberformel, die dem Stand der politisch-gesellschaftlichen Dinge ein Glitzerkleid überzieht, als sei der Alltag der Menschen nicht die übliche Plackerei, sondern die auf Dauer gestellte Selbstfeier des historisch-dialektischen Bewusstseins, das zwar gelegentliche Rückschläge zu verzeichnen bereit ist, aber prinzipiell vom Vorgriff auf herrliche Zeiten lebt. Wer so weit kam, der wird die restliche Strecke auch noch schaffen, daran darf kein Zweifel aufkommen, denn ein solcher Zweifel wäre – Frevel.

Mit Frevlern redet man nicht, man bringt sie zur Strecke. Sie haben keine Probleme, sie machen welche. DDR-Veteranen war diese Praxis gleich wieder vertraut. Sie spitzten die Ohren und hörten die Signale: die einen, um sich zum unterschiedslosen ›Kampf gegen Rechts‹ zu formieren, die anderen, die glaubten, ihren Ohren nicht trauen zu dürfen – ist dies der Rechts- und Verfassungsstaat, in dem sie sich angekommen fühlten und dessen Garantien die freie politische Betätigung einschließt, sprich: das Recht auf Widerworte gegen die Politik der Regierung, auf einen eigenen Standpunkt, kurz: auf Opposition? Oho, erwidern an diesem Punkt die gelernten Westler: Opposition ja, Widerworte nein, jedenfalls keine, die sich als Opposition des Ostens gegen den Westen deuten lassen. Vom Westen lernen heißt gelebte Demokratie lernen. Was auch gelingt.

Die wichtigste Frage an die deutsche Politik lautet: Muss Politik schön sein? Unbedingt, lautet die Antwort des Zentrums für politische Schönheit, doch Praktiker der Macht wissen: Das gilt nur bedingt. Es ist schön, eine Währung in Not zu retten. Doch in der Praxis wachsen damit die Verbindlichkeiten. Es ist schön, die Grenzen für Bedürftige aller Art zu öffnen. Doch in der Praxis wächst damit die Mauer des Ressentiments. Es ist schön, den Unflat aus den sozialen Netzen zu verbannen. Doch in der Praxis verbietet man damit den Leuten das Maul. Es ist schön, das neue Europa zu wollen. Doch in der Praxis bringt man die existierenden Europäer gegen sich auf. Es ist schön, eine Wahl zu verlieren und gleichwohl an der Macht zu bleiben. Doch in der Praxis wird diese Macht schal. Es ist schön, gegen Rechts zu kämpfen. Doch in der Praxis subventioniert man damit die Rechte. Es ist schön, sich vom Willen zur Schönheit beseelen zu lassen. Doch in der Praxis verzerrt der Wille die edle Einfalt zur Kenntlichkeit.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Verschwinden jenes Staates wird die Republik von Phantomgedanken aus einer Phantomlandschaft eingeholt. War und ist der Westteil des Landes nicht nach wie vor weiter – ökonomisch, politisch, mental? War und ist er damit nicht die wahre Vorhut der Arbeiterklasse, die nun nicht mehr so heißt, sondern Das untere Drittel, die Abgehängten, die weniger gut Ausgebildeten, wie grundsatzbewegte SPDler sie beinahe unbekümmert benennen, der autoritätsgläubige und -hörige Teil der Bevölkerung, Denk- und Mahnmal jener autoritären Persönlichkeit, die Adorno einst im Exil für den Erfolg des Faschismus verantwortlich machte?

Das Volk, 1989 als Akteur und Parole der friedlichen Revolution (»Wir sind das Volk«) medial gehätschelt, 2015 als völkisch-faschistische Restgröße mit ungeliebter Parteipräferenz aus dem legitimen politischen Spektrum ausgegliedert: Das nennt man, unter Kennern der Dialektik, eine reife Leistung. Auf beiden Seiten.

Womöglich reicht das Problem der ›gefühlten DDR‹ tiefer.

2.

Der Dichter Thomas Körner hat einen Essay über die DDR geschrieben: Kleine Geschichte vom Paradies. Die gewählte Beschreibungssprache ist – horribile dictu – biologisch, kosmologisch, ironisch. Körner beschreibt nicht die Realien Planwirtschaft, Parteidiktatur, Stasi, Mauer und Schießbefehl, sondern die Entfaltungslogik eines skurrilen Kommunikationssystems. Das beschert ihm eine Art Innensicht abseits von Täter- und Opfergeschichte. Dem Leser erlaubt es, modellhaft ein paar Züge zu extrahieren – sie lassen erkennen, wie stark jenes System sich posthum in den gesellschaftlichen ›Diskurs‹ dieses Landes eingesenkt hat, um ihn, je nach Standort, zur Kenntlichkeit oder Unkenntlichkeit zu verändern. Wer immer öffentlich das Wort ergreift, muss wissen, was er da anfasst und wie es ihn verwandelt. Das gilt immer und überall, doch unter verschärften Bedingungen verschärft.

