von Ulrich Schödlbauer
Bemerkt werden muss, dass der Schlüsselbund zum Verständnis der Merkel-Ära seit langem im ewigen Zitatenvorrat der Dreigroschenoper der Herren Weill und Brecht begraben liegt. Und das ist gut so in einem Land, in dem mittlerweile gut und gerne 95% der Bevölkerung, unter tätiger Beihilfe des Bildungssystems, unbeleckt von jeder literarischen Bildung ihren Weg gehen. Ach wie gut, dass niemand weiß, dass ich Rumpelstilzchen heiß. Dabei wäre es, auch außerhalb der Märchenwelt, so einfach in Erfahrung zu bringen. Gut, dass die Theater jetzt für eine Weile geschlossen bleiben.
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Der Schlüssel zum Lockdown findet sich im dritten Akt. Dort trägt ein fieser Geschäftsmann namens Peachum die Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens vor. Sie endet mit der Strophe:
Der Mensch ist gar nicht gut
Drum hau ihn auf den Hut.
Hast du ihm auf dem Hut gehaun
Dann wird er vielleicht gut.
Wir verstehen uns richtig: Das Hütetragen ist seit den Zeiten, in denen der Song erstmalig durch das Theater am Schiffbauerdamm röhrte, in den westlichen Gesellschaften aus der Mode gekommen. Deshalb trifft der Schlag, fachkundig ausgeführt, heute unmittelbar die darunter liegenden Organe. Bei den Hartgesottenen ist das der Schädel, bei anderen das darunterliegende Gehirn, bei dritten geht er durch bis aufs Rückgrat, um dort verheerende Schäden anzurichten. Bloß das Motiv ist geblieben: das mangelnde ›Gutsein‹ des Menschen, wie es sich nicht erst in seiner sozialen, sondern bereits in seiner biologischen Ausstattung – vulgo Krankheitsanfälligkeit – zu Wort meldet.
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Dass die Biologie nur ein vorgeschobenes Täuschungsmanöver des – falschen – sozialen Bewusstseins sei, gehörte einst zum eisernen Bestand der Post-68er-Denkweise, dieser tief eingegrabenen Denkverweigerung einer Generation von Hochschulabsolventen, auf die sich die Administrant*innen des einzig wahren Gendertums bis heute berufen dürfen. Auch ein paar medienmächtige Virenexperten scheinen dem Appell gefolgt zu sein. Anders jedenfalls kann sich ein Fachfremder kaum eine von der australischen Gesundheitsbehörde verbreitete statistische Erhebung zur Influenza-Saison erklären, aus der eindeutig hervorzugehen scheint – denn keiner weiß oder mag da wissen –, dass die diesjährige Grippesaison auf jenem glücklichen Kontinent einfach ausfiel. Man darf einen feinen sozialen Zug darin erkennen, dass ein saisonales Virus (Influenza) dem prestigeträchtigeren (SARS-CoV-2) seinen angestammten Platz abtritt. Dann aber sollte es auch in unseren bewährten Leitmedien hervorgehoben und gebührend gefeiert werden. Und Australien steht mit seinem Mysterium beileibe nicht allein. Die viel gescholtene, für unser Fortleben auf diesem Planeten zweifellos systemrelevante Weltgesundheitsorganisation WHO gibt inzwischen analog lautende Statistiken aus, darunter für die USA, in denen bekanntlich seit längerem ein erbitterter Wahlkampf zwischen Coronauten und Corophagen tobt. Kein Zweifel also: Die altbewährte Grippe lebt, sie ist schlau und sie trägt vorbildlich Verantwortung für andere soziale Lebensformen, darunter Corona, indem sie sich zur richtigen Zeit zurücknimmt, fast wie unsere Kneipen- und Barbesitzer, denen jetzt zum zweiten Mal Nichtstun in angenehmer Clubatmosphäre winkt.
