Die Finanzkrise von 2008/09 könnte eine Epochenscheide markieren. Etwa gleichzeitig mit dem Gewahr-Werden der Gefährdung der natürlichen Umwelt war, beginnend in den 1970er Jahren, der sozialstaatlich regulierte Nachkriegskapitalismus, der in der nördlichen Hemisphäre von einer historisch einmaligen Anhebung des materiellen Lebensstandards auch der breiten Volksschichten begleitet gewesen war, von einem neuen Typ der Entwicklung des Kapitalismus abgelöst worden, der meist als »neoliberal« bezeichnet wird. Zu seinen Grundprozessen gehörten die Anwendung von High-Tech-Informations- und Kommunikationstechnologien, die »verstärkte Globalisierung« und die Dominanz der Finanzmärkte, verbunden mit der politischen Hegemonie der USA. Im neoliberalen Kapitalismus hat die Kommerzialisierung sämtlicher Lebensbereiche einschließlich der Wissenschaft und die Tendenz zur Atomisierung der Individuen eine neue Stufe erreicht. Währenddessen bleibt die Tatsache des totalen Scheiterns des »real existierenden Sozialismus« bestehen, der sich nicht als tragfähige humane Alternative erwiesen hat und schließlich in einer Kombination von Systemzusammenbruch und Massenerhebung untergegangen ist. Das Ende des kommunistischen Etatismus und die jüngste internationale Finanz- und Wirtschaftskrise, die die marktradikalen Heilslehren desavouiert hat, sollten zusammen Anlass sein, die politische sowie – im weitesten Sinne – gesellschafts- und kulturwissenschaftliche Debatte zu öffnen, die besonders in Deutschland auf irrationale Weise eingegrenzt erscheint. So wenig wie eine (auch grundsätzliche) Kapitalismuskritik verfassungs- bzw. freiheitsfeindlich ist, so wenig ist jede positive Bezugnahme auf Volk und Nation per se undemokratisch bzw. völkisch-nationalistisch zu nennen. Fragen sollten wieder Fragen sein dürfen. Versuche, Antworten zu finden, haben das Recht auf sachliche Auseinandersetzung. Mit TINA (There Is No Alternative) muss Schluss gemacht werden!


Peter Brandt
Herausgeber

Berlin, im Dezember 2009

 

 

Besprechungen

  • von Johannes R. Kandel

    David L. Bernstein, Woke Antisemitism. How a Progressive Ideology Harms Jews. New York/Nashville, 2022 (Post Hill Press, Wicked Son Books), 213 Seiten

    David L. Bernstein hat ein bedeutsames Buch geschrieben, das einen häufig unterschätzten oder gänzlich verdrängten Aspekt woker Ideologie beleuchtet: den mehr oder weniger krassen Antisemitismus! Nicht erst seit den widerwärtigen Ausbrüchen antisemitischen Hasses an US-amerikanischen Universitäten nach dem 7. Oktober 2023, ist

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  • von Felicitas Söhner

    Karol Czejarek: Autobiografia. Moja droga przez zycie, Zagnansk (Swietokrzyrskie Towarzystwo Regionalne) 2024, 414 Seiten

    Autobiografien sind ein schwieriges Genre. Zu oft geraten sie zur Selbstbeweihräucherung oder versacken in endlosen Anekdoten. Karol Czejareks Mein Weg durch das Leben aber macht es anders. Das vor kurzem auf polnisch erschienene Werk ist nicht bloß eine Erinnerungsschau, sondern ein Dokument, das ein Jahrhundert europäischer Geschichte durch ein

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  • von Ulrich Schödlbauer

    Jobst Landgrebe / Barry Smith: Why Machines Will Never Rule the World. Artificial Intelligence without Fear, 415 Seiten, New York und London (Routledge), 2. Auflage 2025

    Einst stellte Noam Chomsky die Frage: »Who rules the world?« Bis heute gibt es darauf eine klare und eindeutige Antwort: Solange keine Weltregierung existiert, niemand. Allerdings hat sich, so weit westliche Machtprojektion reicht, eine etwas andere Auffassung festgesetzt. Sie lautet: Wer sonst als die

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  • von Herbert Ammon

    Jörg Baberowski: Der sterbliche Gott. Macht und Herrschaft im Zarenreich, München (Verlag C.H.Beck) 2024, 1370 Seiten

    Hierzulande löst der Name Carl Schmitt – assoziiert mit der Negativfigur des ›Kronjuristen des Dritten Reiches‹ – gewöhnlich nur moralische Entrüstung aus. Grundlegend für Schmitts politische Theorie sind Begriffe aus dem Leviathan, dem Werk des Verteidigers des Stuart-Absolutismus Thomas Hobbes. Entgegen dem demokratischen Selbstbild – der im

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