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Das Einstein in der Kurfürstenstraße war das schönste und legendärste Caféhaus Wiener Prägung in Berlin. Man fand dort die tägliche Weltpresse ebenso wie Leute ›von Welt‹ (oder solche, die sich dafür halten): ›Monde‹ & ›Demi-Monde‹ reichlich, glücklich vereint. Dort auch sitzt der Flaneur, trifft sich mit Leuten, mit denen er beruflich zu tun hat, liest Zeitung, sieht schönen Frauen nach, unterhält sich über Ausstellungen, Theater etc. Die Kolumne des Berliner Philosophen Steffen Dietzsch, Bannkreis, versammelt – in loser Folge – die Resultate seines Flanierens: kleine Glossen, Artikel zur Sache. 

 

… neulich im Einstein

las ich, dass höhernorts die von den Schülern sich selbst auferlegten freitäglichen Schulfreistunden als eine sehr gute Sache beurteilt würden. Wollte man sich damit jetzt schon künftigen Wählern angenehm machen (assistiert wurde das justizministeriell vom Vorschlag, das Wahlalter neu bei sechzehn Jahren anzusetzen…)?

Ein eklatanter Verstoß gegen eine (kantische) Politik-Maxime, bei vernünftigem Handeln für die (republikanische) Polis dürfe nicht die Moral dem Recht vorangesetzt werden (sondern jene habe diesem zu folgen). Aber auch unterhalb der kategorischen Ebene sollte es doch alltäglichem Menschenverstand klar sein, dass die Schulpflicht nicht für beliebige außerschulische Events eingeschränkt werden darf. Auch nicht für außerordentliche Sympathiebekundungen für Umweltwarnungen jener schwedischen Schülerin. – Zumal deren Umweltnutzen als vernachlässigbar zu bewerten wäre; aber, so heißt es, das würde ›Druck‹ machen auf politische Entscheidungen zugunsten des Klimaschutzes! Das ist, zumal für Deutschland, nicht ganz auszuschließen: Auto-, Energie- & Wehrpolitik stehen ja ohnehin unter harter zivilgesellschaftlicher Kritik, da sind jähe Wendungen nicht ausgeschlossen, – bis dahin, dass wir uns Deutsche aus dem allgemeinen und politischen Weltverkehr herausnehmen könnten … Das käme unserer alten Neigung zu nationalen und geistigen Holzwegen entgegen.

Das Positive der Schulflüchtigen bleibt leider bloß auf ihre plakativen Motive beschränkt (aber die sind schnell formuliert, dafür brauchte man nicht die wöchentlichen Wiederholungen). Das Freitag-ist-schulfrei folgt lediglich einer immanenten Eventlogik und bleibt (umwelt)politisch sinnfrei. Denn die Radikalität der Forderungen der Schüler zum Klimaschutz an die ›da Oben‹ überträgt sich leider gar nicht auf radikale Taten für die Umwelt, die sie selber tun könnten. Dabei hätten es die Schüler jedesmal (schon wortwörtlich) in der Hand, etwas für den Umweltschutz zu tun. Sie könnten jeweils Freitags einen Container ordern, um ihr kleines elektronisches Sturmgepäck – Mobiltelefone, Tablets, Smartphons, Kopfhörer etc. – massenhaft darein zu entsorgen. Und sie könnten ihre Eltern I & II bitten, mit ihnen alltäglich in den Wald zu gehen, anstatt ihren täglichen Kohlendioxid-Fußabdruck zu vertiefen, vulgo: sich in ihren Arbeitsstellen von den Kleinen zu entfremden. – Oder, etwas kleiner, sie könnten immer Freitagnachmittags durch beliebige (Berliner) Parks streifen, um das von ihresgleichen dort fallengelassene Papier, Plastik und anderen Dreck aufzusammeln …

Aber dazu wird keine Zeit bleiben, denn irgendwie muss doch der massenhaft ausgefallene Schulstoff nachgeholt werden, oder?