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Das lässt hoffen. Was die vom SPD-Experten Lauterbach passend zum zweiten Lockdown dem hiesigen Publikum prognostizierten Langzeitschäden im Gehirn angeht, so lassen sie sich mit wenig Mühe in das Bemühen seiner Partei um umfassende soziale Gerechtigkeit integrieren: SARS-CoV-2 in all seinem Ungestüm ist ein so neues Virus, dass es erst noch durch die vereinten Kräfte der Gemeinschaft gezähmt werden muss – kein Wunder also, dass bei Menschen, von denen es ex negativo Besitz ergreifen konnte, im Oberstübchen etwas nicht stimmen kann. Schlicht dumm ist es, auf die Straße zu gehen und lauthals zu rufen: »Der Kaiser ist nackt!«, wenn der Kaiser nackt neben dem Polizeiwagen steht und alles mithört. Corona schleift eben den IQ, gleichgültig, auf welchen Wegen sich einer infiziert. Das kann, abgesehen vom mangels Maskentragen selbstverschuldeten Ausfall, ebenso durch das Sehen von Feindvideos kurz vor ihrer Löschung auf YouTube (oder wie die feinen Plattformen heißen) geschehen wie durch Nachdenken in einer Situation, in der alles auf den Vordenker ankommt, denn Gott ist Tempo, wie man beim philosophischen Spurtwunder Sloterdijk bereits vor Jahren nachlesen konnte. Sollte sich unter den politischen Führungsprätendenten bei der Gelegenheit der eine oder andere Gesundgeschrumpfte finden, dann wäre man rechtzeitig gewarnt: Der nicht! Und ist der IQ erst hinreichend eingedampft, dann lässt sich auch gleich die Frohe Botschaft ins Volk streuen: Die Maßnahmen wirken! Nur eben gegen Grippe.
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»Das erste Mal als Tragödie, das zweite Mal als Farce« murmelte ein erbleichter Facebook-Freund, nachdem der zweite Lockdown beschlossene Sache war. Und in der Tat: nichts charakterisiert das Verhältnis beider Lockdowns zueinander genauer als die Marx-Bemerkung. Zwischen dem ersten und dem zweiten Lockdown liegt eine Differenz an virologischem, epistemologischem, ökonomischem, sozialem und kulturellem Bescheidwissen, die sich, allein schon gemessen an der Zahl der wissenschaftlichen und nichtwissenschaftlichen Publikationen und Wortmeldungen, in astronomische Höhen schraubt. Möglich wurde der erste Lockdown durch die bereitwillig abgegebene Erklärung von Zunftvertretern, für die Wissenschaft sei das Virus eine nahezu vollkommen Unbekannte, von der, rein theoretisch, die größten Menschheitsgefahren ausgehen könnten. In der Politik gibt es kein ›rein theoretisch‹, alles, was nach unbegrenzter Gefahr aussieht, ist ein Feind und muss mit entsprechendem Mitteleinsatz bekämpft werden. So wird aus der Wissenschaft dort, wo sie es wagt, ein ›Aber‹ anzufügen, mitunter über Nacht selbst ein Feind, dem sich die Höllenhunde politischer Korrektheit leidenschaftlich ans Bein heften. Heute, da jeder, der halbwegs bei Verstand ist und dem die Angst hinreichend Spielraum lässt, um hinzuschauen, hinzuhören und, wie es sich gehört unter mündigen Bürgern, sich in die Materie einzulesen, mag man sich gar nicht ausdenken, von Menschen regiert zu werden, die, mitsamt ihren Beraterstäben, in all den hinter uns liegenden Monaten dazu nicht in der Lage gewesen sein sollen und nun ungerührt dieselbe Nummer wiederholen. Nein, man glaubt es nicht. Was aber dann? Es geht nicht um Corona, pfeifen die Spatzen von den Dächern, es geht um verfassungsmäßig nicht gedeckte Macht, klagen die Raben, es geht um den Großen Reset, krächzt der Kakadu… Haben sie nicht recht? Macht euch nicht ins Hemd, kreischt der Pirol: Es geht um Trump und nach der amerikanischen Präsidentenwahl löst sich alles in Nichts auf. Wen kümmert dann das deutsche Gemüt? Wen der deutsche Mittelstand? Das sind Peanuts.