Wie jedes System definiert sich auch dieses durch seine Grenze:

Ganz allgemein ließ sich dieses soziale Gefäß auffassen als ein umgrenztes Geschlossenes in einer nichtbegrenzten Unabgeschlossenheit

– nach außen durch eine Art Wand, nach innen durch eine Art Membran umgrenzt, die zusammen größtmögliche Unverletzlichkeit verliehen.

Und tatsächlich erlaubten es die im Staatsgefäß sich organisierenden Strukturen den zellulären Vergleich mühelos auf die Spitze zu treiben. Die straff geführte Genossenschaft jener für das entstandene Gebilde Verantwortlichen plante die Zellarchitektur und gab sich selbst als Zytoskelett Halt und Stütze Die vielfach verknüpfte und verflochtene Zellgemeinschaft bildete ein netzartiges Geflecht von Beziehungen aus vergleichbar einem endoplasmatischen Reticulum Über jedermanns Sicherheit wachte als ein weiteres Membrangeflecht im Zytoplasma der Golgi-Apparat

So weit, so bekannt.

*

Den größten Teil des zur Verfügung stehenden Raumes allerdings nahm eine amöbenförmige Leerblase oder Vakuole ein welche Bezeichnung binnen kurzem auf das Gesamtgebilde Anwendung fand

Vakuolen, so sagt es das Biologie-Handbuch, sind Zellorganellen, dehnbar, man findet sie meist in Pflanzen- und Pilzzellen. Sie dienen als Speichermedium für Wasser sowie die darin gelösten Nährstoffe (lat. ›vacuus‹, Vakuum, leerer Raum). Nehmen wir sie (vorerst) als Analogie zur ›Filterblase‹, jenem paradoxen Produkt algorithmusgesteuerter Kommunikationsprozesse, deren Randlosigkeit vordem ungekannte Formen der Abschottung hervorgebracht hat.

Vertauschte man die biologische Betrachtungsweise mit der kosmologischen so erfüllte das neue Miniaturuniversum gleich zwei Bedingungen seiner Entstehung nicht

Entgegen dem von ihm selbst als solchem gesetzten Anfangszustand als einer Grenze der Vergangenheit über die hinaus sich die Entwicklung ins noch Frühere nicht zurückverfolgen ließ hatte es doch eine Vorgeschichte eine Vergangenheit vor dem Beginn

Bekanntlich kann die Entsorgung der Geschichte auf zweierlei Weise geschehen – durch Verschweigen und Mythenbildung. Generell gilt die Regel: Was sich nicht verschweigen lässt, das wird mythisiert, soll heißen, in handliche Formen gegossen, die dann, ohne Anstoß zu erregen, von Hand zu Hand, von Mund zu Mund, von Eintrag zu Eintrag wandern. Erleichtert wird das Verfahren durch die verbreitete Ansicht, Mythen seien mit Halb- und Dreiviertelwahrheiten verwobene Lügengespinste. Nichts falscher als das: moderne Mythen sind konditionierte Wahrheiten – Wahrheiten, die unter dem Lern- und Anpassungsdruck gegebener Verhältnisse eine gewisse Gestalt angenommen haben.

*

Und außerdem mißachtete es völlig seine Anfangsbedingung die eine Kein-Rand-Bedingung hätte sein müssen

Auf Grund der ihm daraufhin nicht mehr innewohnenden Kosmo – sondern Sozio- oder Ideo-Logik sollte die weitere Entwicklung seines Raumes in der Zeit gegen alle vier Dimensionen dieser Raumzeit verstoßen mit dem Erfolg daß die Vakuole zum satyrometaphorischen Abbild des utopischen Vorbildes mißriet

Die erste Anpassungsregel in einem geschlossenen Kommunikationsraum lautet: Vergiss, was du vorher gelernt hast! In einem neuen Universum – und dies hier ist ein neues Universum, eine neue Welt, eine neue Gesellschaft, eine neue Weise, die menschlichen Dinge zu ordnen, eine neue Weltordnung – gelten die alten Regeln nicht mehr. »Das ist altes Denken.« »Das ist neunzehntes Jahrhundert.« »Diese Vorstellung haben wir hinter uns.« Ein Gedanke ist nicht länger wahr oder falsch – er ist alt oder neu. Dabei ist jeder Gedanke alt und neu. Jeder Gedanke, ausgesprochen, niedergeschrieben, verbreitet, rezipiert, rubriziert ist alt, verglichen mit dem Gedanken, der gerade gedacht wird.

