von Ulrich Schödlbauer

Beraterwissenschaft und Alltagsterror. Mit der Politik der Lockdowns hat die Beraterwissenschaft in bislang ungekannter Weise ins Alltagsleben der Menschen eingegriffen. Die neue Macht soll, wie man den Medien entnimmt, verstetigt werden. Letzter Vorstoß des emeritierten Klima-Papstes (Schellnhuber): In Zukunft sei dem Einzelnen ein Kohlendioxid-Kontingent von drei Tonnen pro Jahr gewährt. Jedes weitere Gramm sei per Emissionshandel hinzuzuerwerben. So weit die Stimme der Wissenschaft.

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Dem unbedarften Blick erscheint so ein Quantum üppig – ausreichend jedenfalls, damit das Volk erst gar nicht auf die Idee verfällt, sich deswegen Sorgen zu machen. Der Journalist Chris Veber kommt, mit ein bisschen Nachrechnen, zu einem anderen Ergebnis: Ich habe mittels des WWF-Klimarechners testweise versucht, diese drei Tonnen einzuhalten. Kein Auto. Kein Motorrad. Keine Urlaubsflüge. Weniger als zehn Kilometer pro Tag mit den Öffis. Kein Fleisch. Keine Milchprodukte. Niedrigenergiewohnung mit weniger als 30 qm. Wärmepumpe. Nur lokales Ökogemüse. Nur das Nötigste an Kleidung. Kein Wegwerfen von Produkten. Es half alles nichts. Obwohl ich auf alles verzichte und auf 30 qm wohne, komme ich auf einen CO₂-Fußabdruck von 4,35 Tonnen. (Reitschuster, 7. Februar 2023) Was bedeutet das? Es bedeutet eine Knechtungsphantasie mehr im Raum der bereitwillig feilgebotenen Fanatismen.

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Man könnte darüber lachend zur Tagesordnung übergehen, wenn es bei der Phantasie bliebe. Zu allen Zeiten haben Menschen sich Narreteien ausgedacht, die, umgesetzt, das Leben der Vielen bis an den Rand des Unerträglichen und darüber hinaus vergiftet hätten. In diesem edlen Wettlauf nimmt die wissenschaftliche Phantasie traditionell eine Spitzenposition ein. Was nie ungefährlich war, denn hinter der Wissenschaft steht der Staat, der von ›seiner‹ Wissenschaft Expertise verlangt und erhält. Die Euthanasieprogramme der dreißiger und vierziger Jahre des letzten Jahrhunderts sind Produkte der frühen Expertokratie, desgleichen die Exzesse des unter Stalin Maßstäbe setzenden Lyssenkoismus, in denen sich wissenschaftlicher Humbug nahtlos mit politischer Speichelleckerei verband, nicht viel anders als in der Lockdown-Politik der vergangenen Jahre.

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Dass sich Politik ›ihre‹ Wissenschaftler greift, um Maßnahmen zu rechtfertigen und der Bevölkerung zu verkaufen, ist den heutigen Zeitgenossen vielleicht nie so deutlich geworden wie in der Entscheidungspraxis und Verlautbarungspolitik der Corona-Zeit, die nach dem Willen der Politiker offenbar ruhig ausklingen darf, während Art und Umfang der Folgen erst langsam ins allgemeine Bewusstsein einsickern. Dafür scheint an den Schaltstellen der Macht darüber gebrütet zu werden, wie sich die legislativen und administrativen Errungenschaften dieser Jahre weiterhin nutzen lassen, ohne dass man allzu ausschließlich auf das dröge Weltbild der WHO zu setzen genötigt ist. Der Einfallsreichtum der Klimakrieger kommt da gerade recht. Alles, was ›aktuell nicht umsetzbar‹ scheint, erhöht den Druck und lässt die real zu ergreifenden Maßnahmen maßvoll erscheinen.

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Politik braucht Expertise. Das mag nicht jedem schmecken, der seine Träume pur umgesetzt sehen möchte. Daher verspricht die Verbindung von Traum und Expertise ein Maximum an politischer Ausbeute. Was also liegt näher als die staatsfinanzierte Einrichtung wissenschaftlicher Traumfabriken wie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, kurz PIK genannt, aus dem erst vor wenigen Jahren das ›Konzept‹ der Klima-Kipp-Punkte wie ein böser Menschheitstraum entwich? Die Auswirkungen auf die Jugendkultur können, sofern die aktuelle Kälte das Treiben nicht unterbindet, auf allen Haupt-Straßen der westlichen Welt besichtigt werden – gesetzt den Fall, dass die Davoser Abgasschwaden der jetbeflügelten Weltretter aus den höheren Gesellschaftsetagen nicht genug zu denken gegeben haben. Immerhin: Man hätte es sich denken können. Mit seinem Grundsatzurteil zur Klimapolitik hat das Bundesverfassungsgericht – ›Karlsruhe‹, wie man in der bürgerlichen Vertrauenskultur der Bonner Republik zu sagen pflegte – dem Expertentheater einen höheren Verfassungsrang eingeräumt als den klassischen Gewalten, sprich: dem Parlament und vor allem sich selbst – letzteres eine weitgehend unerörterte Pointe, an der sich kommende Juristen noch die Zähne ausbeißen dürften. Der ›Neolyssenkoismus‹ (Max Ludwig) der Klimatheologen blüht, während die Generation realistischer Klimaforscher wie Hans von Storch, der seit langem der Anpassung an sich verändernde Klimate das Wort redet, auf der Strecke bleibt.