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Papa Freud, um ihn hier ins Spiel zu bringen, hat einmal, wie andernorts vermerkt, die Zote (!) folgendermaßen charakterisiert: sie sei »… wie eine Entblößung der sexuell differenten Person, an die sie gerichtet ist.« Ein unverschämter Witz also, den sich einer auf Kosten des Geschlechtscharakters der anderen Person erlaubt. Wer darüber rätselt, wie seit Monaten nicht nur in diesem Land, aber hier auffällig intensiv, jeder, der zur Deeskalation der durch die Corora-Panik aufgepeitschten Ängste in der Gesellschaft beitragen möchte, von Medien und Provinzpolitikern angegangen wird, der verfällt früher oder später auch einmal auf diesen Ansatz. Es kommt ihm vor, als treffe der Realismus der Abwiegler die Anheizer der Krise wie eine sexuelle Entblößung und rufe dadurch die wütendsten Gegenattacken hervor. Ernsthaft gewollt wirkt daran wenig, dazu ist das Arrangement zu durchsichtig, und Angst … Angst ist ein großer Treiber, aber divers: Es gibt vielerlei Ängste, darunter nun einmal die Angst vor Entblößung, die ohne eine sexuelle Komponente offenbar nicht zu haben ist. Zweifellos hat auch die Aufdeckung von geschlechtsneutralem Fehlverhalten mit extremen Kosten für die Allgemeinheit etwas von Entblößung, die mit Gefühlen der Scham beantwortet werden kann. Auf der anderen Seite ist die nachträgliche Scham des Verantwortungsträgers, der vor Angst kindisch geworden ist, an Einsicht gebunden: Einer muss schon begreifen, dass er sich vergaloppiert hat, um darüber beschämt zu sein. Wenn die wilde Jagd immer weiter geht, wo wäre da Spielraum für entstehende Scham? Sexuelle Entblößung hingegen, auch imaginierte, wirkt instantan, sie braucht keine Einsicht in eigenes Fehlverhalten, nicht einmal das Fehlverhalten selbst, das Scham rechtfertigen würde, sie ist, nach heutigem Standard, Missbrauch.
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Im Spiel um die Macht ist alles anders. Macht ist Macht, Macht ist asexuell, jedenfalls in den Schubladen, aus denen die Pandemie sich ihre Verordnungen holt… Oder etwa nicht? Wer den Gang dieser Pandemie aufmerksam verfolgt hat, ist sich dessen nicht mehr so sicher. Wie immer der Prozess in anderen Ländern ablaufen mag, in Deutschland steht eine Kanzlerin auf dem Prüfstand, die seit Monaten keinen Zweifel daran lässt, dass dies ihre Krise ist und kein Macht- respektive Mandatsträger, gleichgültig, ob Mann oder Frau, zwischen sie und die zu ergreifenden Maßnahmen passt, gleichgültig, wie die formellen Zuständigkeiten lauten. Die Beiseiteräumung des Parlaments spricht da eine ebenso deutliche Sprache wie die offenkundige Statistenrolle des nominell verantwortlichen Gesundheitsministers, über den sich seit Monaten der Hohn der Regierungsgegner ergießt. Schweigen wir über die Rolle der Ministerpräsidenten der Länder.
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Wer will, kann, was sich im zweiten Lockdown andeutet und schon deshalb das bedrohliche Zeug dazu hat, auf Dauer gestellt zu werden, weil das lancierte Zahlenmaterial, als umfassende Störung der öffentlichen Ordnung interpretiert, für die überschaubare Zukunft wenig Besserung verheißt, ›Corona-Diktatur‹ nennen oder ›Hygienestaat‹ oder den finalen Triumph der Biopolitik im Gewand der totalen Fürsorge, er kann es auch leugnen – wegreden lässt sich der Marsch in die politische und gesellschaftliche Entmündigung des Bürgers eher nicht. Erstaunlich wirkt, auf wie wenig Widerstand sie bei den Betroffenen stößt. Die Ergebung findet am hellen Mittag, vor aller Augen statt und wer sich ihr, wie etwa die ›Querdenker‹, entgegenstemmt, findet sich umgehend in der Rolle des ›tollen Menschen‹ wieder, von dem einst Nietzsche sprach. Peachum hat recht: Seine Methode, zur rechten Zeit auf die rechte Weise angewandt, wirkt immer. Es muss aber das richtige Personal zusammenkommen, sonst wären auch andere Effekte denkbar.