Generell gilt: Die Leute denken sich allerlei. Das ist, unter dem Gesichtspunkt der Meinungsführerschaft, nicht ganz zu unterdrücken. Wirkliche – strukturelle – Meinungsführerschaft wird nicht durch Unterdrückung errungen, sondern durch Gleichrichtung. Der große Gleichrichter ist das Tabu. »Wenn du das sagst, fällst du aus der Gemeinschaft.« ›Fällst‹? ›Fliegst‹? Wer sagt das? Ein Freund? Ein Nachbar? Das Kollektiv? Niemand? Wer ist niemand? Das Tabu erschafft Ränder – keine scharfen, der Logik oder dem Willen zu scharfen Unterscheidungen geschuldeten, sondern Unsicherheits- und Gefahrenzonen, die den Aufenthalt ungemütlich machen, bevor die Klappe fällt.

*

Zwar stellten sie mit jeder bauherrlichen Großtat ihr Unvermögen mehr unter Beweis aber das überraschte sie nicht

Die Ursachen dafür lagen zu tief wogen zu schwer und waren der eigentliche Widerstand mit dem sie gerechnet hatten und den sie durch den Neubau zu brechen hofften

Endlich Platz für ein neues Leben so hieß ihr altes Ziel

Neubau: dem entspräche, unter kommunikationstechnischen Gesichtspunkten, der flächendeckende Ausbau von Medien zum Zweck der Erschaffung einer künstlichen Tabula rasa, der Einklammerung all dessen, was es noch so gibt, ohne dass es den Sprung ins neue, ins repräsentative, ins reputationsverleihende Medium geschafft hätte. So ein Sprung kann daneben gehen, wie die Geschichte des Internet zeigt. Dann muss nachgebessert werden – das ewige Problem mit der Platte, die nicht dicht werden will. Medien produzieren Wirkungen, die sich nicht vollständig beherrschen lassen. Sie unterliegen einer eigenen Logik der Entfaltung und Wahrnehmung. Am Ende muss die gute alte Repression wieder her, heiße sie ›Netzwerkdurchsetzungsgesetz‹ oder wie auch immer.

Menschenketten gegen Bagger: In diesem Bild erstarrte die alte DDR.

Damals galt: Wer suchet, der findet. Heute gilt: Wer nicht sucht, wird auch gefunden.

*

Wenn es richtig ist unter einem Modell eine nachvollziehbare partielle Erklärung für Phänomene zu verstehen die zu komplex sind als daß sie in all ihren Aspekten erfasst werden könnten

Modelle schieben sich gleichsam zwischen die Phänomene und ihre Interpretation

Und wenn es zutrifft daß Modelle nicht universell sind sondern nur auf einer bestimmten Ebene und unter bestimmten Voraussetzungen gelten was nichts anderes heißt als daß Modelle hypothetischen Charakters sind keinen Anspruch auf Ausschließlichkeit erheben und mit anderen konkurrierenden Modellen leben können fruchtbar ist die Vielfalt der Modelle

Und wenn es nicht verkehrt ist einerseits in Modelle alles einzugeben was man beobachten oder messen kann und andererseits das gesamte theoretische Wissen welches im gegebenen Fall zur Verfügung steht

Modelle ersetzen die Theorie nicht stützen sich aber darauf

– Wenn all dies richtig ist (es ist der in den empirischen Wissenschaften kurrente Modellbegriff), dann zeigt das politische Schicksal z.B. von Klimamodellen, dass Wissenschaftsgläubigkeit und Wissenschaft zwar notwendig koexistieren, aber im Modus wechselseitiger Negation: Glauben ist definitiv nicht Wissen, Wissen nicht Glauben –

So erlaubt dies nur eine Schlußfolgerung

Diejenigen welche die Gesellschaft von Grund auf neu zu ordnen für ihren geschichtlichen Auftrag hielten verfügten über kein Modell das diesen Namen verdient hätte

Den unerschütterlichen Rückhalt für ihre angemaßte Autorität und die felsenfeste Überzeugung von ihrer Überlegenheit bezogen sie aus einem Standardmodell als einem Vorbild oder Modell von einem Modell

Dieses Entwurfsmodell eines Modellversuchs begriff sich in unversöhnlichem Widerspruch zu allem was ihm nicht entsprach es galt dem Rest der Welt als Hindernis an dem kein Weg vorbei zu führen schien und war im Grunde trotz seiner erzwungenen Verbindlichkeit in seiner Unausweichlichkeit sehr bezweifelbar

Die ›wissensbasierte Gesellschaft‹, auch ›Wissensgesellschaft‹ genannt, kämpft mit einem Paradox: (a) Wissen ist nicht verhandelbar, es sei denn im Modus wissenschaftlicher Auseinandersetzung. (b) Wissenschaftswissen ist politisches Verhandlungsobjekt dort, wo ein ›Wissen‹ großflächig zur Veränderung der Gesellschaft, sprich: der Lebensumwelt der Menschen eingesetzt wird.