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Die Beziehung zwischen dem russischen Geistheiler Rasputin und der letzten Zarin ist oft verkitscht dargestellt worden. So scheut man sich unwillkürlich, sie an dieser Stelle ein weiteres Mal ins Gespräch zu bringen. Andererseits ist Wissenschaft, die Erkenntniswege radikal verkürzt, um Einfluss auf die aktuelle Politik zu gewinnen und zu behaupten, durchaus mit der Geistheilerei vergangener Epochen zu vergleichen. Ein Wissenschaftler, der, wie einst Vergil, durch die Hölle der Talkshows geschleust wurde, um schließlich im Parlament und, wer weiß, im Regierungsapparat aufzuschlagen, ist kein Wissenschaftler mehr, jedenfalls nicht im Sinn irgendeines wissenschaftlichen Ethos – der Betrieb hat ihn rasputinisiert und in eine Glorie gehüllt, die sich über jene Abstimmungsmaschinen ergießt, Parlamente genannt, ohne deren Votum es nun einmal nicht geht. Da nimmt es nicht Wunder, dass hinter jedem erfolgreichen Rasputin eine beliebige Anzahl Anwärter lauert, die mit unkonventionellen Methoden aufwarten, um nichts weniger als die Welt zu retten, was ja, zum Heil der Parteistrategen, die hauptsächliche Aufgabe vom Volk gewählter Vertreter und ihrer Regierungen darstellt.

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Man fragt sich schon, auf welches Organ der moderne Beratungswissenschaftler, sprich Rasputin, so erfolgreich einzuwirken vermag. Der Aufklärungsphilosoph Shaftesbury, ein Earl und damit auf Gesellschaftsfragen dressiert, hat um 1700 herum mit seinen Adept Ladies ein literarisches Modell geschaffen, an das sich unwillkürlich erinnert fühlt, wer dem Expertenaufmarsch im öffentlich-rechtlichen Ambiente ein waches Auge widmet. Recht behält, wer sich im Studiosessel bewährt. Bewährung wiederum bedeutet nichts anderes als: Der Junge – die Lady – darf wiederkommen. Warum darf er, warum darf sie wiederkommen? Weil das, was sie zu erzählen wissen, keinen Erkenntniswiderstand aufbaut. Es ist, wissenschaftlich gesehen, Geschwätz. Angenehmes Geschwätz, zugegeben, das den Maßstäben von ›Gesellschaft‹ genügt und sich nicht allzu sehr vom Massengeschmack entfernt, dabei aber, der Expertise sei Dank, die ganz großen Lösungen aufzeigt, nach denen wir alle hungern und dürsten. Ein bisschen paradox müssen sie klingen, ausreichend, um für das obligate Augenaufreißen zu sorgen: Ach, sieh an! Das hätte ich jetzt nicht gedacht. Auch die gewählten Parlamentarier kennen den Bewährungsstress, der von den Studios ausgeht. Eigentlich kennen sie, abgesehen von Twitter, keinen anderen. Für sie ist einer, der diese Hölle besteht, ein role model oder Der große Blonde mit dem schwarzen Schuh, der unberührt und unerreicht durch den medialen Intrigenstadel wandelt und damit das ganz große Vertrauen gewinnt: Hier spricht die Wissenschaft.

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Eine Politik, die sich ihre Beraterwissenschaft, gleichsam im Gemüsebeet hinterm Haus, selbst zieht, macht sich nicht kundig, sondern blind. Machttaktikern, die ausgefuchst genug sind, das Spiel nicht nur zu durchschauen, sondern auch zu lenken, bietet es Gelegenheit, Widerspruch, von welcher Seite auch immer, im Keim zu ersticken. Buchstäblich lässt sich so schalten und walten, wie es in ihren Kram passt. Der moderne Rasputin ist rascher ein Gefangener der sich auf seine Expertise berufenden Politik, als er dem Stand der Forschung zu folgen vermag. Notwendig wird er sich also in seinen eigenen Aussagen verheddern und damit ganz ohne äußere Einwirkung als Sündenbock präparieren, den jede auf Scheingewissheit gebaute Politik nun einmal auf mittlere oder längere Sicht gesehen benötigt. Nebenbei: Er wird umso tiefer fallen, je länger die Leute seiner Kompetenz zum eigenen Schaden vertrauten. Sie sollten gewarnt sein, die modernen Rasputine.

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Der historische Rasputin, ein einfacher Mönch, wie der Zar ihn begütigend nannte, wurde am siebzehnten Dezember 1916 aus der Mitte der Petersburger Gesellschaft heraus ermordet, nachdem eine enthemmte Öffentlichkeit ihm unsinnigerweise die Schuld an der kriegerischen Misere des Zarenreichs angehängt hatte – ein martialischer Fall finsterster Femejustiz, vor dessen Hintergrund sich das bisschen Kompetenzzauber fast wie … Wissenschaft ausnimmt. Das Ende der Zarenfamilie ist bekannt. Hätte der Zar seinen Lyssenko gehabt – wer weiß, welche weltgeschichtlichen Kapriolen der Nachwelt entgangen sind. Manchmal ist ein Rasputin einer zu viel.

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Drei Tonnen CO2 pro Erdenbürger sind heftig … sie sollten beten, die Geistheiler aller Klimate, dass die Politik sie nicht beim Wort nimmt und bei lebendigem Leibe drostet. Um es mit Shaftesbury auszudrücken: may the intoxicating Fumes of these pretendedly inspir’d Operators never ascend in our Brain, nor their poysonouse Druggs, their Conjurations and reall Witch-Crafts affect our Minds or Bodys as I really thought they had done mine; when I last parted with the Assembly.

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