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»Nie wieder!« lautet das jahrzehntelange Credo der Deutschen, ein anderes: »Wehret den Anfängen!« Kein Wunder also, dass die gegenwärtige Krise, wie schon ihre Vorgänger während des letzten Jahrzehnts, vornehmlich durch die Gretchenfrage hindurch betrachtet wird, von welcher Seite sich die so apostrophierte Gefahr des Totalitarismus wohl erheben mag. Zwei Kandidaten stehen dafür im Raum: das Meinungsdiktat einer sich ›linksliberal‹ verstehenden Elite und der ihr entgegenstehende ›Populismus‹ der Abgehängten, sprich: in die Hässlichkeit der unerlaubten Rede gestürzten Liebhaber der altbundesdeutschen Lebensart (darunter viele enttäuschte ’89er), denen die Linksgrün-Verschiebung der Republik seit der Jahrtausendwende nicht schmeckt. Die eine Seite ist macht-, die andere ohnmachtsfixiert – allein das sagt viel über Gefahrenpotentiale aus. Just an dieser Stelle schaltet sich Papa Freuds Stimme ein. Die unterschwellig ins Spiel gebrachte Parole »Nie wieder Corona-Leugnung!« reizt den Lachmuskel so mächtig, dass darin durchaus Züge einer Selbstentblößung zum Vorschein kommen, die, im Sinne ungestörter Machterhaltung, besser verborgen blieben. Es ist, als verkomme das im Kampf gegen Fremdenhass und Rassismus bewährte Motto der herrschenden Kreise der Republik in der aktuellen Krise zur Zote, noch dazu einer, die das ›System‹ seinen Gegnern zwanghaft-bereitwillig auf die Zunge legt. Die ganze Ambivalenz des Vorgangs zeigt sich im Schicksal des rasch gefundenen Kampfbegriffs ›Covidioten‹, der binnen Wochen die Seiten wechselte und nun die Ängstlichen, die ›Corona-Gläubigen‹, die ›Zeugen Coronas‹ dem Spott preisgibt.
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Lächerlichkeit tötet. – Aber was? Aber wen? Menschen nicht, Systeme nicht – was dann? Sie tötet Ansprüche, vornehmlich solche, die nicht auf Recht und Gesetz, sondern auf Bevormundung gründen, auf den scheinbar ›weichen‹ Aspekten von Herrschaft, dem ewigen »Es geschieht zu eurem Besten«, mit dem sich jede Regierung bisher an der Macht zu halten versuchte, sobald sie ein ernsthaftes Legitimationsproblem bekam. Der demokratische Rechtsstaat lebt, wie bekannt, von dem Gedanken, das Legitimationsproblem werde durch ihn ein für allemal gebannt: Gesetzlich geregelte Repräsentation ist, vor allem anderen, ein Legitimationsinstrument. Ein funktionierendes Parlament kann, anders als der einzelne Abgeordnete, nicht der Lächerlichkeit anheimfallen. Im Umkehrschluss bedeutet das: ein Parlament, das offensichtlich nicht nur von der Exekutive, sondern von einer Bevölkerungsmehrheit als quantité négligeable betrachtet wird, weil es sich selbst aus dem Machtspiel herausnahm, hat seine repräsentative, sprich: legitimierende Funktion eingebüßt. Buchstäblich steht es für nichts und kann bloß hilflos zusehen, wenn die wirklich Mächtigen bereits über Wahlverschiebung nachdenken lassen.
