von Ulrich Schödlbauer

Ich glaube, endlich habe ich die Lektion meines Körpers begriffen. Ich schlage mich auf die Seite der ›unfassbar vielen‹ Impftoten und gehe der Frage nach, warum sie sterben mussten und weiter sterben, während die anderen so weiterleben, wie sie es offenbar tun. Mit anderen Worten: Was noch kommt, sind meine Mémoires d'Outre-Tombe. Ich habe das nicht gewollt. Es hat sich ergeben, so wie sich Dinge im Raum ordnen, bloß durch die Schwerkraft. Man kann jenseits des Grabes leben, aber nicht jenseits der Schwerkraft, jedenfalls nicht auf diesem Planeten. Man kann versuchen sie aufzuheben, wie es Techniker tun. Es gibt Techniker des Sozialen, damit beschäftigt, die Kraft des Geschlechts aufzuheben – sie haben es geschafft, in die Regierungsapparate vorzudringen, aber die Resultate sind mager. Das Verhältnis von Aufwand und Ergebnis bleibt unbefriedigend. Apropos befriedigend … es gibt nichts Unbefriedigenderes als soziale Befriedigung, die mit der sexuellen kollidiert. Es gibt überwältigende Momente, aber auf Dauer … wird das nichts. Auch mit dem Verschweigen der Opfer wird das nichts. Eigentlich hat man es immer gewusst. Man hat andere überfahren und sich selbst, das klingt anders als ›übergangen‹, aggressiver, weit aggressiver, es riecht nach Aggression, that’s it. Es riecht nicht gut, was jetzt hochkommt.

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Jede Zeit hat ihre Helden. Man sperrt sie ein, man sperrt sie aus: der Methoden, Menschen mundtot zu machen, sind viele. Ebenso zahlreich sind die Orte, an denen dergleichen geschieht: Fachorgane, Internet-Plattformen, Marktplätze, Arbeitsplätze, Gerichtssäle, Bankkonten… Der Phantasie sind kaum Grenzen gesetzt, bloß die Ergebnisse … sie variieren von Land zu Land, von Ort zu Ort. Nicht sehr stark, aber sie variieren. Für den Einzelnen, der dabei gewinnt oder verliert, sind die Unterschiede beträchtlich. Für den, der versteht und schweigt, bleibt es sich gleich. Für den, der Ohren und Augen versiegelt hat, sind sie gewaltig: Das eine, so sein Eindruck, hat mit dem anderen nichts zu tun. Wenn Ämter verlautbaren, wofür Privatleute vor Gericht stehen und verurteilt werden, dann bleibt dies die plausibelste aller Erklärungen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Man kann beim Eindruck stehen bleiben, das unbestimmte Bewusstsein einer Gefahr fördere die Harmlosigkeit ungemein. Die Schiffmann, Bhakdi, Ballweg, all die öffentlich Angefeindeten haben ihr Privatleben mehr oder weniger aufgegeben – so heißt das doch? –, um ein anderes zu beginnen: ein anderes Leben, das klingt, als seien sie des alten überdrüssig gewesen und hätten nach einem besseren gesucht, vielleicht einem für sie sinnvollen, was geht’s die Leute an.

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Es ist amüsant, gewissen Journalisten bei der Arbeit zuzusehen, vor allem bei der Arbeit des langsamen Zugebens: Ja sicher, es lief nicht alles richtig, wir alle haben gelitten – oh doch, wir wussten es längst vor den anderen. Nach und nach kommt zutage, was gestern noch unverbrüchliches Schweigen (und mehr als das) bedeckte. Es war eine schwierige Zeit. War? Wieso war? Dieses An-den-Tag-Kommen dessen, was gestern und vorgestern genauso auf dem Tisch lag wie heute, hat etwas Possierliches. Die Aufklärer der ersten Stunde bleiben ausgesperrt – das ist Ehrensache; ihr Wort gilt ebenso wenig, wie es gestern galt, die hohe Kunst des Beibringens – Bröckchen für Bröckchen! – beherrscht das Feld. Die Abstimmung mit all den Herrschaften, die erst Gelegenheit erhalten müssen, sich aus der Schusslinie zurückzuziehen, braucht Zeit. Nicht jedem wird der Absprung gelingen. Der eine oder andere wird sich im Dickicht der Rede verheddern (bei den ersten hat der Prozess schon begonnen) und das ist gut so. Einen Sündenbock braucht das Land; je mehr Kandidaten aufgetan werden können, desto spannender bleibt das Rennen. Auch hier muss sich die Meute formieren … Spötter würden anmerken, die Meute in der Meute, die Sub-Meute sozusagen, im Zeitalter der sich überkreuzenden Jagden ist das kein Sonderfall.