Wie verhandelt man Nichtverhandelbares?

Man spielt das Spiel ›Wissenschaft versus Interessen‹.

Das Spiel ist alt, ausgediente Varianten pflastern die Heimstrecken bewährter NGOs. Drängen Regierungen in diesen Markt, so keimt in der Bevölkerung das Gefühl, von Sektenanhängern regiert zu werden und Heilserwartungen mit Steuergeldern zu finanzieren. Gefühle mögen falsch sein, Versuche, sie zu berichtigen, haben selten Erfolg.

*

Um die gewaltige Zahl von Menschen gleichzeitig ruhig zu halten und vollständig von der Außenwelt abzuschirmen damit sie nicht durch das Zusammentreffen die Begegnung oder Kollision mit einem einzigen von außen kommenden Besucher oder Eindringling wieder in Bewegung Unruhe Aufregung gerieten mußte man den aus ganz unterschiedlichen Individualzuständen aufgebauten Kollektivzustand ersetzen durch einen anderen der aus nur noch lauter identischen Individualzuständen sich zusammensetzte

Abschirmung scheint das letzte Thema zu sein, das eine Offenheit reklamierende Gesellschaft beschäftigt. Genauer besehen ist es ihr Thema. Der Grund liegt auf der Hand: Wer gegen den Gedanken der Abschottung kämpft, der kann nicht verhindern, dass er ihn hinterrücks überwältigt.

»Dieser Gedanke ist Gift – man muss ihn entfernen.« So funktioniert Abschottung.

Vielmehr: so funktioniert sie nicht. So könnte sie funktionieren, handelte es sich nicht um Gedanken. Auch ein bekämpfter Gedanke ist ein gedachter. Je eifriger der Kampf, desto vertrauter der Feind.

Deshalb ist es wichtig, den Menschen dort draußen eine positive Füllung zu verpassen, falsches Bewusstsein durch richtiges zu ersetzen, an die Stelle gelassenen Abwägens von Argumenten Verbalreflexe treten zu lassen, Begriffe umzubesetzen, um vorsätzlich Verwirrung zu stiften, mit Neologismen gezielt Unruhe zu verbreiten. »Habe ich etwas verpasst? Bin ich noch im Bild?«

Die Verwandlung von Gesellschaft in gute Gesellschaft schließt die unteren Stände aus. Oder ein? Wohin werden sie gesperrt?

Wenn die gute Gesellschaft die informierte und die informierte diejenige ist, die das Spiel der Desinformation im Schlaf beherrscht, dann wird genau der davon ausgeschlossen, der dem Braten misstraut, ohne das Spiel ganz zu durchdringen.

Welcher Information darf er vertrauen? Allein die Frage beweist zur Genüge: Diese Person gehört nicht dazu. Misstrauen, das seine Informationen auf eigene Faust sortiert, weil es hofft, auf diese Weise in ihnen die Geheimspur der Wahrheit zu finden, steht ihr nicht näher oder ferner als das Bescheidwissen, dem die Wahrheit am A… vorbeigeht. Aber es ist gefährlich, es neigt zu Verschwörungstheorien.

Was nicht falsch sein muss.

Unmissverständlich artikuliert sich an dieser Stelle das diktatorische Regime: Erkenne den Verschwörer! Fass ihn!

*

Statt nach dem Vorbild einer natürlichen Sprache die ständig ausgehend von einer geringen Anzahl an Selbst und Mitlauten neue Ausdrücke schafft oder nach dem Beispiel der Chemie die unablässig in geordneter und systematischer Weise neue Moleküle aus einer begrenzten Zahl von Radikalen bildet neue gesellschaftliche Verhältnisse zu ensemblieren statt also die kleinen Einheiten in eigener Dynamik sich zu größeren Gebilden verbinden zu lassen und nach Mustern und Ähnlichkeiten beim Übergang von den Organen zum Organismus beziehungsweise von freien Individuen zu deren gesellschaftlichen Organisation zu suchen lehnte man eine jegliche gesellschaftliche Formierung die auf Gesetzen der Selbstorganisation und Koordination basierte strikt ab und unterwarf deren Mitglieder lieber einer autoritären zentralen Planung regierte sehr kunstlos nicht mit minimalen Eingriffen sondern allgemeinem Zwang und vervollkommnete als einziges erlaubtes Organisationsprinzip die Knechtschaft

Die Pluralität aber durfte nicht einmal mehr im Fall der Notwendigkeit in Betracht gezogen werden

Wenn die Parole, mehr Demokratie zu wagen‹, eine genuin linke Position wiedergibt, dann, ja dann… Dann legt ein ›linkes‹ Meinungsklima, in dem ›plebiszitäre Elemente‹, wie immer sie aussehen mögen, als reaktionär und ›populistisch‹ aussortiert werden, den Schluss nahe, dass einmal mehr jener linke Elitismus gesiegt hat, dem das Volk ein Gräuel und die Leute, wie sie gehen und stehen, verdächtig sind, es sei denn, man hat sie, überwacht und dauerberieselt, fest im Griff.