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Die Angst vor der Spottdrossel zeichnet die Machtbesessenen physiognomisch. Sie erklärt einen Gutteil ihrer Rhetorik, das Schmallippig-Wolkige, die Bevorzugung der unstimmigen Metapher, die Drastik mit Drastik kombiniert und damit den Sinn für Stimmigkeit beim Publikum ausschaltet. Das einzig Stimmige soll die Person des Redenden sein, denn: ohne seinen Einsatz fällt die Welt hoffnungslos auseinander. Mit dem Ausdruck »Dann ist das nicht mein Land« hat Merkel diesen Anspruch früh verbalisiert. Nicht ohne Grund wurde ihr damals Brechts Bonmot »Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?« entgegengehalten. Nur hatte sie nicht vom Volk, sondern vom Land gesprochen und damit den Brechtschen Spott bereits im voraus entmündigt: Wer spricht vom Volk? In diesem Land ohne Volk wütet seit Monaten das Virus. Es wütet so sehr, dass die Alternativlosigkeit des Regierens ganz neue, von der Verfassung so nicht vorgesehene Höhen erklommen hat. Das legt die Frage nahe, ob ein Land ohne Virus noch das Land der aktuell Herrschenden wäre. Natürlich kann eine solche Frage nur spöttisch gemeint sein. Es ist aber das Regierungshandeln, das den Spott nahelegt. Was das im Alltag bedeutet, davon können neuerdings auch professionelle Komiker Zeugnis ablegen.
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Wer heute behauptet, es habe nichts zu bedeuten, dass an der Spitze des sich abzeichnenden Hygienestaats eine Frau steht (oder die Erwähnung dieses Umstands bereits Sexismus sei), der sei daran erinnert, wieviel es seinerzeit bedeutete, dass erstmalig eine Frau an die Spitze der Exekutive gewählt wurde, wie wichtig für die Bevölkerungsmassage es jahrelang war, diese Frau bei jeder sich bietenden Gelegenheit als ›die mächtigste Frau der Welt‹ zu bezeichnen, wie bereitwillig die gutwillig spottende Bezeichnung ›Mutti‹ von den regierungsnahen Medien zur Image-Stabilisierung und damit zur Stabilisierung personaler Herrschaft herangezogen wurde, wie sehr ihre Ansprachen und Podcasts allein durch die Verweigerung der ›männlichen‹ Herrschaftssprache und ihre Ersetzung durch den Dauergestus des Sorgens und Kümmerns glänzen: Das alles hätte nichts zu bedeuten? Ganz im Gegenteil, es bedeutet allen viel, wenngleich nicht unbedingt jedem dasselbe. Auf alle Fälle bedeutet es, dass die in dieser einen Person konzentrierte Macht ›weiblich‹ konnotiert ist und aus diesem Weiblichkeitsaspekt im Laufe der Zeit von helfenden Händen eine Legitimationsbasis errichtet wurde, die von Anfang an geeignet war, das System parlamentarischer Entscheidungsfindung sukzessive aus den Angeln zu heben.
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Das auszusprechen fällt dem durchschnittlichen Analytiker schwer, weil ihn unvermittelt das Gefühl überkommt, sich damit in die Nesseln zu setzen. Nicht ohne Grund: die Nesseln entstammen dem genderpolitischen Diskurs, dem zufolge im Machtpoker jeder weibliche Positionsgewinn positiv, jeder denkbare weibliche Positionsverlust negativ zu Buche schlägt und daher mit allen verfügbaren Mitteln verhindert werden muss. Flankiert wird dieser Diskurs durch die älteste männliche Attitüde der Welt: den Beschützergestus, der den Mann dazu zwingt, sich verteidigend vor die in Bedrängnis geratene Frau zu werfen. Dieses offenkundige Stück Geschlechterbiologie wird aber durch den herrschenden Genderdiskurs überschrieben und unsichtbar gemacht. Die Bürger dieses Landes, werden also, wie das religiöse Gemüt ohnehin annimmt, von unsichtbaren Mächten regiert, deren Namen oder bloße Existenz auszusprechen Unheil über die Menschen bringt. Gleichgültig, ob Minister, Parlamentierer, Ministerpräsidenten, Bürgermeister oder Landrat: Sie alle ›nehmen‹ in dieser wie in früheren Krisen ›auf ihre Kappe‹, was zu exekutieren ihnen ›von oben‹ angesonnen wird (und üben sich unter der Hand im Doublespeak). Dass die Kappe in Wahrheit eine Tarnkappe ist, unter der ihre Verantwortung in demselben Maße verschwindet, in dem sie sie trotzig übernehmen, entgeht vielen, aber nicht allen politisch denkenden Mitmenschen.