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Journalisten tragen keine Verantwortung, Politiker schon. Sie tragen sie nach dem Zwei-Schultern-Prinzip: Linksträger die einen, Rechtsträger die anderen. Soll heißen: Sobald alle sich einig sind, diffundiert jegliche Verantwortung. Am Ende kann niemand sich erinnern, wohin sie verschwand. Selbst ihr Aussehen ist dem Gedächtnis entfallen. Verantwortung? Ist das nicht…? Tiefstes neunzehntes Jahrhundert! Dafür haben wir dieses Land nicht sicher durch diese extrem schwierige Zeit gesteuert. – Woher die Toten? – Es wären noch mehr geworden, viele Millionen mehr, wir sind uns da mit der Wissenschaft einig. Die Wissenschaft steht in der Kulisse, sie lächelt und applaudiert. Sie jedenfalls trägt so wenig Verantwortung wie die offenbar alles verdrehenden Medien. Sie hat immer gewarnt, ihre Zahlen waren verlässlich, ihre Ergebnisse auch, Wissenschaft ist ein Prozess, gelegentlich schwierig, vor allem, wenn es an Forschungsmitteln hapert oder einfach kein Interesse besteht… Kein Interesse, das war’s. Hat nicht die Kanzlerin irgendwann gesagt, die Politik bestimme die Richtung… Hoppla! Welche Kanzlerin? Welche Ansteckung droht denn da? Her mit den Desinfektionsmitteln! War doch ein gutes Geschäft. Hoch die Maske, noch höher, wer die Nase hoch trägt, muss auch die Maske…

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Die Impftoten rücken ein wenig zur Seite, sie machen gern Platz, auch sie haben Angst, man könne sie für AfDler oder Reichsbürger halten, bloß weil sie tot sind und keine Stimme haben, jedenfalls keine kräftige wie das Ministerium, das von seltenen Fällen schreibt. Was gut zusammengeht mit den unfassbaren Zahlen, die da im Raum stehen – lauter weißen Elefanten. Bloß im Parlament lassen sie sich scheinbar nicht blicken, wenn man, wie billig, die AfD nicht dazuzählt, jedenfalls nicht im deutschen. Man könnte das deutsche Parlament den arglosesten Ort der Welt nennen und stünde damit nicht gerade vor einer Weltneuheit. Bekanntlich ist die schönste Freude die Zustimmungsfreude. Freunde des Zustimmungswesens erfreuen sich der deutschen Parlamentsarbeit sehr. Wo ein ganzes Volk jubelnd in die Regierungspolitik einstimmt, dürfen seine Vertreter auf keine dummen Gedanken kommen, wie auch der Herr Oppositionsführer zu beteuern nicht müde wird. Die Impftoten, um auf sie zurückzukommen, sie müssen anfangen, ihr Sterben und endliches Totsein als Chance für die Weltwirtschaft zu begreifen, sich klimagerecht zu organisieren. Ist das nicht das Mindeste, was die Gemeinschaft von ihnen erwarten kann? Sie sind ja auch noch lange nicht ausgemacht, man kennt die in Gräber versenkte Dunkelziffer nicht und wird sie nach Lage der Dinge nicht kennenlernen. Soll heißen, sie haben jeden Grund zu schweigen.

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Ja, auch die Impftoten tragen Verantwortung. Weniger für ihr plötzliches und unerwartetes Sterben, vor allem, wenn es in ungeklärtem Zusammenhang auftritt und keine Rückschlüsse zulässt, als vielmehr für den Zustand der Welt, den sie uns hinterlassen. Es überrascht die Lebenden immer wieder, wie dreckig es in dieser Welt zugeht, aus der sich zum Teil noch ganz junge Leute – plötzlich und unerwartet! – zurückziehen, nachdem sie zu den schönsten Hoffnungen berechtigten, vor allem im Sportteil. Hätten sie nicht beim Aufräumen all des Drecks mit Hand anlegen sollen? Wer weiß, ob sie dann auf jene dummen Gedanken gekommen wären, die sie letztlich das Leben gekostet haben! Denn vor der Tat steht der Gedanke. Wenn er aber nur dasteht, um sich die Füße zu vertreten und eine zu rauchen, dann haben die Täter freie Bahn. Doch schelten wir nicht die Toten, die all das hinter sich gelassen haben! Sie können, so wie es um sie steht, nicht mehr um ihren Opferstatus kämpfen. An dieser Front kämpfen bekanntlich andere. Überhaupt verblüfft, wie heftig in deutschen Museen und in deutschen Wäldern neuerdings gekämpft wird, während die Leichenstatistiken in aller Welt eine gänzlich andere Sprache sprechen. Auch die Zahl der war victims in der Ukraine soll ja geheim sein, das heißt, man spricht über sie, als sei sie geheim.

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In einer Welt, in welcher die Fahndung nach der letzten Opfergruppe auf Hochtouren läuft, sind auch die Impftoten der Covid-Welle auf die Dauer nicht totzuschweigen. Man wird sich über Zahlen streiten und streiten müssen, so wie man darüber wird streiten müssen, was alles Angst und Gier der Menschheit in den letzten Jahren zugefügt haben (und weiterhin zufügen). Und wenn man einmal dabei ist, wird man nicht umhinkönnen, auch darüber zu streiten, welche Rolle unverantwortlich Handelnde in allen erdenklichen Positionen, getrieben von gesundem Geschäftssinn, Gedankenlosigkeit, Uninformiertheit, Vertrauensseligkeit, Dummheit, Konformismus, blindem Gehorsam und Zynismus dabei spielen durften und wirklich gespielt haben. Man wird die Rolle der Parlamente ebenso durchleuchten wie die nationaler und internationaler Organisationen und ihrer Helfershelfer. Das Prinzip Verantwortung, dessen dürfen sich alle Beteiligten sicher sein, wird mit Macht in den öffentlichen und persönlichen Raum zurückkehren. Ganz sicher: Es werden Urteile gesprochen werden. Warum? Ganz einfach. Es ist der Gang der Dinge.

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