Vermutlich ist gerade dieser Schluss falsch.

Die Vorhut der Arbeiterklasse, der die Klasse verlorenging, ist keine Vorhut mehr, sie avantgardisiert sich bloß selbst. Das allein macht sie verwendbar. Ist das nicht der geheime Wunsch aller Angekommenen: verwendbar zu sein?

Anders gefragt: Welcher nicht Verwendbare käme je an?

Anders gefragt: Welchen Fehler beginge der Verwendbare nicht?

Eine Avantgarde, der niemand folgt (und aus deren Vorhandensein nichts weiter folgt), unterscheidet sich nicht von einer marodierenden Truppe, welcher der Sinn für Proportionen verlorenging.

Dieser mangelnde Sinn für gesellschaftliche Proportionen erinnert an Sponti-Sprüche aus dem letzten Jahrhundert: Du hast keine Zukunft, also gestalte sie! Die klassische Formulierung allerdings blieb dem späten Honecker vorbehalten: Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf. Wobei niemand die Frage je aufwarf, warum gerade Ochs und Esel daran gelegen sein sollte, den Sozialismus aufzuhalten.

*

Die große Umwälzung von der hier die Rede ist ins Werk zu setzen fehlte es ebenfalls nicht an Gesamtausgaben verschlüsselter Anleitungen niedergelegt von den Magiern der Theorie

Gut, wir haben die Magier des schnell geschriebenen Sachbuchs mit Weltrettungsanspruch, also die journalistischen Edelfedern –

Deren präzise Ausführung im einzelnen schreckte Wissende wie Unwissende jedoch ab

– die Wissenden angesichts des Ausmaßes der Desinformation in den Büchern der Magier, die Unwissenden, weil sie sich nach einer hinreichenden Anzahl von Magazinsendungen für eingeweiht halten –

Die Klugheit gebot sich möglichst für uneingeweiht zu erklären

– heutige Klugheit gebietet, sich sogar im Umgang mit sich selbst eingeweiht zu geben –

Die Vorsicht riet zum Mißtrauen gegenüber einer mehr als widersprüchlichen Praxis

– verbunden mit euphorischer Zustimmung und hochfahrender Skepsis gegenüber denen, die auf Widersprüche verweisen –

Das lag an der dekretierten Widerspruchsfreiheit der theoretischen Hinterlassenschaft selbst die wiederum aus ihrer konstruierten Unwiderlegbarkeit resultierte

Zwar vermag eine widerspruchsfreie Theorie ihre eigene Widerspruchsfreiheit niemals zu beweisen doch im Rahmen widersprüchlicher Theorien läßt sich eben alles beweisen einschließlich der Widerspruchsfreiheit widersprüchlicher Theorien

Und was immer recht behält weil es sich selbst bestätigt und beglaubigt bedarf keines Wahrheitsbeweises

Auch hätte die Entdeckung eines etwaigen Widerspruchs in der Großen Theorie keinerlei Auswirkungen gehabt

 Wenn eine simple Regierungsbildung daran zu scheitern droht, dass die weitreichenden Absichten der Koalitionäre in spe sich nicht mit den aktuellen Möglichkeiten vermitteln lassen, dann hätte das Wahlvolk Grund, jene weitreichenden Absichten als Bedrohung aufzufassen.

Das Wahlvolk – eine verdächtige Kategorie. Streut das!

Politik als Kunst des Möglichen endet dort, wo das Mögliche aus übergeordneten Gründen als vernachlässigbare Größe fungiert. Da das Politische fortexistiert, ohne auch nur einen Augenblick unterbrochen zu sein, beginnt das absolut gesetzte Wissen, worum es geht, mit sich selbst Kompromisse zu schließen: Ich weiß es und du weißt es auch. Reden wir von etwas anderem.

Das besitzt, als Modell der Koexistenz, in aussichtslosen Lagen eine gewisse Berechtigung.

Kann man das Klima ein bisschen retten, wenn es vielleicht gar nicht gerettet werden kann? Kann man Europa ein bisschen mehr zusammenfügen, wenn es gerade auseinanderbricht? Kann man Ernährungsrisiken ausschließen, von denen man nicht weiß, ob sie existieren? Kann man den Mehrheitswillen erfüllen, indem man ihn konsequent ausklammert?