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Machtpolitisch betrachtet, erweist sich der zweite ›Lockdown‹ nicht als Wiederauflage, sondern als Parodie des ersten. Das ist vermutlich der Grund, warum er als ›Lockdown light‹ verkauft wird, also als großmütige – und großzügige – Vermeidung des ›vollen‹, des ›wirklichen‹ Lockdown. Dabei wäre zu bedenken, dass bereits der erste Lockdown zum Zeitpunkt seiner Verhängung als ›Shutdown‹ verkauft wurde, also als etwas, was der Computerbenützer den von ihm aufgerufenen Programmen alle Naslang zumutet. Dabei ist selbst ›Lockdown‹ eine Vermeidungsvokabel, wie jeder weiß, der des Englischen halbwegs mächtig ist. Die Aussage Der Lockdown ist keine Ausgangssperre entspricht strukturell relativ exakt der Aussage: Corona ist keine Grippe – mit dem Unterschied, dass im einen Fall die Differenz der Sprachen, in anderen Fall die semantische Differenz zwischen zwei alltagssprachlichen Ausdrücken (›flu‹ vs. ›Grippe‹) zur Vernebelung herangezogen wird. Jeder native speaker des Deutschen weiß, dass alltagssprachlich bis zum Erscheinen von Covid-19 das Wort ›Grippe‹ sämtliche in diesen Breiten auftretenden saisonalen Infektionskrankheit abdeckte, jedermann geläufig durch die rituelle Apotheker-Rückfrage: »Erkältung oder richtige Grippe?« Die ›richtige‹ Grippe war dann die virale, welche das ganze Paket einschlägiger Virenarten, Corona inbegriffen, einschloss. Wer heute die Seiten der Gesundheitsinstitutionen mustert, findet dort gebetsmühlenhaft die Gleichung ›Grippe = Influenza‹ – ein gespenstischer Akt praktisch unbemerkt bewerkstelligter Neusprech-Installation vor dem Hintergrund pharmazeutischer Interessen. Komisch bleibt der Vorgang auf jeden Fall.
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Wer darauf vertraut, ›die Politik‹ werde die ihr in der Krise zugewachsene Macht im Anschluss wieder in die Hände des mündigen Souveräns zurücklegen, übersieht zwei Punkte. Zum einen ist nicht die Pandemie, gleichgültig, was man von ihrer Gefährlichkeit hält, die treibende Kraft der Krise, sondern die eisern behauptete ›Alternativlosigkeit‹ des der Bevölkerung verabreichten, variabel gestalteten, aber strategisch stabilen Maßnahmenbündels. Das geht immerhin so weit, dass selbst eng befreundete Staaten, die andere Vorgehensweisen bevorzugen, seit Beginn der Krise mit Schmähberichten überzogen werden, die man eher aus Zeiten des Kalten Krieges in Erinnerung hat. Zum anderen steht im Zentrum der Krise die Verwandlung des Souveräns in einen Patienten, das heißt, seine gezielte (Teil-)Entmündigung, die sich, selbst bei gegebenem gutem Willen der gerade Regierenden, gar nicht rückgängig machen lässt – teils, weil der überwältigende Teil dieses aus der Retorte erschaffenen Patientenkollektivs aus zufällig hier Lebenden gar nicht krank ist, sondern nur unter den Verdacht gestellt wird, bei unverantwortlicher Aufführung andere möglicherweise zu gefährden, teils, weil jede künftige Regierung und jede künftige Bevölkerung weiß, dass die hier geschaffenen Instrumente zur jederzeitigen Aktivierung bereit liegen: die nächste Wir-wissen-noch-nicht-Saison liegt stets vor der Tür. Der Kern der Krise ist somit die Umschaffung des mündigen Bürgers, der aufmüpfig auf seinen grundgesetzlich verbürgten Rechten beharrt, in das neue asoziale Subjekt, dem der Staat, wie auf den Straßen und Plätzen der Republik inzwischen einsehbar, im Sinne der Volksgesundheit ›mit aller Entschiedenheit‹ und ›allen gebotenen Mitteln‹ entgegen zu treten hat.