An Fragen wie diesen geben sich die Beratungsresistenz der Berater und die Ratlosigkeit der Beratenen die Klinke in die Hand, nicht ohne sich vor der Entscheidung zu drücken, wer drücken darf.

Wer drückt, drückt. Im Erstfall immer ein anderer.

*

Als Kehrseite des methodischen Endzwecks stellte sich sofort der Selbstzweck der Substanz heraus

Die Masse der kleinen m entdeckte ihren materiellen Eigensinn

Mit einem Schlag des störenden Einflusses alles Äußeren ledig sah jedermann sich nach seinen eigenen Bedürfnissen um verschob nicht länger das mögliche Heute zugunsten des notwendigen Morgen entsagte wohl nicht den vorgegebenen Grundsätzen mied jedoch überflüssige Debatten darüber stellte nicht gleich ganz in Frage fragte aber verzichtete auf Beweise wo sowieso nichts zu beweisen war überprüfte die im Grunde gänzlich unbegründeten Postulate und Hypothesen durch die tägliche Beobachtung ließ Informationen nicht einfach passiv gelten sondern verglich sie mit dem was man sonst noch in Erfahrung zu bringen vermochte setzte mit der Weltanschauung im allgemeinen sich zwar auseinander und beschrieb doch gleichzeitig die vorgeschriebene Welt aus der besonderen Sicht des Einzelnen mit all seinen Glaubensvorstellungen ästhetischen Vorlieben und philosophischen Konzepten

Die großen unentschiedenen Fragen werden vergessen. Das haben sie mit den entschiedenen gemeinsam. Antworten, zu denen die Fragen verlorengingen, sind keine Antworten mehr. Sie gleichen Hohlkörpern, in denen Versammlungs-, manchmal auch Narrenfreiheit herrscht. Wie kann es sein, dass Massen sich entpolitisieren, wenn am anderen Ende der Skala Politikverweigerung herrscht?

Wenn Abgeordnete sich in Akklamateure verwandeln, wenn Regierende der Auffassung sind, das Volk sei ihnen Rechenschaft schuldig, wenn Opposition darin besteht, dem Gedanken der Opposition zu opponieren, wenn Kontrolle durch die Medien sich in Medienkontrolle verwandelt, wenn Gesinnung läuft, wo Fakten zählen, dann ersteht eine Gegenöffentlichkeit ohne Gegenüber, eine Konfrontation unter Schweigern bei vollem Redefluss. Der Einzelne setzt die Machtzeichen, wo er ihren legitimen Platz vermutet, er setzt sie so, dass sie ihn nicht weiter stören und niemanden stören sollen, er ist grosso modo einverstanden, um weiterzukommen, er ist schon weiter und kann sich kaum erinnern, wozu er sein Einverständnis gab: »Das sollte ich befürworten? Nie und nimmer. Solche Zustände lehne ich ab. Im übrigen beschäftigen mich andere Dinge.«

Die Wünsche Träume Hoffnungen und Sehnsüchte der meisten Insassen hatten einen insgeheimen Durchschlupf längst gefunden und den Schutzwall statt an ihm theoretisch zu zerbrechen praktisch getunnelt

3.

Binäres Denken: Ich oder du, wir oder die, die Guten gegen die Bösen, Freund oder Feind – woher stammt das? Wo wird es gelehrt? Wie streut es, wie setzt es sich fest? Ich, du, wir und die wissen es alle gemeinsam. In diesem Punkt kommen wir zusammen.

Die radikalen Vereinfacher sind nicht radikal, sie sind zynisch.

Jedes Vakuum erzeugt Freibeuter.

Zyniker der Macht glauben nicht an Parolen – sie lassen glauben, im Ernstfall sich selbst.

Die DDR war ein Ernstfall.

Es wäre Beziehungswahn, in allen Diskursen nach ihr zu forschen. Auch der Ernstfall entlässt seine Kinder.

Was fortexistiert, sind Muster, langsam verbleichend wie Tapeten, die keiner mehr sieht, weil keiner mehr hinsieht.

Kommunikation lebt von Adaptionen: sie transferiert Muster und interpretiert sie, den aktuellen Gegebenheiten folgend, neu. Dazu bedarf es keiner persönlichen Geschichte oder ererbten Überzeugung.

Nein, es bedarf nicht des Wirkens finsterer Mächte, will man erklären, warum eine der eine oder andere heutige Zug an öffentlichen Debatten, am erklärten und nicht erklärten Regierungshandeln oder am Tagesjournalismus, der sich vehement gegen den Vorwurf fremder oder eigener Gängelung wehrt, eigentümliche Erinnerungen wachruft.

Am besten ist es, einer erinnert sich und ein anderer fühlt sich erinnert. Dafür gibt es Literatur.

4.

Die DDR, Teil eines größeren geographischen Raums mit kurrenten Erinnerungen, ist nicht untergegangen. Sie hat sich regeneriert und resozialisiert – und das nicht nur, nicht einmal vorzugsweise, im Osten der Republik. Wer heute ›Ossis‹ schmäht und sich ›bewusstseinsmäßig weiter‹ dünkt, der hat sich vom Realitätssinn der alten Bundesrepublik weit entfernt. Dieser Sinn hatte zweifellos Löcher, aber er war ausgeprägt genug, um die Unterscheidung von Sinn und Unsinn zuzulassen. Sie immerhin war statthaft (und weithin in Gebrauch). Nebenbei: sie ist die Basis des reifen politischen Urteils, Voraussetzung aller funktionierenden Demokratie.

In alledem stellt sich natürlich auch die Systemfrage. Sie lautet: Erweitert sich das Entscheidungsspektrum eines Systems in der Krise oder verengt es sich? Körners Diagnose, bezogen auf die DDR, lautet ›negative Entropie‹.

Hemmungslose Binarisierung lässt Handlungsoptionen schrumpfen: Erstarrung.

5.

Überwindung ist kein Sommernachtstraum. Sie bleibt aufgegeben, solange die Akteure im Spiel sind.

Entsorgung der Geschichte und Entsorgung in die Geschichte: bewährte Rezepte des Kalten Krieges, auf beiden Seiten.

Wenn Körner schreibt, die große Listigkeit der Eigentümer der Macht bestand zum einen darin daß sie die Definition dessen was sie unter ihrem Neuen Leben verstanden auf ein außerweltliches Maximum ausweiteten, dann hat er den Kommunismus als projektierten Endzustand der Gesellschaft im Visier.

Die – angeblich – erkannte Gesetzmäßigkeit der Geschichte, die Interpretation aller bisherigen Geschichte als ›Vorgeschichte‹ und des Kommunismus als Ziel aller Geschichte: zusammen bewirkten sie jene Realitätsverdoppelung im Bewusstsein, die, von Tag zu Tag gelebt, als duales Bewusstsein Störungen und Abhängigkeiten im psychischen Apparat erzeugt, derer der Einzelne nur spät und schwer Herr wird. Die einen macht’s süchtig, die anderen krank.

Demgegenüber blieb die westliche Projektion, die auf die Überwindung des welthistorischen Schismas im Zeichen von Kapitalismus, Pluralismus und Parteiendemokratie nach amerikanischem Muster setzte, schwach. Die Evolution des Westens selbst besaß kein Entwicklungsziel, wenn man von der mit Hinterabsichten gespickten Aussicht absah, weltweit für ein günstiges Investitionsklima zu sorgen und, sofern opportun, irgendwann den Hunger in den Entwicklungsländern zu beseitigen. Auch die Gründung der EWG verfolgte ein schwaches Ziel: die Bündelung der europäischen Ökonomien sollte es den Nationalstaaten erlauben, gegenüber den großen Wirtschaftsmächten konkurrenzfähig zu bleiben und der eigenen Stimme mehr Gewicht zu verleihen. Der Rest blieb ›Vision‹.

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Zum anderen aber fassten sie das von ihnen so definierte Leben als virtuelle Realität auf was nichts anderes meinte als dass es zugleich real und künstlich war

Für sie bedeutete ihr geplanter Lebensversuch eine Simulation der Wirklichkeit deren Realität ihnen immer unzugänglich bleiben mußte weil sie außerhalb ihrer Wahrnehmungsmöglichkeiten lag

Mit Hilfe dieser synthetischen Wirklichkeit taten sie so als sei sie ihnen zugänglich

In Wahrheit bildete das künstliche Leben in der Vakuole die Lebensprozesse der Außenwelt nur nach simulierte sie partiell und stets nur annähernd

Spötter denken dabei gern an das passend für den dialektischen Hausgebrauch zurechtgeschusterte ›Projekt Europa‹, dessen Endziel, als ›außerweltliches Maximum‹ nach dem Abflauen der kommunistischen Paradieshoffnung in die Köpfe gestempelt, keiner kennt oder kennen darf, es sei denn, er gehört zu den Ordensträgern, die wissen, wie man mit Formeln umgeht, die nichts bedeuten und alles bewirken, so wie sie alles bedeuten und nichts bewirken, denn der Marsch … der Marsch … geht ins Verdienstvolle.