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In der Alternativlosigkeit (eine frühe Losung der Kanzlerin) vollendet sich ein autoritativ-autoritäres Expertenregime, das, je weiter es sich fortschreitend installiert, eine ganz eigene Klasse von ›Experten‹ schafft, die den wissenschaftlichen Disput mit ihresgleichen, das heißt den Vertretern der Disziplin verweigern, der sie ihre Reputation und ihr Sachwissen verdanken. Der sowjetische Dissident Alexander Sinowjew, dem die Praxis aus stalinistischen Zeiten geläufig war, hat diese Klasse regierungsnaher Experten B-Wissenschaftler genannt – in scharfer Abgrenzung gegen die von theoretischer Neugier getriebenen A-Wissenschaftler althergebrachten Schlags. Der Logiker Sinowjew hat auch, gleich anderen nach ihm, die Folgen dieser Arbeitsteilung bemerkenswert exakt beschrieben: das Auseinanderdriften der – scheinbar wissensbasierten – Weltbeschreibung, auf deren Grundlage das Politbüro seine gesellschaftspolitisch motivierten Entscheidungen fällte, insbesondere im ökonomischen Sektor, und der Welt, die in den wirklichen Forschungen, soweit nicht von außen behindert oder stranguliert, sichtbar und von den Sowjetbürgern letztlich erlebt wurde. Leider ist die Sowjetunion an dieser Kluft, die auch die Politik eines Gorbatschow nicht überbrücken konnte, zugrunde gegangen. Man sollte meinen, an der Restitution eines solchen Systems sollte niemandem gelegen sein. Wie es scheint, gibt es viele Niemande, die nur auf ihre Stunde lauern.
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Elisabeth I. hat mit ihrer Männerriege aus Gentleman-Seeräubern, die wussten, was sich bei einer Dame schickt, ein Weltreich erobert. Bei Katharina II reichte es immerhin zur Erfindung Potemkinscher Dörfer, die seither die Pfade jeder Günstlingspolitik zieren. Wir wissen nicht, welch bleibende Leistung die gegenwärtigen Kanzler-Jahre der Nachwelt hinterlassen werden. Nur eines wissen wir – die Halbwertzeit moderner, auf vorgetäuschter oder entgleister Wissenschaft basierender Massenerschütterungen kann sich nicht im Entferntesten mit derjenigen hergebrachter Religionen messen. Um genau zu sein: Sie ist ziemlich gering. Die Macht kann auch daraus Konsequenzen ziehen und den Glaubensmuskel der Mitmenschen im Abstand von wenigen Jahren mit immer neuen Erfindungen auf diesem Gebiet beglücken. Sie muss nur wissen, dass sie damit eine Wette über die menschliche Natur eingeht, die sie leicht verlieren kann, so wie ihre Vorläufer sie in der Regel verloren haben. Die naivste aller Machtvorstellungen besteht darin anzunehmen, der heutige Stand wissenschaftsbasierter Herrschaftstechnologie sei so überwältigend, dass die andere Seite bereits im Ansatz unterlegen sei. Der Stand der Technologie ist für die Zeitgenossen stets überwältigend. Auf den neuen Menschen hingegen wartet die Menschheit seit ihren Anfängen vergebens. Das sollte sich bei Gelegenheit auch bis Davos durchgesprochen haben, wo es bald Zukunft pur zu bestaunen geben soll – von der Stange, zu Sonderpreisen für besonders gelehrige Schüler.
Quellen:
https://www1.health.gov.au/internet/main/publishing.nsf/Content/5DCE809A56B7C4AECA2585FB00816D67/$File/flu-13-2020.pdf
https://realclimatescience.com/2020/10/covid-19-has-cured-the-flu/