›Im Namen der Zukunft!‹ … (Abbruch, Gelächter)

*

Grobe Unkenntnis vom naturwissenschaftlichen Fortschritt der vergangenen Jahrzehnte und die standhafte Weigerung diesen Veränderungen weltanschaulich Rechnung zu tragen verhinderten jegliche Anpassung an die in ihren Augen schädliche Entwicklung

Wäre ihnen die Rotverschiebung ein Begriff gewesen hätten sie vom sich Nähern und Entfernen ihrer einstigen Utopie etwas begriffen denn alles Utopische damals war nur als Rotverschiebung denkbar

Dass es in ein paar Köpfen rumort, hat wohl damit zu tun, dass man dort Bescheid weiß, zumindest über eine Ahnung davon verfügt, wohin solche Reisen gehen und an welchen Felsen sie enden.

Vorwärts immer, rückwärts nimmer lautet die offene und geheime Losung aller Über-Europäer und Überplanetarier, denen am wirklichen Europa und seinen Tendenzen so wenig liegt, dass es ihnen nur in Begriffen der Blockade und Überwindung fassbar erscheint.

*

Auch forcierte Jugendbegeisterung hat nicht zwingend mit Zukunft zu tun:

Und wäre ihnen klar gewesen was das Hintergrundrauschen bedeutet sie hätten im Hintergrund der weltweiten Jugendbewegung den Mythos ihrer eigenen Geschichte mitrauschen hören können

Denn Leben, Denken, Handeln sind perspektivisch:

Hätten sie von Spektrum und Spektralanalyse gewußt sie wären nicht so überrascht gewesen daß mit verschiedenen Augen betrachtet in verschiedenem Licht die Dinge jeweils anders aussahen und auch sie selbst und ihr hermetischer Kleinstaat wechselten Ansehen und Aussehen im Auge des ideologischen Betrachters und wie überall war auch hier die Darstellung in Falschfarben die Regel

Willkommen im Reich der Bonzen –

Wenn die notorischen Vakuoliker an einem Grundsatz unerschütterlich festhielten dann war es der die einmal errungene Macht nie mehr aufs Spiel zu setzen

Wie sie felsenfest glaubten hatte die Geschichte selbst den Kampf der einst sich unversöhnlich gegenüberstehenden Klassen zu ihren Gunsten entschieden

Ihre einmal erlangte Führungsrolle war für sie daher Ausdruck der Überlegenheit und Unbesiegbarkeit der von ihnen verfochtenen Sache und somit auch einziger Garant für den Fortbestand und die Sicherheit der von ihnen angestrebten gewollten und auf der Grundlage ihrer Beschlüsse durchgesetzten Ordnung

– mit immer den gleichen Problemen –

Jeder Versuch die politisch moralische Einheit zu untergraben mußte im Keim erstickt werden

Was das bedeutete wußte allerdings nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten

*

Damit endet diese Geschichte, jedoch nicht sofort. Wie sie endet, das umschreibt mehr oder weniger deutlich, mehr oder weniger der Begriff der (blinden) Emergenz: Das Problem ist lange bekannt, die Lösung diskutiert, aber unvorhersehbar – sie tritt ein, unversehens, irreversibel, eine neue, unableitbare Wirklichkeit, komme mit ihr zurecht, wer kann.

Phasenumwandlungen als kritisches Phänomen zeichnen sich durch die Tatsache aus daß sich bestimmte politökonomische Größen die ein soziales System kennzeichnen bei einem bestimmten Stand der Wirtschaft der Technik und der Naturwissenschaft sprunghaft ändern

Und da im kritischen Punkt dieser Veränderung die Korrelation zwischen den verschiedenen politökonomischen Kräften des Systems gleichsam unendlich weitreichend ist verläuft die Umwandlung als wenn das Einzelverhalten der relevanten Größen oder Teile aus denen das soziale System besteht nur eine allgemeine Tendenz bestätigten die längst über sie hinausgeht

In einer derartigen Situation aber verlieren die spezifischen Wechselwirkungen die dem jeweiligen System eigen sind ihre Bedeutung

So erging es der Vakuole

Sie löste sich auf

6.

So weit, so gut. Dass weniger weit weniger gut bedeutet, kann mit Fug bestritten werden. Doch auch das Gegenteil scheint nicht der Fall zu sein. Dass eschatologisches Denken auf Dauer reaktive Systeme erzeugt, Kulturen defizienten Nachbesserns, in denen sich Stagnation und Dissoziation wechselweise die Klinke in die Hand drücken, kann als erwiesen gelten. Warum auch nicht? Was nicht ist, kann noch werden – kann sein. Aber was nicht wird, wie soll das jemals sein? Daraus wird nichts, sagt der Volksmund, streicht man das Volk, bleibt der fortplappernde Mund.

Thomas Körner, Kleine Geschichte vom Paradies. In: Alphazet der Kulturen, herausgegeben von Peter Brandt, Steffen Dietzsch, Uwe C. Steiner, Heidelberg 2017, S. 259-278